„Levothyroxin wird zu großzügig verordnet“

Die subklinische Hypothyreose wird mit diversen Beschwerden in Verbindung gebracht. Die Behandlung mit Levothyroxin ist jedoch in der Regel nutzlos und unter Umständen sogar schädlich. Der Endokrinologe Prof. Martin Fassnacht aus Würzburg warnt vor unkritischen Verordnungen. Auf der Liste der in Deutschland am häufigsten verschriebenen Medikamente belegt Levothyroxin den vierten Platz. Aus Sicht von Prof. Marin Fassnacht vom Uniklinikum Würzburg ist das „zu viel und nicht sinnvoll“. Wie der Endokrinologe betonte, lassen sich Beschwerden wie eine depressive Stimmung durch Behandlung einer subklinischen Hypothyreose nicht bessern – auch wenn dies vielfach von Patienten vermutet und eine Behandlung eingefordert werde. Fassnacht schilderte exemplarisch den Fall einer Lehrerin, die eine Schilddrüsenuntersuchung gewünscht hatte. Das Labor ergab normale fT3-/fT4Werte und ein TSH von 5,8 mU/l. Für die Frau war damit klar, dass die Schilddrüse der Grund für ihre depressive Stimmung war, das habe sie im „Spiegel“ gelesen. Außerdem erkläre das wahrscheinlich auch ihre Gewichtszunahme. Assoziation, aber kein Kausalzusammenhang Tatsächlich gibt es eine Reihe von epidemiologischen Studien, in denen ein Zusammenhang zwischen einer Schilddrüsenunterfunktion und Depressionen festgestellt wurde. Letztes Jahr wurde z. B. eine vielbeachtete Metaanalyse mit mehr als 35.000 Patienten publiziert, der zufolge eine Autoimmunthyreoiditis häufig zusammen mit einer Depression oder einer Angststörung auftritt (Siegmann EM et al. JAMA Psych 2018;75:577–584). „Dabei handelt es sich aber um eine reine Assoziation; aus der Studie lässt sich keine Kausalität ableiten“, erläuterte Fassnacht. Gegen einen Kausalzusammenhang spricht das Ergebnis einer anderen Metaanalyse aus dem vergangenen Jahr, in der nur Interventionsstudien ausgewertet wurden (Feller M et al. JAMA 2018;320:1349–1359): Knapp 2200 (nicht schwangere) Erwachsene mit subklinischer Hypothyreose (TSH 4,4–12,8 mU/l) waren randomisiert mit Schilddrüsenhormon oder Placebo behandelt worden. Nach einer Behandlungszeit von 3–18 Monaten hatte sich zwar der TSH-Spiegel normalisiert, ansonsten waren jedoch keine Effekte festzustellen: Lebensqualität, depressive Symptome, Fatigue/Müdigkeit, kognitive Leistung oder BMI waren so gut oder so schlecht wie vor der Therapie. „Wenn Sie bei subklinischer Hypothyreose Schilddrüsenhormone geben, verändern Sie nichts“, so das Fazit von Fassnacht. Mortalitätsanstieg bei Herzinsuffizienz Unter Umständen kann man die Patienten damit sogar in Gefahr bringen. Darauf deutet eine aktuelle Registerstudie aus Dänemark hin, in die mehr als 220.000 Patienten mit einer Herzinsuffizienz einbezogen waren (Einfeldt MN et al. J Clin Endocrinol Metab 2019;104:1725—1734): Patienten, die Levothyroxin bekamen, hatten in den nächsten fünf Jahren mehr schwere kardiovaskuläre Ereignisse und eine höhere Mortalität als Herzinsuffizienzpatienten ohne eine solche Therapie. „Das ist zwar auch nur eine Assoziation, aber hier geht es um einen negativen Effekte einer Intervention, deswegen müssen wir mit Schilddrüsenhormonen noch vorsichtiger sein“, so Fassnacht. Er riet, vor allem bei multimorbiden Patienten die Indikation kritisch zu prüfen. Kinderwunsch und TPO-Antikörper: Keine Therapieindikation Eine weitere Situation, in der eine Leovthyroxinbehandlung häufig nachgefragt wird, aber keinen Nutzen erwarten lässt, ist der Kinderwunsch bei euthyreoten Frauen, die TPO-Antikörper haben. Das wird durch eine Studie belegt, in der 950 Frauen mit Euthyreose und TPO-Antikörpern wegen Infertilität oder vorausgegangenem Abort präkonzeptionell behandelt wurden (Dhillon-Smith RK et al. N Engl J Med 2918:380:1316–1325). Ob sie Levothyroxin oder nur ein Placebo erhielten, hatte für die Häufigkeit von Lebendgeburten keine Relevanz – „und zwar unabhängig davon, wie hoch TSH-Spiegel oder TPO-Antikörper-Titer waren, ob die Frauen schon einen Abort hatten oder nicht“, so Fassnacht. Altersabhängige TSH-Grenzwerte Der Endokrinologe erinnerte außerdem daran, dass der TSH-Spiegel physiologisch mit dem Alter steigt. „Die europäische Schilddrüsen-Gesellschaft empfiehlt deshalb, im Alter über 70 erst dann mit Levothyroxin zu behandeln, wenn der TSH-Wert über 20 mU/l liegt!“ Bei Senioren mit einem TSH von 10–20 mU/l könne über eine Behandlung nachgedacht werden, unter 10 solle auf jeden Fall davon abgesehen werden, so Fassnacht. Bei jüngeren Menschen liegt der TSH-Grenzwert für eine Therapie bei 10 mU/l; ab 4 mU/l kann eine Behandlung in Erwägung gezogen werden. Ausnahme: „In der Schwangerschaft behandeln wir ab einem TSH von 4 mU/l“, berichtete Fassnacht. Wichtig sei aber, Levothyroxin nach der Schwangerschaft abzusetzen, erneut den TSH-Spiegel zu kontrollieren und die Therapie ggf. zu beenden. Quelle: Internisten Update 2019, München, 29. November 2019

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