Ungewöhnliches Führungsprinzip: Verein vertraut Pflegerinnen die Klinikleitung an

In der Münchener Rotkreuzschwesternschaft werden alle Kliniken von Pflegerinnen geleitet. Generaloberin Edith Dürr erläutert, warum ihre Profession diese große Rolle spielt – und wie Ärztinnen und Ärzte damit umgehen. Frau Generaloberin Dürr, Sie sind Vorstandsvorsitzende der Münchener Rotkreuzschwesternschaft, die vier Kliniken und sechs Pflegefachschulen in München und Umgebung betreibt. Alle vier Krankenhäuser werden von Direktorinnen geleitet. Das unterscheidet sie von den meisten anderen Klinikgesellschaften, wo die obersten Leitungsfunktionen in erster Linie mit Männern besetzt werden. Warum gibt es bei Ihnen diese einmalige Konstellation? Die Rotkreuzschwesternschaft ist ein reiner Frauenverein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Karriere von Frauen zu fördern. Es liegt daher auf der Hand, dass wir entscheidende Positionen in unseren Einrichtungen selbst besetzen. Unser Verein hat rund 1.400 Mitglieder, diese sind nicht nur ausschließlich Frauen, sondern haben darüber hinaus alle einen pflegerischen Beruf. Wir sind entweder Krankenschwestern, Altenpflegerinnen oder Hebammen. Ich selbst bin seit mehr als 30 Jahren Rotkreuzschwester, habe viele Jahre in der Pflege gearbeitet. Und weil die Pflege nun mal unser Kerngeschäft ist, kommt an den vier Häusern nicht nur die Klinikdirektorin aus unseren Reihen, sondern jeweils auch die Pflegedirektorin. Das bedeutet aber nicht, dass fachfremde Männer bei uns keine Leitungsfunktion übernehmen dürfen, nur eben nicht in der Pflege. Wir haben in unseren Einrichtungen zum Beispiel männliche Stationsleiter, auch ein Teil der Pflegeschulen wird von Männern geführt. Und an unseren Schulen bilden wir selbstverständlich auch männliche Pfleger aus. Die Schwesternschaft München vom BRK e.V. ist ein Verein mit 1.450 Mitgliedern und Träger von vier Kliniken, sechs Pflegefachschulen, einer Seniorenresidenz sowie der Interdisziplinären Fortbildung. Über Gestellungsverträge sind die Rotkreuzschwestern außerdem in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen anderer Träger tätig. Sie leiten die Schwesternschaft bereits seit 17 Jahren, haben dann im Jahr 2017 die erste weibliche Krankenhausdirektorin etabliert. Seitdem wurden die Stellen der Krankenhausdirektoren sukzessive mit ihren Mitgliedern besetzt. Was hat sie denn nach so vielen Jahren zu diesem Schritt bewogen? Bis dato wurden die Kliniken von externen Geschäftsführern geleitet, die den Schwerpunkt – wie bei Klinikgesellschaften üblich – in erster Linie auf die Unternehmenszahlen legten. Diese Konstellation hat am Ende nicht mehr zu unseren Zielen gepasst. Wir wollen die strategische Entwicklung des Verbundes in eigener Hand behalten und gestalten. Dadurch können wir sicherstellen, dass der Fokus kontinuierlich auf der Pflege liegt. Warum erhält Ihr Berufsstand in Ihren Einrichtungen diese besonders große Bedeutung? Seit der Gründung der Schwesternschaft vor 150 Jahren liegt uns die Weiterentwicklung unseres Berufsstands am Herzen. Wie ein klassischer Berufsverband setzen wir uns für die Rechte der Pflegenden ein. Leider hat sich die Rolle unserer Profession in Deutschland noch nicht verändert. Es herrscht noch zu oft der Gedanke vor, dass Pflege jeder kann. Dabei übernimmt sie in den Kliniken eine zentrale Funktion, sie steuert den gesamten Behandlungsprozess und ist somit ein entscheidender Faktor in der Patientenversorgung. Pflegekräfte haben den Vorteil, dass sie viel näher an den Patienten dran sind als beispielsweise Medizin und Verwaltung. Wir wissen also, wovon wir sprechen. Aus meiner Sicht ist es an der Zeit, dass die Pflege einen verantwortungsvollen Part im Gesundheitssystem übernimmt. Hierzulande setzt man die Fähigkeit, eine Klinik zu führen, aber nicht mit pflegerischer Expertise gleich. Die Rolle des Entscheiders gesteht man uns aktuell noch nicht zu. Gilt das auch innerhalb ihrer Einrichtungen? Wie gehen denn zum Beispiel die Ärztinnen und Ärzte damit um, wenn ehemalige Pflegekräfte plötzlich ihre Vorgesetzten sind? Tatsächlich haben sich vor allem die Chefärzte zu Beginn schwer mit dieser Entscheidung getan. Dabei ist gar nicht unbedingt das Hauptproblem, dass sie von Frauen geführt werden – obwohl von den 25 Chefärzten gerade einmal eine Handvoll weiblich sind. Es war für manche Chefärzte nicht einfach, dass sie nun eine Vorgesetzte haben, die im Primärberuf Pflegefachkraft ist. Inzwischen gibt es für unser Führungsmodell aber auf allen Ebenen eine hohe Akzeptanz. Es war für manche Chefärzte nicht einfach, dass sie nun eine Vorgesetzte haben, die im Primärberuf Pflegefachkraft ist. Inzwischen gibt es für unser Führungsmodell aber auf allen Ebenen eine hohe Akzeptanz. Was hat sich in ihren Häusern geändert, seit vor mehr als fünf Jahren die erste Pflegefachkraft die Leitung eines ihrer vier Krankenhäuser übernahm? Wird seitdem anders kommuniziert oder gibt es neue Arbeitsabläufe? Die weiblichen Führungskräfte haben einen anderen Blick auf die Arbeitsabläufe als externe Geschäftsführer, weil sie ja jahrelang selbst in der Pflege tätig waren. Dadurch steht die Prozessqualität auch in einem anderen Fokus. Die Krankenhausdirektorinnen identifizieren sich als Mitglieder der Rotkreuzschwesternschaft mit den Zielen des Vereins. Außerdem führen Frauen anders als Männer: Menschlichkeit ist dabei ein ganz wichtiger Aspekt. Viele unserer jungen Kolleginnen sehen die Entwicklung sehr positiv. Also ein Modell mit Vorbildfunktion für andere Klinikbetreiber? Auf jeden Fall! Wie bereiten Sie die Pflegekräfte für künftige Führungsaufgaben in ihren Einrichtungen vor? Wir betreiben seit 20 Jahren eine interdisziplinäre Akademie, wo wir die Pfleger mit unterschiedlichsten Managementthemen vertraut machen. Hierbei kooperieren wir mit verschiedenen Fachhochschulen. Generell setzen wir uns für mehr Akademisierung in der Pflege ein. Allerdings müssen auch wir immer wieder intern dafür werben, dass die Frauen auch die entsprechenden Führungspositionen übernehmen wollen. Häufig trauen sich diejenigen, die Beruf und Familie vereinbaren möchten, in dieser Situation eine Führungsposition nicht zu. Unsere Mitglieder profitieren davon, dass wir sie in allen Lebenslagen unterstützen, zum Beispiel, wenn sie eine Familie gründen. Wir nehmen unsere Fürsorgepflicht sehr ernst und finden für jede Lebenssituation die passende Aufgabe, auch wenn es den Frauen einmal nicht so gut geht. Die Mitgliedschaft in unserem Verein besteht ein Leben lang. Sogar über das Ende der aktiven Beschäftigungszeit hinaus. Sie sind als Generaloberin und Vorstandsvorsitzende noch zwei Jahre im Amt, was wollen Sie ihrer Nachfolgerin mitgeben? Wir fragen uns im Verband regelmäßig, ob ein klassischer Frauenverein heutzutage überhaupt noch zeitgemäß ist. Meine Antwort lautet: ja! Denn leider gibt es im deutschen Gesundheitswesen noch immer keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, wenn es darum geht, Führungspositionen zu besetzen. Deshalb sind Organisationen wie unsere, die sich die Förderung von Frauen auf die Fahne geschrieben haben, weiterhin notwendig. Auch bei der Aufwertung der Pflege in Politik und Gesellschaft gibt es noch viel zu tun. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dürr! Edith Dürr (64) ist seit 2006 Generaloberin der Rotkreuzschwesternschaft München und Vorsitzende des Verbandes der Schwesternschaften vom Roten Kreuz in Bayern. 1993 schloss sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg ab. Seit 2014 ist sie außerdem Vorsitzende des Bayerischen Landespflegerates. Quelle: Ärzte Zeitung

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