Dem Tic keine Aufmerksamkeit schenken

Je mehr Patienten mit einem Tourette-Syndrom auf ihre Tics achten, umso häufiger treten sie auf. Mit der ATT (Attention Training Technique) wird deshalb versucht, die Aufmerksamkeit wegzulenken. Das könnte klappen. Tics sind kontextabhängig, erläuterte Dr. Daniel Alvarez-Fischer, Lübeck, auf dem Pädiatriekongress in München. Sie nehmen zu bei Aufregung, Anspannung und Stress, bei Langeweile, etwa während des Fernsehens, und bei inhomogenen äußeren Reizen wie Berührung. Eine Abnahme der Tic-Frequenz wird dagegen beobachtet bei Entspannung, Konzentration und bei zielgerichteten Willkürbewegungen. Gleiches gilt für den Einfluss homogener Reize, wie sie etwa beim Schwimmen auf den Organismus einwirken. Relevant ist aber auch, ob der Patient seine Aufmerksamkeit auf den Tic richtet. Tut er das, steigt die Tic-Frequenz an. Richtet er die Aufmerksamkeit auf etwas anderes, nimmt die Tic-Frequenz ab. Anhand von „Spiegelexperimenten“ konnte gezeigt werden, dass ein visuelles Feedback der eigenen Tics die Tic-Frequenz erhöht, sprich: Sieht sich der Patient im Spiegel ticken, steigt seine Tic-Frequenz. Wird sie gezielt von den Tics weggelenkt, etwa durch Trommeln mit den Fingern, lässt sich die Tic-Frequenz reduzieren. Automatisierte Verhaltensketten durchbrechen Eine Form der Tourette-Therapie ist das HRT (Habit Reversal Training). Die Patienten sollen das Vor- oder Dranggefühl, das dem Tic vorausgeht, wahrnehmen und die automatisierten Verhaltensketten durch alternative Handlungen durchbrechen. Sie führen dann Bewegungen aus, die das Ausführen des Tics unmöglich machen. Der Blick auf verschiedene Studien zeige allerdings, dass diese Option „keinen so guten Effekt hat“, so Alvarez-Fischer. Aufmerksamkeit nach außen richten Eine Alternative ist die ATT (Attention Training Technique), bei der die Aufmerksamkeit weg von dysfunktionalen Denkprozessen nach außen gerichtet wird. Die ATT besteht aus drei Phasen mit insgesamt etwa zwölf Minuten, in denen der Patient sich jeweils auf eines oder verschiedene Geräusche konzentriert. Es beginnt mit der selektiven Aufmerksamkeit, bei der sich der Patient auf drei Geräusche konzentriert, gefolgt vom Aufmerksamkeitswechsel, bei dem der Patient seine Aufmerksamkeit auf drei andere Geräusche innerhalb oder außerhalb des Raums richtet. Anschließend soll er seine Aufmerksamkeit nur auf eines der insgesamt sechs bis acht Geräusche richten und sie immer wieder rasch auf ein anderes verlagern. Die letzte Phase ist die geteilte Aufmerksamkeit, bei der die Aufmerksamkeit auf alle Geräusche gleichzeitig gerichtet werden soll. In einer kleinen Pilotstudie mit drei erwachsenen Patienten mit Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (DSM-V) wurde der Nutzen des ATT bei dieser Indikation untersucht. Die Patienten durchliefen zweimal pro Woche ein Therapeuten-assistiertes Training und führten zudem zweimal täglich ein Training zu Hause durch. „Danach waren die Tics praktisch weg“, so Alvarez-Fischer, die Lebensqualität nahm deutlich zu. Allerdings verschlechterte sich die Tic-Störung nach drei und sechs Monaten wieder. Das ATT scheint durchführbar und effektiv, aber wahrscheinlich seien „Booster“-Termine notwendig, lautete das Fazit von Alvarez-Fischer. Empfehlung der Redaktion Highlights aus München Dossier: Kongress für Kinder- und Jugendmedizin 2019 Was gab's Neues auf dem Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in München? Wir waren vor Ort: Aktuelle Meldungen und Experten-Interviews bündelt dieses Dossier. basierend auf: Alvarez-Fischer D., "Neue Therapien für das Tourette Syndrom", Kongress für Kinder- und Jugendmedizin 2019, 12.9.2019, München

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