Es ist bis heute unklar, welche kardialen Untersuchungen bei Patienten mit Niereninsuffizienz in Vorbereitung auf eine Nierentransplantation durchgeführt werden sollen. Das hohe kardiovaskuläre Risiko von Nierenpatienten bedingt allerdings eine Abklärung vor dem geplanten Eingriff. Während manche Zentren bei den vorgesehenen Untersuchungen sehr zurückhaltend sind, schlagen andere eine invasive Untersuchung mittels Koronarangiographie vor. Eine konsequente Einschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit einer kardialen Pathologie sollte vor der Testauswahl erfolgen, um unnötige nichtinvasive Test bei Hochrisikopatienten zu vermeiden. Wird schließlich eine koronare Herzerkrankung nachgewiesen, sind weitere Frage nach der adäquaten Versorgung der kritischen Koronarläsionen zu klären, obwohl eine breite evidenzbasierte Datenlage dazu noch nicht existiert. Ob einer konservativen Behandlung oder einer Sanierung mittels Angioplastie/Stenting bzw. einer Bypassoperation der Vorzug gegeben wird, hängt von der Ausprägung der Koronarerkrankung ab und muss in Absprache mit Kardiologen und Herzchirurgen festgelegt werden.
Hinweise
Redaktion
D. Fliser, Homburg/Saar
J. Hoyer, Marburg
Einleitung
Fast jeder Artikel zum Thema „Nierentransplantation“ beginnt mit dem Satz: „Die Nierentransplantation ist die beste Form der Nierenersatztherapie und ermöglicht ein Leben mit fast normaler Lebensqualität.“ Dies mag für den Großteil der jüngeren Patienten und für ausgewählte ältere Patienten zutreffen. Bei Patienten mit vielen Komorbiditäten und dem Risiko einer Aggravation von Begleiterkrankungen unter Immunsuppression kann dieses Ziel aber häufig nicht erreicht werden. In den meisten Dialyseabteilungen sind nur weniger als 20 % der Patienten aktiv für eine Transplantation gelistet. Die anderen 80 % der Patienten kommen aufgrund ihres Allgemeinzustands oder ihrer Multimorbidität für eine Transplantation nicht in Frage. Sie würden von dem Eingriff keinen Nutzen erzielen bzw. sogar Nachteile erleiden. Im Median dauert es nach erfolgreicher Transplantation bei über 60-jährigen Patienten etwa 1 Jahr, bis ein Überlebensvorteil im Vergleich zum Verbleib an der Dialyse besteht [15]. Transplantationskandidaten werden vor der Aufnahme auf die Transplantationswarteliste einer kritischen medizinischen Begutachtung unterzogen. Diese soll Komorbiditäten rechtzeitig erkennen, um sie erfolgreich behandeln zu können, und so die Transplantation ermöglichen.
Da in der klinischen Medizin zunehmend empfohlen wird, in Diagnostik und Therapie leitliniengerecht vorzugehen, sollen rezente Leitlinien zum Thema „kardiovaskuläre Abklärung vor Nierentransplantation“ kurz angesprochen werden. Das ist sinnvoll, um Fehler oder wenig sinnvolle Interventionen zu vermeiden. Allerdings ist der Evidenzgrad der meisten Empfehlungen (Grade-System) für Transplantationskandidaten wie auch in anderen Teilbereichen der Nephrologie erstaunlich niedrig. Es bleibt auch unklar, wie relevant allgemeine Empfehlungen für den individuellen Patienten sein können. Asch und Hershey weisen in ihrer Publikation „Why some health policies don’t make sense at the bedside“ [1] darauf hin, dass die Kategorisierung von Patienten in Risikostrata oft ungenau sei, da viele sozioökonomische Faktoren und Patientenpräferenzen in den Guidelines nicht abgebildet werden könnten, aber einen sehr wesentlichen Anteil am Gesamtergebnis hätten. Dies trifft zweifelsfrei für die Gruppe der Nierenpatienten, die für eine Organtransplantation evaluiert werden, zu.
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KDIGO-Empfehlungen
KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) wird Anfang 2020 im Journal Transplantation eine Kurzfassung ihrer neuen Richtlinien zu „Evaluation and management of candidates for kidney transplantation“ publizieren (Voransicht der Langfassung unter https://kdigo.org/guidelines/transplant-candidate/ abrufbar).
Es sind 11 Empfehlungen zu kardiovaskulären Erkrankungen angeführt, wobei einige „ungraded“, also ohne genauere Bewertung, bleiben, weil entweder zum jeweiligen Thema keine Daten vorliegen oder die Tests ohnehin der regulären klinischen Praxis entsprechen. Als Beispiel einer Ungraded-Empfehlung vor einer Abklärung zur Aufnahme auf die Warteliste wird erwähnt, dass alle Patienten bezüglich einer kardialen Vorerkrankung befragt, einer physikalischen Krankenuntersuchung unterzogen sowie mittels EKG untersucht werden sollten. Ebenso bleibt „ungraded“, dass alle klinisch symptomatischen Patienten von einem Kardiologen begutachtet werden sollen (welcher dann im Einklang mit den jeweiligen nationalen Richtlinien behandeln soll). Eine Echokardiographie wird bei Patienten erst 2 Jahre nach Dialysestart bzw. bei Patienten mit Risikofaktoren für eine pulmonale Hypertonie empfohlen (Grade 2D). Patienten mit kardialen Vitien sollen so wie alle anderen Patienten ohne Nierenerkrankungen behandelt werden.
KDIGO empfiehlt, dass asymptomatische Patienten mit bekannter koronarer Herzkrankheit (KHK) nicht ausschließlich zum Zweck der Aufnahme auf die Warteliste bzw. wegen einer bevorstehenden Transplantation interveniert und revaskularisiert werden sollen (Grade 1B, Punkt 13.3.1). Diese auch aus unserer Sicht sinnvolle Vorgehensweise wird vielerorts nicht verfolgt. Häufig erfolgt bei Patienten mit bekannter KHK auch dann eine Revaskularisation (meist durch PTCA [perkutane transluminale Koronarangioplastie], seltener durch CABG [„coronary artery bypass graft“]), wenn sie asymptomatisch sind.
Asymptomatische Patienten mit hohem Risiko für ein koronares Ereignis (Diabetespatienten, vorhergehendes kardiovaskuläres Ereignis) sollen nach KDIGO-Empfehlung nichtinvasiv abgeklärt werden. Obwohl einer der Autoren dieser Übersicht (als einer von 2 europäischen Vertretern) die KDIGO-Guidelines mitverfasst hat, können wir uns mit dieser allgemeinen Empfehlung nicht vollinhaltlich identifizieren. Denn wie später im Kapitel „Der diagnostische Test“ ausgeführt, muss die Komplexität des „Nierenpatienten“ genauer berücksichtigt und individuell für jeden Patienten eine Entscheidung zur Art der kardialen Abklärung getroffen werden.
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Generell sollten Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz (NYHA[New York Heart Association]-Klasse 3–4), deren Befunde/Symptome durch eine optimierte Behandlung nicht verbessert werden konnten, von einer Nierentransplantation exkludiert werden. In ausgesuchten Einzelfällen kann eine simultane Herz- und Nierentransplantation angedacht werden.
DESCARTES-Empfehlungen
Die DESCARTES(Developing Education Science and Care for Renal Transplantation in European States)-Arbeitsgruppe der ERA(European Renal Association)-EDTA (European Dialysis and Transplant Association) hat in einer rezenten Publikation verschiedene Richtlinien nationaler und internationaler wissenschaftlicher Gesellschaften zusammengefasst [10]. Es besteht allgemeine Übereinstimmung, dass ein EKG und eine Echokardiographie als Vorbereitung zur Nierentransplantation bei allen Transplantationskandidaten durchgeführt werden soll. Die meisten Richtlinien vertreten die Ansicht, dass eine kardiale Abklärung bei der Mehrzahl der Patienten nur in bedingtem Ausmaß erforderlich ist und dass nur bei höherem kardiovaskulären Risiko die kardiale Evaluierung mittels nichtinvasiver Stresstests erfolgen soll.
Diesen Vorschlägen können wir uns aus 2 Gründen nicht anschließen:
1.
Fast alle Dialysepatienten weisen ein nicht zu vernachlässigendes kardiovaskuläres Risiko auf.
2.
Nichtinvasive Tests sind bei niereninsuffizienten Patienten nicht gut geeignet, eine KHK zu detektieren bzw. kardiovaskuläre Ereignisse („major adverse cardiovascular events“, MACE) vorauszusagen [11, 14].
Wir konnten unter anderem zeigen, dass eine Fahrradergometrie bei Transplantationskandidaten schon aufgrund der fehlenden Ausbelastung nur bei 37 % der Patienten aussagekräftig war (hingegen erreichten 82 % der gesunden Nierenspender die geforderte Leistungsfähigkeit, die Grundlage für eine suffiziente Testbewertung ist; [8]).
Insgesamt werden, so wie vor Kurzem in einer KDIGO-Konsensuskonferenz, prospektive Studien zu dem Thema der kardialen Abklärung bei Transplantationskandidaten gefordert, da die Evidenz bezüglich Diagnose, Prognose und Therapie der KHK bei CKD („chronic kidney disease“) bisher sehr gering ist [13].
Diagnostischer Test
Sensitivität und Spezifität
Aufgrund der Charakteristika kardialer Screeningtests ergibt sich eine nur sehr eingeschränkte Rationale für ihre Anwendung bei niereninsuffizienten Patienten.
Die Testcharakteristika werden meist mit Sensitivität und Spezifität bzw. c‑Statistiken angegeben. Die Sensitivität eines Tests beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein diagnostischer Test (z. B. Stressecho bei KHK) positiv ist, wenn der Patient auch tatsächlich eine KHK hat. Die Werte von Sensitivität und Spezifität des Tests ergeben sich aus früheren Evaluierungen des Tests bei Personen, bei welchen man den Erkrankungsstatus schon kannte. D. h. es wird eigentlich die Performance des Tests bei Patienten mit einer bekannten Erkrankung beschrieben. Dies hilft im klinischen Alltag allerdings wenig.
KDIGO hat vor Kurzem die Testcharakteristika nichtinvasiver Test zusammengefasst (Abb. 1).
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Für den Kliniker aussagekräftiger ist der „predictive value“, der die Wahrscheinlichkeit angibt, mit der eine Erkrankung (z. B. KHK) vorliegt, wenn der Test positiv bzw. negativ ist. Dieser Wert hängt von der Prävalenz der zu untersuchenden Erkrankung ab. Bei niedriger Krankheitsprävalenz (z. B. bei einer Prävalenz <1 %) kann der PPV(„positive predictive value“, Vorhersagewahrscheinlichkeit für eine Erkrankung)-Wert trotz 80 %iger Sensitivität der durchgeführten Untersuchung unter 1 % liegen. Das bedeutet, dass selbst bei einer hohen Sensitivität eines Tests eine Erkrankung bei geringer Prävalenz mit diesem Test nicht sicher erkannt wird. Deshalb müssen diagnostische Tests gezielt und patientenbezogen eingesetzt und auf ihre zu erwartende Aussagekraft kritisch überprüft werden.
Vortestwahrscheinlichkeit
Die anzuwendende Untersuchungsmethode richtet sich nach der Vortestwahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ergebnis, denn die Aussagekraft eines Tests wird von der Situation mitbestimmt, in welcher er durchgeführt wird. Die Vortestwahrscheinlichkeit hängt vom bestehenden Risiko (aus der Literatur/aus publizierten Daten bekannt) wie auch von der Situation/Präsentation des individuellen Patienten ab. Die Höhe der Vortestwahrscheinlichkeit bestimmt wesentlich die Aussagekraft der geplanten Untersuchung. Bestehen etwa bei einem Test eine Sensitivität und Spezifität von 85 %, bedeutet dies, dass 15 % der Testergebnisse entweder falsch-positiv oder falsch-negativ sein können. Wenn nun die Vortestwahrscheinlichkeit geringer ist als die Fehlerquote des Tests (z. B. <15 %), kann nicht erwartet werden, dass durch den Test die Treffsicherheit für die Diagnose erhöht wird. Bei einer sehr hohen Vortestwahrscheinlichkeit (z. B. >85 %), d. h. bei Patienten, bei welchen eine sehr große Wahrscheinlichkeit z. B. für eine KHK besteht, ergeben nichtinvasive Tests mit ihren Werten für Sensitivität und Spezifität ebenso wenig Sinn, da sie die Genauigkeit der Diagnose nicht erhöhen.
Die Höhe der Vortestwahrscheinlichkeit bestimmt wesentlich die Aussagekraft der geplanten Untersuchung
Der Parameter, der die Schwelle für eine Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit determiniert, ist die „likelyhood ratio“ (LHR). Sie ist der Quotient aus der Wahrscheinlichkeit eines Testergebnisses bei Patienten mit KHK und der bei Patienten ohne KHK. Bei positivem Testergebnis gilt LHR = Sensitivität/1 − Spezifität, bei negativem Testergebnis gilt LHR = 1 − Sensitivität/Spezifität. Wenn die LHR nicht größer als 10 oder kleiner als 0,1 ist, dann hat der Test üblicherweise bei mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit keinen Sinn (Abb. 2; siehe auch „The threshold approach to clinical decision making“ von Pauker und Kassirer [12]).
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Bei asymptomatischen Patienten vor oder auch nach einer Nierentransplantation sind nichtinvasive Verfahren für einen sicheren KHK-Ausschluss nicht geeignet. Besonders bei terminal niereninsuffizienten Patienten weisen alle nichtinvasiven Tests keine ausreichende LHR auf, weshalb keine ausreichende Nachtestwahrscheinlichkeit erzielt werden kann. Diese wäre aber zum Ausschluss oder zur Bestätigung einer KHK und für die Entscheidung bezüglich der subsequenten Therapie notwendig.
Unsere Schlussfolgerung ist daher, dass bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit für eine KHK, wie dies bei Patienten an der Nierenersatztherapie üblich ist, insbesondere bei symptomatischen Patienten, gleich der diagnostische „Goldstandard“, also eine Koronarangiographie durchgeführt werden soll, da nichtinvasive Tests hier keine zusätzlichen Erkenntnisse bringen. Ausnahmen können bei Patienten mit niedriger Vortestwahrscheinlichkeit, z. B. bei kurzer Dialysedauer, niedrigerem Patientenalter und Fehlen von Risikofaktoren wie Diabetes, Rauchen, Adipositas oder Hyperlipidämie, gemacht werden, bei welchen keine weitere Koronarabklärung erforderlich ist. Eine Bestimmung des hs(„high-sensitive“)-Troponin-T-Verlaufs wird üblicherweise nur bei symptomatischen Patienten durchgeführt und hilft dabei, auch bei niereninsuffizienten Patienten die Vortestwahrscheinlichkeit für eine KHK zu verbessern.
Tests zur Evaluation einer KHK bei asymptomatischen Patienten mit terminaler Nierenerkrankung
Ergometrie
Ein Hauptproblem der Ergometrie besteht in der oft stark eingeschränkten Leistungsfähigkeit von ESRD(„end-stage renal disease“)-Patienten. Durch die fehlende körperliche Ausbelastung ist die Fahrradbelastung diagnostisch sehr häufig nicht verwertbar. Bei unseren 453 Patienten waren nur 37 % der Ergometrieuntersuchungen aussagekräftig. Dieses grundlegende Problem überstrahlt bei der nephrologischen Population die ohnehin auch bei asymptomatischen gesunden Personen diskutierte und kritisch bewertete Qualität der Fahrradergometrie als Screeningmethode zur Detektion einer KHK.
Stressecho, Myokardszintigraphie
Stressecho, sowie Myokardszintigraphie sind nicht geeignet, die Nachtestwahrscheinlichkeit so zu ändern, dass im Fall eines negativen Ergebnisses die KHK ausgeschlossen werden kann oder andererseits bei einem positiven Ergebnis die Entscheidung für die Notwendigkeit einer Koronarangiographie wesentlich beeinflusst wird. Zudem ist das Stressecho in hohem Maße untersucherabhängig und daher in der Reproduzierbarkeit eingeschränkt.
Koronar-CT
Die koronare Computertomographie (Koronar-CT) wäre eine standardisierte Untersuchung, kommt aber wegen der notwendigen hohen Kontrastmittelmenge bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion meist nicht als Screeninguntersuchung in Frage.
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Koronarangiographie
Die Koronarangiographie als Goldstandard erscheint zur Absicherung der Diagnose einer KHK als Untersuchung der Wahl. Sie bietet zudem den Vorteil, dass bei signifikanten Koronarstenosen PTCA-Interventionen in der gleichen Sitzung durchgeführt werden können.
Risikostratifizierung und kardiale Update-Untersuchung in der Wartezeit
Koronare Herzkrankheit
Im Falle einer Lebendspende läuft die Empfängerevaluation nicht wesentlich anders ab als bei Patienten, die für die Aufnahme auf die Warteliste für eine Leichennierentransplantation abgeklärt werden. Bei Letzteren ist nach Aufnahme auf die Warteliste allerdings auch das Intervall von Update-Untersuchungen während der Wartezeit zu überlegen.
Da die Wartezeit auf ein Organ in manchen Ländern doch mehrere Jahre beträgt und die Progredienz der KHK bei Dialysepatienten deutlich rascher verläuft als bei Patienten ohne Nierenerkrankung, empfiehlt sich eine Echokardiographie in jährlichem Abstand. Die Bedeutung des Herzechos zur Risikoabschätzung in dieser Patientengruppe wird durch den Umstand unterstützt, dass die kardiale Haupttodesursache von ESRD-Patienten der arrhythmiebedingte plötzliche Herztod (bei massiver linksventrikulärer Hypertrophie bzw. Kardiomyopathie) und nicht ein koronares Ereignis ist. [7]. Eine koronare Abklärung sollte bei symptomatischen Patienten erfolgen. Eine große kanadisch-australische Studie mit dem Akronym CARSK (Canadian Australasian Randomized Trial of Screening Kidney Transplant Candidates for Coronary Artery Disease) untersucht derzeit bei über 3000 Patienten, ob das „koronare Screening“ von Patienten auf der Transplant-Warteliste zur Verhinderung von MACE sinnvoll ist oder nicht [16].
Wie im Kapitel „Diagnostischer Test“ beschrieben, hängt das praktische Vorgehen derzeit weiter von der klinischen Einschätzung des Risikos für eine KHK ab.
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Herzinsuffizienz
KDIGO hat sich des Themas „Herzinsuffizienz bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz“ angenommen und alle rezenten Studien zu Herzinsuffizienz bei Patienten vor und nach der Nierentransplantation zusammengefasst (siehe Tab. 1 in [9]). Die Prävalenz schwankt je nach Population zwischen 10 und 48 %. Das Vorhandensein einer Herzinsuffizienz erhöht das Sterberisiko um das 2‑ bis 4‑Fache. Die konservative Therapie der Herzinsuffizienz bei Patienten mit terminaler Nierenerkrankung (CKD-Stadium 5) ist in Abb. 5 dieses KDIGO-Berichts dargestellt; die beste Evidenz für die Behandlung der Herzinsuffizienz liegt für den Betablocker Carvedilol vor.
Therapeutische Möglichkeiten – Ergebnisse und „trade-off“ der Revaskularisation vor Transplantation
Vor Kurzem wurden die Daten der kontrollierten ISCHEMIA(International Study Of Comparative Health Effectiveness With Medical And Invasive Approaches)-Studie präsentiert (>5000 Patienten; invasive Routinetherapie [n = 2588] vs. konservative medikamentöse Therapie [n = 2591] mit stabiler KHK und moderatem bis deutlichem Ischämienachweis [in nichtinvasiven Untersuchungen]). Sie zeigten keine MACE-Reduktion durch eine routinemäßige, invasive Abklärung/Therapie im Vergleich zu einem konservativen Vorgehen. Nach 6 Monaten führte die invasive Therapie zu einer Erhöhung der periinterventionellen Myokardinfarkte, nach 4 Jahren waren aber Vorteile in Hinblick auf spontane Infarkte zu beobachten. Aufgrund dieses differenzierten Verhaltens im Hinblick auf Nutzen/Schaden folgerten die Autoren, dass eine invasive Therapie bei stabiler ischämischer KHK sorgfältig überlegt werden sollte. Sie soll von der vorbestehenden Therapie, dem Ausmaß der Angina-Pectoris-Symptomatik und der Wahrscheinlichkeit eines komplikationslosen Eingriffs mitbestimmt werden (presented by Judith S. Hochman at the American Heart Association Annual Scientific Sessions [AHA 2019], Philadelphia, PA, November 16, 2019; https://www.acc.org/latest-in-cardiology/clinical-trials/2019/11/15/17/27/ischemia).
In der gleichzeitig vorgestellten ISCHEMIA-CKD-Studie [2] zeigte sich bei Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von weniger als 30 ml/min (invasive Routinetherapie [n = 388] vs. konservative medikamentöse Therapie [n = 399]) und einem Ischämienachweis in nichtinvasiven Untersuchungen kein signifikanter Vorteil einer invasiven Abklärung/Therapie gegenüber einem konservativen Management [3]. Der primäre Endpunkt (Tod, Myokardinfarkt) trat nach 2,2 Jahren in der invasiv behandelten Gruppe bei 36,4 % und in der konservativ behandelten Gruppe bei 36,7 % auf (p = 0,95). Auch wenn keine Unterschiede in den unterschiedlichen Behandlungsstrategien nachweisbar waren, unterstreichen die Daten das sehr hohe Sterberisiko von Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz.
Die Studienergebnisse sind auch für Transplantationskandidaten von Bedeutung. Sie stellen die bei asymptomatischen Patienten mit signifikanten Koronarstenosen bisher häufig durchgeführten PTCA-Interventionen in Frage. Nach einer Intervention ergibt sich zudem ein weiteres Problem: Bei den häufig verwendeten beschichteten Stents ist eine mehrmonatige duale Plättchenblockade notwendig. Zumindest für die Dauer der intensiven Thrombozytenaggregationshemmung gilt der Wartelistenpatient als nicht transplantabel und hat somit in dieser Zeit keine Chance auf ein Nierenangebot. Ähnliches gilt für eine koronare Bypassoperation, nach der die Patienten während der Rekonvaleszenz einige Wochen bis Monate nicht transplantierbar sind. Auch die im Vergleich zu Nierengesunden erhöhte Mortalität von Dialysepatienten unter dualer Plättchenblockade muss in Betracht gezogen werden [4]. In dieser CREDO(Clopidogrel for the Reduction of Events During Observation)-Studie wurde auch kein additiver Nutzen der dualen Blockade (vs. Placebo) bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz gezeigt.
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Eine rezente „comparative effectiveness analysis“ der 3 möglichen therapeutischen Strategien (konservativ, PTCA, CABG) aus Minnesota und Boston zeigt deutlich, dass die Wahl des Vorgehens bei CKD-Patienten von der Vortestwahrscheinlichkeit, d. h. vom Ausgangsrisiko einer KHK, abhängt [5]. Eine koronare Revaskularisation bringt keinen Überlebensvorteil bei Patienten mit niedrigem Risiko, aber verlängert das Leben bei Patienten mit hohem Koronarrisiko, wobei die Bypassoperation ein höheres Mortalitätsrisiko hat und auch das Risiko eines permanenten terminalen Nierenversagens bei zugrunde liegender chronischer Niereninsuffizienz erhöht ist.
Da die Progredienz der KHK bei ESRD auch wegen des sehr variablen Verlaufs nicht gut untersucht ist, muss die Entscheidung über das klinische Vorgehen v. a. auch bei längerer Wartezeit individuell getroffen werden. Dies gilt sowohl für die Wahl der Untersuchung bzw. Therapie (konservativ vs. invasiv) als auch für die Intervalle der Update-Untersuchungen.
Fazit für die Praxis
Asymptomatische Patienten mit geringer Vortestwahrscheinlichkeit für eine koronare Herzkrankheit benötigen bis auf kardiologische Anamnese, klinische Untersuchung, EKG und Echokardiographie keine weitere Abklärung.
Bei asymptomatischen Patienten mit hohem koronaren Risiko und daher hoher Vortestwahrscheinlichkeit helfen nichtinvasive Tests nicht. Daher ist in diesem Fall gleich der „Goldstandard“, also die Koronarangiographie, die sinnvollste Untersuchung.
Symptomatische Patienten müssen koronarangiographiert werden.
Es ist bisher unklar, ob ein koronares Stenting gegenüber einer konservativen Therapie bei Niedrigrisikopatienten mit chronischem Nierenversagen einen Vorteil bringt.
Symptomatische Hochrisikopatienten mit signifikanten Koronarstenosen müssen mit Angioplastie/Stenting oder einer Bypassoperation versorgt werden. Welchem der beiden Verfahren der Vorzug zu geben ist, hängt von den Komorbiditäten und der Koronarerkrankung ab und muss in Absprache mit Kardiologen und Herzchirurgen festgelegt werden. Die Patientenpräferenz ist verständlicherweise die oberste Instanz.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
B. Watschinger und R. Oberbauer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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