Hintergrund
Bedeutung genetischer Erkrankungen in der Pädiatrie
Formen genetischer Erkrankungen und Vererbungsmodi
Diagnostik
Klassische genetische Untersuchungsmethoden
Lichtmikroskopische Chromosomenanalyse | Karyotypisierung | Microarray | Einzelgenanalyse | Gen-Panel | WES | WGS | |
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Auflösung | Gesamtes Chromosom | 5–15 Mbp | 50–100 Mbp | 1 bp | 1 bp | 1 bp | 1 bp |
Anzahl getesteter Loci | – | Ca. 500 | 0,05–2 Mio. | 1 | 50–1000 | 20.000 | ≥20.000 |
Art gefundener Varianten | Aneuploidie, Polyploidie | Varianten >5 Mbp | „Copy number variations“ (CNV) | Punktmutationen, kleine Insertionen bzw. Deletionen | Varianten in selektierten Krankheitsgenen | Varianten in codierenden Regionen | Mehrheit aller Varianten |
Anzahl gefundener Varianten/Person | 0 oder 1 | 0 oder 1 | 10 bis mehrere 100 | 0 oder 10 | 10 bis mehrere 100 | Ca. 30.000 | 4–5 Mio. |
Diagnostische Ausbeute | Niedrig | – | – | Abhängig von Verdachtsdiagnose | – | – | Hoch |
Moderne genetische Untersuchungsmethoden
Prinzip
Gen-Panel, Whole exome sequencing oder Whole genome sequencing
Whole exome sequencing
„Klinische Exomanalyse“
ACMG-Kategorie | Klassifikation | Beschreibung |
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5 | Benigne (entsprechend „sehr geringe Wahrscheinlichkeit“) | Varianten in jeglichen Genen, die auch in der gesunden Gesamtbevölkerung häufig vorkommen |
4 | Wahrscheinlich benigne (entsprechend „geringe Wahrscheinlichkeit“) | Beispielsweise synonyme Varianten in bekannten Krankheitsgenen, die weder die Proteinstruktur noch das Spleißen beeinflussen oder Intron-Varianten |
3 | Variante unklarer Signifikanz (VUS) Gruppe I: tendenziell benigne; Gruppe II: ohne Tendenz; Gruppe III: tendenziell pathogen | Beispielweise Varianten, die die Proteinstruktur beeinflussen, wobei der Einfluss auf die Proteinfunktion aber unsicher ist oder Varianten in einem Krankheitsgen, das nicht zum Phänotyp des Patienten passt, oder Varianten in einem Kandidatengen |
2 | Wahrscheinlich pathogen (90–99 %, entsprechend „hohe Wahrscheinlichkeit“) | Nicht vorbeschriebene, aber wahrscheinlich pathogene Variante in einem bekannten Krankheitsgen |
1 | Pathogen (>99 %, entsprechend „sehr hohe Wahrscheinlichkeit“) | Als pathogen bekannte (publizierte) Variante in einem Krankheitsgen |
Diagnostische Ausbeute
Typische pädiatrisches Krankheitsbild | Geeignete genetisch-diagnostische Methode | Diagnoserate (Next-generation-sequencing-Methode) |
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Verminderte Sehfähigkeita | Gen-Panel | 51 % (48 % Gen-Panel, zusätzlich 2 % WES bei negativem-Gene-Panel; [8]) |
Schwerhörigkeit/Taubheit | Gen-Panel | 57 % (30 % Einzelgenanalyse, 39 % WES; [6]) |
Intelligenzminderung, isoliert | Trio-WES | Kumulativ 42 % (11,6 % Array, 24 % WES nach negativem Array, 26 % WGS nach negativem Array und negativer WES; [5]) |
Epileptische Enzephalopathie | Trio-WES | 32,5 % WES; [28] |
Entwicklungsstörung | Trio-WES | 27 % Array plus Trio-WES [32] |
Kardiovaskuläre Erkrankungen | Abhängig von Phänotyp (z. B. Karyogramm bei V. a. Trisomie 21, Array bei V. a. Mikrodeletionssyndrom, Trio-WES bei V. a. RASopathie wie z. B. Noonan-Syndrom) | WES 8,4 % [23] |
Mitochondriale Erkrankungen | (Trio‑)WES | 31 % WES (eigene Daten) |
Vital bedrohter Säugling (<100 Tage alt) | Trio-WES | |
Klein‑/Großwuchs | Abhängig vom Phänotyp (z. B. Karyogramm bei V. a. Turner-Syndrom, z. B. methylierungssensitive PCR bei V. a. Prader-Willi-Syndrom etc.) | 36 % Trio-WES [7] |
V. a. neurometabolische Erkrankung | WES | 68 % WES [27] |
Erhöhte Blutungsneigung | Einzelgenanalyse gemäß Gerinnungsanalyse | – |
Kardiovaskuläre Erkrankungen | Je nach Phänotyp Array (z. B. bei V. a. velokardiofaziales Syndrom oder Williams-Beuren-Syndrom), (Trio)-WES bei Kardiomyopathie, Einzelgenanalyse bei V. a. Marfan-Syndrom | – |
Immundefekt/Neutropenie | Abhängig vom Immunstatus, Gen-Panel oder (Trio)-WES | – |
Metabolische Entgleisung (Intoxikationsbild/Hyperammonämie), Hypoglykämie | Einzelgenanalyse gemäß Metabolitenprofil | – |
Akutes Leberversagen | (Trio‑)WES (nach Ausschluss infektiöser/metabolischer Ursachen) | – |
Auffälliges Neugeborenenscreening | Einzelgenanalyse gemäß Metabolitenprofil bzw. endokrinologischer Befunde | – |
Intersexuelles Genitale | Chromosomenanalyse | – |
Angeborene Fehlbildungen, Dysmorphien, Fehlbildungen des Skeletts, der Organe etc. | Abhängig von Phänotyp | – |
„Garbage in, garbage out“
Zusammenarbeit zwischen Pädiatrie und Humangenetik
Von der Diagnose zur Behandlung
Voraussetzungen für die erfolgreiche Diagnosestellung
Zukunftsaussichten
Fazit für die Praxis
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Jedes Kind mit Verdacht auf eine genetische Erkrankung und seine Eltern sollten umfassend über die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik beraten werden.
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Die neuen Sequenzierungsmethoden des „next generation sequencing“ (Gen-Panel, „whole exome sequencing“, „whole genome sequencing“) haben die molekulare Genetik und die Diagnostik in der Pädiatrie revolutioniert.
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Eine Diagnosestellung ist nur im Team aus niedergelassenen Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin/Jugendheilkunde, den Spezialisten für das jeweilige pädiatrische Fachgebiet, Fachärzten für Humangenetik und genetischen Laborspezialisten möglich und sinnvoll.
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Aus einer genetisch basierten Diagnosestellung kann sich das Potenzial für eine gezielte therapeutische Intervention ergeben.
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Die Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen sollte multidisziplinär und in enger Absprache mit den heimatnahen Ärzten im Rahmen von Zentren für seltene Erkrankungen gebündelt werden.