Erschienen in:
11.06.2021 | Künstliche Intelligenz | Leitthema
Künstliche Intelligenz – ein Mythos des 21. Jahrhunderts?
verfasst von:
Prof. Dr. Walther Ch. Zimmerli, DPhil h.c. (University of Stellenbosch)
Erschienen in:
Die Gynäkologie
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Ausgabe 7/2021
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Zusammenfassung
Im Beitrag wird versucht, die gegenwärtige Hochkonjunktur der Künstlichen Intelligenz (KI) auf die zugrundeliegenden archetypischen Denkmuster und die sich in ihnen äußernde Mythen zurückzuführen, z. B. auf den „Mythos der denkenden Maschine“ oder denjenigen der „digital natives vs. digital immigrants“. Im Zentrum des Interesses steht dabei der „Mythos der Singularität“, d. h. die Idee, dass die Leistungen der KI in nicht allzu ferner Zukunft diejenigen der menschlichen Intelligenz in jeglicher Hinsicht übertreffen werden. Dabei wird aufgezeigt, dass die spezifisch mythologische Anmutung dieser Idee darauf beruht, dass sie die religiöse Sprache der christlichen Eschatologie verwendet: Das Versprechen „Die Singularität naht“ greift die eschatologischen Formel „Das Ende der Welt und daher die Ankunft des Reiches Gottes naht“ auf. Eine kritische Analyse der besagten Bestimmung von „Singularität“ zeigt jedoch, dass wir Menschen, die wir nur über natürliche Intelligenz verfügen, per definitionem gar nicht in der Lage wären zu bemerken, wenn Singularität im Sinne einer „intelligence greater than ours“ eines Tages erreicht werden sollte; das bedeutet, dass dies für uns gar keinen Unterschied machen würde. Diese Einsicht, dass wir nicht fähig sein würden, das Erreichen von Singularität zu erkennen, entbindet uns jedoch nicht von der Verpflichtung, die Auswirkungen von KI auf uns Menschen besser zu verstehen.