16.10.2020 | Klinik aktuell | Originalien Open Access
„Crazy bitch!“ – Erlebte Aggression und Gewalt im Klinikalltag von Kinderärzten
- Zeitschrift:
- Monatsschrift Kinderheilkunde
Redaktion
Hintergrund
Methodik
Ergebnisse
Zusammensetzung der Stichprobe
Formen und Ausprägungen der aggressiven und gewaltsamen Handlungen
Inhalte der Beschimpfungen
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Angaben/Beispiele (wortwörtlich)
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Fachliche Inkompetenz
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Ich sei dumm und unfähig, inkompetenter Haufen
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Beleidigungen (ordinär/vulgär)
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Penner, Arschloch, Wichser, Scharlatan
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Wartezeiten
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Unprofessionelle Arbeit wegen langer Wartezeit
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Versorgung/Therapie
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Schlechte Orga, Essen, Missachtung der Hygieneregeln
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Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit
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Hitler, Nazi, Frau Doktor Hitler, Rassist, Ausländerfeind, Judenarzt, nur von einem Ausländer behandelt
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Frauenfeindliche/sexistische Beleidigungen
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Crazy bitch, Schlampe, Hure, schwule Sau, blöde Fotze, Schwuchtel, blöde Kuh, Ziege, Gebärmaschine, Flittchen
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Desinteresses/Faulheit
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Ignorante Ärzte, unzureichende Fürsorge, mangelndes Engagement
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Emotional-soziale Inkompetenz
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Keine Gefühle, fehlende Empathie, fehlende Sensibilität
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Sonstiges
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Menschenunwürdig, steht morgen in der BILD, wollen nur Geld verdienen, dein Auto mache ich mit meinem Bagger kaputt, ich mache Sie fertig, Sie werden Ihres Lebens nicht mehr froh
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Inhalte angedrohter Gewalt
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Angaben/Beispiele (wortwörtlich)
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Androhung von Körperverletzung
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Drohung zu beißen bei HIV-positivem Vater, würgen, Prügel, ich mache Dich fertig, ich schneide Euch die Ohren ab
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Missachtung körperlicher Distanz
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Vater baut sich mit rotem Kopf vor mir auf, Auflauern im Parkhaus, am Kittel festgehalten, Aufstellung dreier Männer 1,90
m vor mir, langsames Auf-mich-Zugehen in Dreierreihe
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Zuhilfenahme von Gegenständen/Sachbeschädigung
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Bedrohung mit Schlüsselbund, Elektroschocker, Axt, fackel’ das ganze KH nieder
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Morddrohungen
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Ich stech’ dich ab, ich bringe Dich um, ich bringe Euch alle um
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Gewaltandrohung gegen Familie/Kinder der Ärztin/des Arztes
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Bedrohung meiner Familie
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Sonstiges
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Unter Alkoholeinfluss, Drogen, ich werde Sie finden, können etwas erleben, wenn meinem Kind etwas passiert, sind Sie dran
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Inhalte versuchter Gewaltanwendung
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Angaben/Beispiele (wortwörtlich)
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Handgreiflichkeiten/Körperverletzung
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Am Arm gepackt, Faustschläge, kneifen, schlagen, wegschubsen
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Werfen mit Gegenständen/Randalieren
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Bewerfen, Stuhl herumwerfen, Türen eintreten, Scheibenbruch
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Versperren des Weges, Festhalten
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Am Kittel festgehalten, in die Enge gedrängt
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Bedrohung
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Bedrohung mit Elektroschocker
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Sonstiges
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Waffe auf Untersuchungsliege gelegt, hämmern an die Untersuchungszimmertür
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Inhalte ausgeübter Gewalt
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Angaben/Beispiele (wortwörtlich)
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Schläge, Tritte
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Faustschlag, Tritt gegen den Kopf
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Körperverletzungen wie Würgen, Kratzen, Kneifen, Beißen, Schütteln etc.
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Greifen am Kittelkragen und schütteln, handgreifliche Auseinandersetzung
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Gewaltsame Bedrohung
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Messer an die Kehle gehalten
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(Weg‑)Stoßen
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Anrempeln, wegstoßen
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Sonstiges
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Telefonterror, zu nahe gekommen, Infusionsspender von der Wand gerissen, schreien
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Persönliche Belastungen und Beeinflussung der kinderärztlichen Tätigkeit
Diskussion
Limitationen
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Obwohl die Ergebnisse beider Befragungszeitpunkte gegenübergestellt und im Verhältnis zueinander interpretiert werden, stehen sie in keinem statistischen Zusammenhang. Zwar wurde in den Jahren 2009 und 2017 exakt der gleiche Fragebogen an alle Assistentenvertreter aller pädiatrischen Abteilungen und Kinderkliniken versendet. Auch bestehen durchaus Ähnlichkeiten zwischen den Kollektiven mit Blick auf die prozentuale Verteilung der beruflichen Positionsinhaber. Die Ergebnisse basieren jedoch nicht auf einer Panelstudie. Es ist von einer Personalfluktuation über die Jahre auszugehen.
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Die Problemdeutungen beziehen sich nicht ausschließlich auf die (wenigen) statistisch-signifikanten Auffälligkeiten. Die kategoriengeleiteten Antworthäufigkeiten und Auffälligkeiten bei verschiedenen Merkmalsausprägungen sind darüber hinaus deskriptiv – also v. a. statistisch beschreibend und ordnend – in die Analyse eingeflossen.
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Die dargelegte Problemlage der erlebten Aggressionen und Gewalt kann an der erhöhten Anzahl der Vorkommnisse oder an einer sensibleren, auch medial forcierten Wahrnehmung der Thematik im beruflichen Alltag liegen.
Ausblick
Fazit für die Praxis
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Erlebte Aggressionen und Gewalt gehören vielfach und vermehrt zum Klinikalltag auf den pädiatrischen Stationen – angefangen von Beleidigungen bis hin zu ausgeübter körperlicher Gewalt.
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Die Aggressionserfahrungen wirken für viele Klinikärzte psychisch, psychosomatisch und auf ihr ärztliches Handeln nach.
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Kommunikationstrainings im Geflecht Arzt-Patient-Angehöriger und Möglichkeiten der Deeskalation werden gewünscht. Eine institutionelle Verankerung jener Maßnahmen kann sich präventiv auf die Gesunderhaltung der Ärzteschaft und die bedürfnisorientierte Behandlung der Kinder auswirken.