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Erschienen in: Rechtsmedizin 6/2022

Open Access 23.02.2022 | Leichenschau | Originalien

Sterbefälle mit unbekannter oder ungenau bezeichneter Todesursache – attestierte Todesarten und durchgeführte Obduktionen

Eine Analyse Münchner Todesbescheinigungen

verfasst von: Dr. med. Maike Krause, M. Graw, S. Gleich

Erschienen in: Rechtsmedizin | Ausgabe 6/2022

Zusammenfassung

Hintergrund

Eine unzureichende Qualität von Leichenschau und ausgefertigten Todesbescheinigungen (TB) ist in der Literatur seit langem Gegenstand kontroverser Diskussionen. Häufig zu bemängeln sind fehlerhafte oder unplausible Kausalketten und eine fälschlicherweise attestierte natürliche Todesart.

Ziel der Arbeit

Es soll untersucht werden, welche Todesart bei einer unbekannten oder ungenau bezeichneten Todesursache durch den Leichenschauer attestiert wurde, und wie häufig bei diesen Fällen eine Obduktion am Institut für Rechtsmedizin (IRM) durchgeführt wurde.

Methode

Es wurden vertraulicher und nicht vertraulicher Teil aller TB des 2. Quartals 2013 der Stadt München standardisiert erfasst und statistisch ausgewertet.

Ergebnisse

Im Studienzeitraum wurden insgesamt 3228 TB erfasst. Es wurde bei 900 Fällen (27,9 %) unter Ia bzw. bei 462 Fällen (14,3 %) unter Ic eine unbekannte oder ungenau bezeichnete Todesursache attestiert. Trotz unbekannter Todesursache wurde gleichzeitig bei 4,0 % der Fälle eine natürliche Todesart bescheinigt. Eine Obduktion wurde bei Sterbefällen mit unbekannter Todesursache um ein Vielfaches häufiger (Ia: 52,0 % und Ic: 52,1 %) als bei Fällen mit ungenau bezeichneter Todesursache durchgeführt (Ia: 5,2 % und Ic: 7,5 %).

Diskussion

Bei den meisten Fällen haben die Leichenschauer die korrekte Todesart bei einer unbekannten Todesursache attestiert (96,0 %), jedoch bei 4,0 % auch fälschlicherweise gleichzeitig eine natürliche Todesart. Dies hat weitreichende, insbesondere strafprozessuale Konsequenzen, da bei Angabe einer natürlichen Todesart keine Benachrichtigung der Ermittlungsbehörden mit dem Ziel der Klärung der Todesumstände erfolgt. An dieser Stelle besteht das Risiko einer „Erfassungslücke“ nicht natürlicher Todesfälle.
Hinweise
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Hintergrund und Fragestellung

Seit vielen Jahren ist die Qualität der Leichenschau nicht nur in Fachkreisen ein häufig kritisiertes und diskutiertes Thema [14]. Eine systematische Untersuchung von 10.000 Todesbescheinigungen (TB) aus dem Einzugsgebiet des Rostocker Krematoriums über einen Zeitraum von knapp 3 Jahren (2012–2015) zeigte eine bedenkliche Quote von 97,7 % fehlerhaft ausgestellter TB [5]. Bei den schwerwiegenden Fehlern dominierte ein Anteil von 12,7 %, der sich auf eine fehlerhafte Kausalkette bezog. In einer Untersuchung des Referates für Gesundheit und Umwelt (RGU) München wurde im Untersuchungszeitraum zwischen 2010 und 2013 ca. jede 10. TB beanstandet, 1 % dieser Beanstandungen bezog sich dabei auf die vom Leichenschauer (LS) attestierte Todesart, die unplausibel oder fehlerhaft war [6]. In einer Folgestudie des RGU wurde von leichenschauenden Ärzten bei 0,3 % der untersuchten Fälle fälschlicherweise eine natürliche Todesart bescheinigt, obwohl die Angabe einer nicht natürlichen bzw. ungeklärten Todesart richtig gewesen wäre [7]. Die fachärztliche Prüfung auf formale Richtigkeit und Plausibilität von Todesbescheinigungen ist eine der Aufgaben der Gesundheitsämter. Die Angabe der Todesart durch den LS hat dabei weitreichende Konsequenzen, insbesondere auch strafrechtlicher Art [1], da sie darüber entscheidet, ob es bei Angabe einer ungeklärten bzw. nicht natürlichen Todesart durch die Einschaltung von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines Todesermittlungsverfahrens kommt.
Im Rahmen der Dissertation der Erstautorin wurden alle im RGU München eingegangenen TB des 2. Quartals 2013 auf bestimmte epidemiologische Fragestellungen zu Sterbeorten untersucht. In dieser Publikation soll jetzt ergänzend die Fragestellung untersucht werden, welche Todesarten vom LS attestiert wurden, wenn von ihm eine unbekannte oder ungenau bezeichnete Todesursache angegeben wurde. Ebenso soll ausgewertet werden, wie häufig bei derartigen Konstellationen eine Obduktion am Institut für Rechtsmedizin (IRM) der Ludwig-Maximilians-Universität durchgeführt wurde. Zu den am IRM durchgeführten Obduktionen zählen neben den zahlenmäßig weit überwiegenden gerichtlichen Leichenöffnungen auch private und versicherungsrechtliche Obduktionen. Klinisch-pathologische Obduktionen werden separat gezählt.

Material und Methoden

Der nicht vertrauliche und der vertrauliche Teil aller im RGU eingegangenen TB des 2. Quartals 2013 (01.04.2013–30.06.2013, 13 Wochen) der Landeshauptstadt und freien Kreisstadt München wurden geprüft (n = 3228). Die vorab festgelegten metrischen und nominalen Variablen wurden nach vorgegebenem Schlüssel in Microsoft Excel (Microsoft Office 2011) eingegeben. Durch den LS angebrachte Korrekturen der Todesbescheinigungen, die nach Sichtung der TB durch das RGU veranlasst worden waren, wurden dabei nicht berücksichtigt. Die unter Ia und Ic attestierten Todesursachen wurden in Anlehnung an die Gesamtgruppierung der Diagnosen analog der ICD-10-Klassifikation (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) nach Kapitel verschlüsselt, die detaillierten Ziffern wurden dabei nicht berücksichtigt.
Die Todesursache wurde bei den Fällen als „unbekannt“ eingeordnet, bei denen der LS im Freitext der Kausalkette „unbekannt“ dokumentierte, oder bei denen er keine Angabe der Todesursache in der Kausalkette machte. Die Einordnung als „ungenau bezeichnete Todesursache“ erfolgte bei den Fällen, bei denen der LS zwar eine Angabe zur Todesursache in der Kausalkette machte, diese Angabe jedoch keiner Diagnose nach ICD-10 zuzuordnen war, z. B. „Kachexie“ oder „Multiorganversagen“. Die Angabe „Atemstillstand“, „Herz-Kreislauf-Versagen“ oder „Asystolie“ wurde bei der Verschlüsselung der Todesursachen den Endzuständen zugeordnet.
Wurde ein Unfall oder Suizid in der Kausalkette dokumentiert, anstatt korrekterweise unter „Angaben über den Hergang“ auf der TB, wurden diese Angaben der unkorrigierten Version der TB des LS abgebildet und bei der Verschlüsselung der Todesursachen (in diesen Fällen analog ICD-10-Kapitel XX, „Äußere Ursache von Morbidität und Mortalität“) bei der Erfassung berücksichtigt.
Zur deskriptiven statistischen Auswertung wurde IBM SPSS Statistics Version 23 verwendet. Die Daten wurden anonymisiert aggregiert ausgewertet.

Ergebnisse

Charakterisierung der im Studienzeitraum Verstorbenen – Gesamtkollektiv

Insgesamt wurden im Studienzeitraum 3228 Todesbescheinigungen (100 %) gesichtet. Das Geschlechterverhältnis war nahezu ausgeglichen; das durchschnittliche Sterbealter lag bei 75,2 Jahren. Bei 83,7 % der Fälle wurde durch den LS eine natürliche Todesart bescheinigt, bei 11,5 % eine ungeklärte und bei 4,7 % eine nicht natürliche Todesart. Bei 3 Fällen (0,1 %) erfolgte durch den LS keine Angabe zur Todesart auf der TB. Bei 17,9 % der Verstorbenen wurde vom LS eine Obduktion angestrebt; obduziert wurde jeder 10. Verstorbene (Tab. 1).
Tab. 1
Auswertung der Todesbescheinigungen im Studienzeitraum, Basisdaten, Gesamtkollektiv
Untersuchte Parameter
Alle Fälle
n = 3228 (100 %)
Geschlecht
Männlich
1591 (49,3 %)
Weiblich
1637 (50,7 %)
Alter (Jahre)
Median
79
Mittelwert
75,2
Spannweite
0–107
Todesart
Natürliche Todesart
2703 (83,7 %)
Ungeklärte Todesart
370 (11,5 %)
Nicht natürliche Todesart
152 (4,7 %)
Keine Angabe
3 (0,1 %)
Obduktion angestrebt
Ja
579 (17,9 %)
Nein
2541 (78,7 %)
Keine Angabe
108 (3,4 %)
Obduktionen durchgeführt
Nein
2924 (90,6 %)
Ja
304 (9,4 %)
Davon:
Obduktion am IRMa
244 (80,3 %)
Klinisch-pathologische Obduktion
60 (19,7 %)
a IRM Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität
Die in Diagnosegruppen analog ICD-Klassifikation verschlüsselten Todesursachen können Tab. 2 und 3 entnommen werden. Eine unbekannte oder ungenau bezeichnete Todesursache wurde vom LS am häufigsten unter Ia angegeben (n = 900 Fälle, 27,9 %), am dritthäufigsten unter Ic (n = 462 Fälle, 14,3 %).
Tab. 2
Auswertung, Gesamtkollektiv, angegebene Todesursachen, Kausalkette Ia
Todesursachen analog ICD-10-Kapitela
Alle Fälle
n = 3228 (100 %)
I Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten
258 (8,0 %)
II Bösartige Neubildungen
133 (4,1 %)
III Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe, bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
16 (0,5 %)
IV Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
27 (0,8 %)
V Psychische und Verhaltensstörungen
5 (0,2 %)
VI Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane
155 (4,8 %)
IX Krankheiten des Kreislaufsystems
513 (15,9 %)
X Krankheiten des Atmungssystems
466 (14,4 %)
XI Krankheiten des Verdauungssystems
162 (5,0 %)
XIII Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
0 (0,0 %)
XIV Krankheiten des Urogenitalsystems
138 (4,3 %)
XV Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett
20 (0,6 %)
XVI Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
8 (0,3 %)
XVII Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien
4 (0,1 %)
XVIII Sonstige ungenau bezeichnete und unbekannte Todesursachen
900 (27,9%)
XX Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität
45 (1,4 %)
Endzustände
378 (11,7 %)
aICD Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitssysteme
Tab. 3
Auswertung, Gesamtkollektiv, angegebene Todesursachen, Kausalkette Ic
Todesursachen analog ICD-10-Kapitela
Alle Fälle
n = 3228 (100 %)
I Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten
96 (3,0 %)
II Bösartige Neubildungen
769 (23,8 %)
III Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe, bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
30 (0,9 %)
IV Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
68 (2,1 %)
V Psychische und Verhaltensstörungen
31 (1,0 %)
VI Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane
160 (5,0 %)
IX Krankheiten des Kreislaufsystems
959 (29,7 %)
X Krankheiten des Atmungssystems
202 (6,3 %)
XI Krankheiten des Verdauungssystems
134 (4,1 %)
XIII Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
9 (0,3 %)
XIV Krankheiten des Urogenitalsystems
108 (3,3 %)
XV Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett
12 (0,4 %)
XVI Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
7 (0,2 %)
XVII Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien
31 (1,0 %)
XVIII Sonstige ungenau bezeichnete und unbekannte Todesursachen
462 (14,3%)
XX Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität
130 (4,0 %)
Endzustände
20 (0,6 %)
a ICD Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitssysteme

Charakterisierung des Teilkollektivs: Fälle mit unbekannter oder ungenau bezeichneter Todesursache

Bei den 900 Fällen dieses Teilkollektives überwog das männliche Geschlecht mit 52,2 %; die Verstorbenen waren mit durchschnittlich 73,3 Jahren verstorben. Von diesen 900 Fällen wurde bei 321 (35,7 %) eine unbekannte Todesursache und bei 579 (64,3 %) eine ungenau bezeichnete Todesursache attestiert (Tab. 4).
Tab. 4
Fälle mit unbekannter oder ungenau bezeichneter Todesursache, Kausalkette Ia
Untersuchte Parameter
Unbekannte TUa
n = 321 (100 %)
Ungenau bezeichnete TU
n = 579 (100 %)
Alle Fälle
n = 900 (100 %)
Geschlecht
Männlich
191 (59,5 %)
279 (48,2 %)
470 (52,2 %)
Weiblich
130 (40,5 %)
300 (51,8 %)
430 (47,8 %)
Keine Angabe
0 (0,0 %)
0 (0,0 %)
0 (0,0 %)
Alter
Median
71
79
77
Mittelwert
67,6
76,4
73,3
Spannweite
0–99
0–103
0–103
Todesart
Natürliche Todesart
13 (4,0 %)
538 (92,9 %)
551 (61,2 %)
Ungeklärte Todesart
239 (74,5 %)
28 (4,8 %)
267 (29,7 %)
Nicht natürliche Todesart
68 (21,2 %)
12 (2,1 %)
80 (8,9 %)
Keine Angabe
1 (0,3 %)
1 (0,2 %)
2 (0,2 %)
Obduktion angestrebt
Ja
271 (84,4 %)
76 (13,1 %)
347 (38,6 %)
Nein
32 (10,0 %)
488 (84,3 %)
520 (57,8 %)
Keine Angabe
18 (5,6 %)
15 (2,6 %)
33 (3,6 %)
Obduktion durchgeführt
Ja
167 (52,0 %)
30 (5,2 %)
197 (21,9 %)
Nein
154 (48,0 %)
549 (94,8 %)
703 (78,1 %)
a TU Todesursache
Von allen untersuchten Strebefällen gab es bei den Fällen mit unbekannter Todesursache das durchschnittlich jüngste Sterbealter mit 67,6 Jahren. Bei 239 Fällen (74,5 %) wurde vom LS am häufigsten eine ungeklärte Todesart angegeben, gefolgt von 68 Fällen (21,2 %) einer nicht natürlichen Todesart. Bei den Fällen mit unbekannter Todesursache wurde bei 13 Fällen (4,0 %) unzulässigerweise eine natürliche Todesart bescheinigt, und bei einem Fall (0,3 %) fehlte die Angabe der Todesart auf der TB (Tab. 4). Die konkreten Angaben des LS in der Kausalkette bzw. die Epikrise der TB dieser 13 Fälle können Tab. 5 entnommen werden.
Tab. 5
Todesbescheinigungen aller Fälle mit unbekannter Todesursache und gleichzeitiger Angabe einer natürlichen Todesart durch den Leichenschauer
Fall
Kausalkette
II
Epikrise
Obduktion angestrebt
Ia
Ib
Ic
1a
Unklar
V. a. Knochenzementreaktion mit hypoxischem Hirnschaden
k. A.a
k. A.
Ursprünglich Sturz im Altenheim unbeobachtet, Schenkelhalsfraktur rechts, Operation Prothese Hüfte – bei vermuteter Embolie durch Knochenzement seit Operation dauerhafter komatöser Zustand. Somit Verdacht auf hypoxischen Hirnschaden. Bei schlechtem Allgemeinzustand und Demenz „Einfrieren“ der Therapie (Absprache Tochter = Betreuerin), Tod auf Normalstation
Ja
2
k. A.
k. A.
k. A.
Therapieresist. Hochdruck, Depressionen (10 J.)
Keine Unterlagen. Med: Sulpirid, Zopiclon, Herzpräparate. 3 Tage zuvor Sturz laut Sohn
Nein
3
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Intrauteriner Fruchttod mit 31 + 6 Schwangerschaftswochen festgestellt
Nein
4
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
IUFT 31. SSW
Nein
5
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Intrauteriner Fruchttod
Nein
6
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Nein
7
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Ja
8
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Nein
9
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Totgeburt/Spätabort 23 SSW
Nein
10
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Intrauterin verstorben
Nein
11
k. A.
k. A.
k. A.
Alzheimer-Demenz
Pat. hat Nahrung abgelehnt, Absetzen der Medikamente
Nein
12
k. A.
k. A.
Demenz/Dysphagie
Marasmus/Kachexie, PFL°II
Pat. verstirbt erwartet. Pat verstirbt palliativ erwartet!
Nein
13
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
Tod
Nein
k.A. keine Angabe
aAngabe, dass Anhaltspunkte für nicht natürlichen Tod vorlagen
Bei den 579 Fällen mit attestierter ungenau bezeichneter Todesursache war das Durchschnittsalter mit 76,4 Jahren hingegen am höchsten; hier überwog der Frauenanteil leicht (Tab. 4). Im Unterschied zu den Verstorbenen mit unbekannter Todesursache wurde vom LS am häufigsten eine natürliche Todesart bescheinigt, am seltensten eine nicht natürliche Todesart (92,9 % vs. 2,1 %).
Insgesamt wurde bei 374 Fällen (38,6 %) dieses Teilkollektivs durch den LS angegeben, dass eine Obduktion angestrebt sei, und bei 197 der Fälle (21,9 %) wurde die Obduktion auch durchgeführt (Tab. 4). Bei den Fällen mit attestierter unbekannter Todesursache strebte der LS deutlich häufiger als bei den Fällen mit ungenau bezeichneter Todesursache eine Obduktion an (84,4 % vs. 13,1 %). Diese wurde dann auch bei den Sterbefällen mit unbekannter Todesursache 10-mal so häufig wie bei den Fällen mit ungenau bezeichneter Todesursache durchgeführt (52,0 % vs. 5,2 %). Es handelte sich nahezu ausschließlich um Obduktionen am IRM (98,2 %) (Tab. 6). Bei 2 der 13 Fälle, bei denen vom LS unzulässigerweise bei unbekannter Todesursache eine natürliche Todesart attestiert wurde, wurde durch den LS immerhin angegeben, dass eine Obduktion angestrebt sei (Tab. 5).
Tab. 6
Sterbefälle mit unbekannter Todesursache (n = 321) in der Kausalkette Ia, attestierte Todesarten und durchgeführte Obduktionen
 
Natürliche Todesart
Ungeklärte Todesart
Nicht natürliche Todesart
Keine Angabe
Alle
Anzahl, Fälle
13 (4,0 %)
239 (74,5 %)
68 (21,2 %)
1 (0,3 %)
321 (100,0 %)
Durchgeführte Obduktionen
3 (23,1 %)
121 (50,6 %)
42 (61,8 %)
1 (100,0 %)
167 (52,0 %)
Obduktionen am IRMa
2 (66,7 %)
119 (98,3 %)
42 (100 %)
1 (100,0 %)
164 (98,2 %)
Klinisch-pathologische Obduktionen
1 (33,3 %)
2 (1,7 %)
0 (0,0 %)
0 (0,0 %)
3 (1,8 %)
a IRM Institut für Rechtsmedizin
Bei den 462 Fällen dieses Teilkollektives wurden am dritthäufigsten nach Erkrankungen des Kreislaufsystems und bösartigen Neubildungen ungenau bezeichnete oder unbekannte Krankheiten durch den LS in der Kausalkette Ic (Grunderkrankung) angegeben (n = 462 Fälle; 14,3 %), Details: Tab. 3. Von allen Sterbefällen mit ungenau bezeichneter oder unbekannter Todesursache unter Kausalkette Ic lag das durchschnittliche Sterbealter bei 72,2 Jahren, dabei war die Mehrheit der Verstorbenen männlich (n = 248 Fälle; 53,7 %) (Tab. 7).
Tab. 7
Fälle mit unbekannter oder ungenau bezeichneter Todesursache, Kausalkette Ic
Untersuchte Parameter
Unbekannte TUa
n = 303 (100 %)
Ungenau bezeichnete TU
n = 159 (100 %)
Alle Fälle
n = 462 (100 %)
Geschlecht
Männlich
181 (59,7 %)
67 (42,1 %)
248 (53,7 %)
Weiblich
122 (40,3 %)
92 (57,9 %)
214 (46,3 %)
Keine Angabe
0 (0,0 %)
0 (0,0 %)
0 (0,0 %)
Alter
Median
71
86
75
Mittelwert
68,0
79,6
72,2
Spannweite
0–99
0–102
0–102
Todesart
Natürliche Todesart
11 (3,6 %)
141 (88,7 %)
152 (32,9 %)
Ungeklärte Todesart
223 (73,7 %)
13 (8,2 %)
236 (51,1 %)
Nicht natürliche Todesart
68 (22,4 %)
5 (3,1 %)
73 (15,8 %)
Keine Angabe
1 (0,3 %)
0 (0 %)
1 (0,2 %)
Obduktion angestrebt
Ja
257 (84,8 %)
21 (13,2 %)
278 (60,2 %)
Nein
29 (9,6 %)
134 (84,3 %)
163 (35,3 %)
Keine Angabe
17 (5,6 %)
4 (2,5 %)
21 (4,5 %)
Obduktion durchgeführt
Ja
158 (52,1 %)
12 (7,5 %)
170 (36,8 %)
Nein
145 (47,9 %)
147 (92,5 %)
292 (63,2 %)
a TU Todesursache
Von den untersuchten insgesamt 462 Fällen dieses Teilkollektives wurde bei 303 Fällen (65,6 %) eine unbekannte Todesursache attestiert, wobei 181 der Verstorbenen (59,7 %) männlich und mit durchschnittlich 68,0 Jahren verstorben waren. Eine ungenau bezeichnete Todesursache wurde bei 159 Fällen (34,4 %) angegeben. Bei den Fällen mit unbekannter Todesursache wurde 11-mal (3,6 %) eine natürliche Todesart angegeben.
Bei 223 Fällen (73,7 %) mit unbekannter Todesursache wurde eine ungeklärte Todesart und bei 68 Fällen (22,4 %) eine nicht natürliche Todesart angegeben. In einem Fall (0,3 %) erfolgte keine Angabe zur Todesart auf der TB (Tab. 7).
Bei den Sterbefällen mit Angabe einer ungenau bezeichneten Todesursache wurde am häufigsten eine natürliche Todesart dokumentiert (n = 141 Fälle; 88,7 %), davon war der überwiegende Teil der Verstorbenen weiblich (n = 92 Fälle, 57,9 %). Bei 13 Fällen (8,2 %) wurde eine ungeklärte Todesart und bei 5 Fällen (3,1 %) eine nicht natürliche Todesart angegeben.
Insgesamt wurde durch den LS bei 278 Fällen mit unbekannter oder ungenau bezeichneter Todesursache (60,2 %) angegeben, dass eine Obduktion angestrebt sei, und diese auch am Ende bei 170 Verstorbenen (36,8 %) durchgeführt (Tab. 7).
Bei Fällen mit unbekannter Todesursache wurde dabei deutlich häufiger durch den LS angegeben, dass eine Obduktion angestrebt sei als bei Sterbefällen mit ungenau bezeichneter Todesursache (84,8 % vs. 13,2 %). Bei gut der Hälfte der Fälle mit unbekannter Todesursache wurde diese auch durchgeführt (n = 158 Fälle; 52,1 %), dabei fast ausschließlich am IRM (98,1 %). Bei den Fällen mit ungenau bezeichneter Todesursache wurde in 12 Fällen eine Obduktion durchgeführt (7,5 %), drei Viertel (75,0 %) davon waren Obduktionen am IRM.

Diskussion

Es wurde vom LS in der Kausalkette der TB eine unbekannte oder ungenau bezeichnete Todesursache unter Ia ca. doppelt so häufig wie unter Ic angegeben (27,9 % vs. 14,3 %). Dies könnte damit zu erklären sein, dass es dem LS oftmals möglich war, Informationen zur medizinischen Vorgeschichte z. B. aus Krankenakten oder durch Gespräche mit Angehörigen zu ermitteln. Dagegen sind die Umstände des unmittelbaren Versterbens oft schwieriger zu benennen, wenn der Verstorbene z. B. in den Stunden des Ablebens alleine war oder der letzte Arztkontakt bereits länger zurücklag.

Gleichzeitige Angabe einer unbekannten Todesursache und natürlichen Todesart durch den Leichenschauer

Die LS haben in den meisten Fällen die TB richtig ausgefüllt: Bei attestierter unbekannter Todesursache wurde in 96,0 % der untersuchten Fälle korrekterweise eine ungeklärte bzw. nicht natürliche Todesart angegeben. Trotzdem wurde unter Ia bei 4,0 % der Fälle bzw. unter Ic bei 3,6 % der Fälle mit unbekannter Todesursache unzulässigerweise gleichzeitig eine natürliche Todesart attestiert. Ein „natürlicher Tod ist ein Tod aus krankhafter Ursache, der völlig unabhängig von rechtlich bedeutsamen Faktoren eingetreten ist“ [8]. Dies wäre der Fall bei konkreter und dokumentierter Kenntnis einer gravierenden Erkrankung, die in enger zeitlicher Assoziation mit dem eingetretenen Tod steht, bzw. aus dem Krankheitsverlauf zu erwarten gewesen ist. Gleichzeitig dürfen keine Anhaltspunkte für eine nicht 810]. Dazu gehören auch Stürze und Unfälle jeder Art, sodass bei 2 Fällen mit unbekannter Todesursache unter Ia, bei denen jedoch ein perimortaler Sturz in der Epikrise dokumentiert wurde, fälschlicherweise eine natürliche Todesart bescheinigt wurde. In dem weiteren Fall mit gleicher Konstellation unter Ic, also Angabe einer natürlichen Todesart bei unbekannter Todesursache, wurden auch in der restlichen Kausalkette keine spezifischeren Angaben zu den Gründen des Versterbens gemacht, lediglich unter Ib wurde ein „insulinpflichtiger Diabetes mellitus“ als Todesursache dokumentiert. Weitere Angaben zu todesursächlichen Komplikationen im Rahmen der Grunderkrankung, z. B. „hypo-/hyperglykämischer Schock“, wurden auf der TB nicht vermerkt (stattdessen erfolgte unter Ia die Angabe „Kachexie“). Als Todesursache ist die alleinige Angabe eines Diabetes mellitus, jedoch ohne Angabe weiterer Komplikationen oder Komorbiditäten, als todesursächliche Erkrankung nicht hinreichend und rechtfertigt damit auch nicht automatisch die Angabe einer natürlichen Todesart. Dies ist wichtig, da es nur bei Angabe einer ungeklärten oder nicht natürlichen Todesart in der Folge in Bayern (wie auch anderen Bundesländern) zu einer verpflichtenden Benachrichtigung der Ermittlungsbehörden auf Grundlage der Strafprozessordnung (§ 159 StPO) kommt [11]. Ziel der Einleitung eines Todesermittlungsverfahrens ist die Klärung von Todesursache, Todesart und von weiteren rechtsrelevanten Sachverhalten. Im Idealfall erfolgt dieses durch die richterliche bzw. staatsanwaltschaftliche Anordnung einer Obduktion. Eine Untersuchung des Gesundheitsamtes München unterstreicht die Bedeutung dieses Sachverhaltes: in den Jahren zwischen 2010 und 2013 betrug die Beanstandungsrate eingegangener TB 8 %, bei 1 % der beanstandeten TB war dabei die Angabe der Todesart fehlerhaft oder unplausibel [6]. An dieser Stelle besteht daher das Risiko einer „Erfassungslücke“ von Fällen mit nicht natürlicher Todesart und fehlenden resultierenden strafprozessualen oder versicherungsrechtlichen Konsequenzen. Denn bei Angabe einer natürlichen Todesart kann der Leichnam ohne weitere Untersuchungen bestattet oder in Bayern nach Sichtung der TB durch die Kriminalpolizei – de facto medizinische Laien – kremiert werden, da es eine Feuerbestattungsleichenschau derzeit in Bayern noch nicht gibt [11]. Dies ändert sich jedoch mit der geänderten Bayerischen Bestattungsverordnung, die zum 01.01.2023 eine 2. Leichenschau vor der Kremation vorschreibt (BestV).

Unterschiede bei Fällen mit unbekannter und ungenau bezeichneter Todesursache und attestierter Todesart

Bei insgesamt 13 Fällen aller untersuchten Sterbefälle wurde eine natürliche Todesart bei gleichzeitig unbekannter Todesursache angegeben (Tab. 4). Dies waren höhere Zahlen als die, zu denen eine Untersuchung der TB aus dem Jahr 2014 und 2015 (n = 27.164) der Großstadt München kam, bei denen vom leichenschauenden Arzt eine natürliche Todesart bei 0,2 % der Sterbefälle fehlerhaft attestiert wurde. Bei 48 der Fälle (71,6 %) dieser Untersuchung war sogar explizit ein Unfallereignis durch den LS genannt worden, am häufigsten Stürze mit Hirnblutungen oder Schenkelhalsfrakturen. Bei 36 dieser Fälle (53,7 %) wurde zudem durch den LS angegeben, dass Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod vorlagen und trotzdem fälschlicherweise eine natürliche Todesart attestiert [7]. Von allen 13 Fällen in dem hier untersuchten Kollektiv gab es insgesamt 2 TB, bei denen bei Angabe einer unbekannten Todesursache fälschlicherweise eine natürliche Todesart attestiert wurde, obwohl Hinweise für eine nicht natürliche Todesart dokumentiert wurden. So wurde bei 2 Fällen ein perimortaler Sturz auf der TB vermerkt. Bei einem Fall wurde sogar explizit durch den LS angegeben, dass Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod vorlagen (bei allen anderen 12 Fällen dagegen nicht). Bei 4 weiteren Fällen lagen weder in der Kausalkette noch in der Epikrise Informationen zum Ableben vor, in einem Fall wurde sogar nur „Tod“ angegeben. In diesen Fällen muss der LS korrekterweise mindestens eine ungeklärte Todesart auf der TB angeben, insbesondere, wenn es ihm nicht möglich war, weitere gesundheitsrelevante Informationen über den Verstorbenen einzuholen (z. B. über den Hausarzt). Eine Obduktion sollte bei diesen Fällen angestrebt werden, jedoch wurde auch dies nur bei 2 dieser Sterbefälle auf der TB vermerkt. Nur bei 2 dieser 13 Fälle erscheint die Angabe einer natürlichen Todesart bei gleichzeitig unbekannter Todesursache aus den erweiterten Angaben der TB plausibel begründet: Bei einem Fall handelte es sich um eine palliative Sterbesituation, und bei einem weiteren Sterbefall kam es zu einer Nahrungs- und Medikamentenverweigerung. In diesem Fall bestand als Grunderkrankung eine Demenz des Verstorbenen. Bei allen weiteren Fällen handelte es sich um einen intrauterinen Fruchttod (IUFT). Ein IUFT beschreibt das Versterben des Fetus in utero. In der Literatur gibt es uneinheitliche Daten bezüglich der Definition des Zeitpunkts; die World Health Organization (WHO) definiert einen IUFT ab der Schwangerschaftswoche 28 + 0 [12]. Eine Totgeburt liegt dann vor, wenn das Neugeborene nach der Trennung vom Mutterleib keines der Lebenszeichen, jedoch ein Gewicht von mindestens 500 g aufweist [8]. Es ist zu beachten, dass im Falle einer Totgeburt eine TB ausgestellt werden muss und zudem eine Bestattungspflicht besteht. In der Regel liegt bei diesen Sterbefällen überwiegend eine natürliche Todesart vor, die genaue Todesursache kann jedoch auf sehr unterschiedliche Gründe zurückzuführen sein [13]. Bei allen Fällen unseres Kollektivs mit einem IUFT (und auch bei den Fällen mit einer Totgeburt) wurden jedoch keine weiteren Informationen durch den LS in der Kausalkette angegeben, sodass diese Fälle ebenso aufgenommen und ausgewertet wurden. Generell können an kindlichen Ursachen sowohl Fehlbildungen lebenswichtiger Organe, Chromosomenaberrationen oder schwere fetale Erkrankungen vorliegen. Maternale Ursachen können ein Diabetes mellitus, Infektionen (z. B. Toxoplasmose, Listeriose), Plazentafehlbildungen oder ein Substanzabusus sein. Es gibt auch Fälle, bei denen die Todesursache des IUFT oder der Totgeburt vorerst ungeklärt bleibt. Grundsätzlich, und unter der Voraussetzung des Einverständnisses der Eltern, kann eine Obduktion oder humangenetische Untersuchung des Kindes hilfreich sein, um bei diesen Fällen eine Klärung der Todesursache anzustreben und auch seltene, nicht natürliche Todesarten aufzudecken. Die Ermittlung der Todesursache kann z. T. auch weitergehende Auswirkungen für die Angehörigen haben (z. B. humangenetische Beratung der Eltern vor weiteren geplanten Schwangerschaften bei erhöhtem Risiko für vererbbare Erkrankungen).
Bei Sterbefällen mit ungenau bezeichneter Todesursache zeigen sich keine größeren Unterschiede in Bezug auf die Angabe der Todesart im Vergleich von Ia und Ic. Dagegen besteht ein deutlich ausgeprägter prozentualer Unterschied zwischen der Angabe einer natürlichen Todesart bei ungenau bezeichneter Todesursache (Ia: 92,9 % und Ic: 88,7 %) bzw. bei unbekannter Todesursache (Ia: 4,0 % und Ic: 3,6 %). Dies ist möglicherweise damit zu erklären, dass der LS bei den ungenau bezeichneten Todesursachen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine natürliche Todesart annimmt. Weil die LS möglicherweise keine exakte medizinische Ursache des Versterbens benennen können, wird stattdessen häufig eine „Verlegenheitsdiagnose“ angegeben (z. B. Multiorganversagen, Kachexie). Auch wenn die Angabe einer natürlichen Todesart aus juristischer Sicht mutmaßlich richtig ist, so bleibt eine letzte medizinisch-diagnostische Unschärfe. Nur eine Obduktion könnte in diesen Fällen helfen, die genaue Todesursache zu klären. Weitere Gründe für eine ungenaue Angabe könnten qualitative Mängel bei der Sorgfältigkeit der Leichenschau sein; gerade bei jüngeren Klinikärzten besteht oftmals eine Unsicherheit beim Ausfüllen der TB. Ein weiteres Problem v. a. im niedergelassenen Bereich sind die oft unzureichenden Informationen über den Verstorbenen zum Zeitpunkt der Leichenschau (Wissenslücke). Niedergelassene Ärzte suchen dabei bei knapp einem Drittel der Fälle das Gespräch mit Angehörigen; in Pflegeheimen ist die Situation oft noch prekärer. Meistens liegen dem Pflegepersonal nur wenige medizinische Informationen zum Verstorbenen vor, oder zuletzt behandelnde Ärzte sind (z. B. am Wochenende) nicht zu erreichen, was zusätzlich die Zusammentragung von Informationen erschwert [14].

Fälle mit unbekannter und ungenau bezeichneter Todesursache und durchgeführte Obduktionen

Insgesamt wurde die Angabe, dass eine Obduktion angestrebt sei, häufiger durch den LS gemacht, wenn eine unbekannte oder ungenau bezeichnete Todesursache unter Ic aufgeführt wurde (60,2 %). Wurde eine unbekannte oder ungenau bezeichnete Todesursache unter Ia aufgeführt, wurde dagegen nur in 38,6 % der Fälle durch den LS angegeben, dass eine Obduktion angestrebt sei. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass, sofern dem LS keine medizinischen Informationen oder eine Grunderkrankung des Verstorbenen bekannt waren, eine Obduktion häufiger angestrebt wurde, um eine Klärung über die Todesumstände herbeizuführen. Dabei war jedoch die relative Häufigkeit dieser Angabe unter Ia und Ic bei unbekannten (Ia: 84,4 % und Ic: 84,8 %) bzw. ungenau bezeichneten Todesursachen (Ia: 13,1 % und Ic: 13,2 %) sehr ausgeglichen.
Nach staatsanwaltschaftlicher Anordnung auf Grundlage der Strafprozessordnung (§ 87 Absatz 1 StPO) wurde letztlich eine Obduktion auch häufiger bei Fällen mit unbekannter oder ungenau bezeichneter Todesursache unter Ic im Vergleich zu Ia durchgeführt (36,8 % vs. 21,9 %) (Tab. 4 und 7). Möglicherweise ist die höhere Obduktionsquote der Fälle mit diesen Angaben unter Ic auch damit zu erklären, dass eine noch größere Unklarheit über die Umstände des Versterbens besteht, wenn eine Unwissenheit über mögliche Grunderkrankungen des Verstorbenen vorliegt. Damit war der Anteil durchgeführter Obduktionen im Vergleich zum Gesamtkollektiv des untersuchten Studienzeitraums, bei dem die Obduktionsquote bei 9,4 % lag, um ein Zwei- bzw. Dreifaches höher. Obduktionen wurden auch bei Sterbefällen mit unbekannter Todesursache (Ia: 52,0 % und Ic: 52,1 %) um ein Vielfaches häufiger als bei Fällen mit ungenau bezeichneter Todesursache (Ia: 5,2 % und Ic: 7,5 %) durchgeführt, wenn keine Informationen über die Begleitumstände des Versterbens vorlagen. Bei den Obduktionen der Sterbefälle mit ungenau bezeichneter Todesursache wurde außerdem häufiger eine klinisch-pathologische Obduktion durchgeführt, da vermutlich aufgrund einer bestehenden Verdachtsdiagnose organspezifischer obduziert werden konnte. Insgesamt lagen diese Zahlen auch über den für Obduktionen im Bundesdurchschnitt vorliegenden Zahlen, die zwischen 1 und 10 % für klinische Sektionen (teilweise mit deutlichen regionalen Unterschieden) und 2 % für Obduktionen am IRM angegeben werden [15, 16]. Insgesamt ist die Anzahl durchgeführter Sektionen in den letzten Jahren jedoch deutlich gesunken, wobei die Gründe v. a. ökonomischer und struktureller Art (Furcht vor Zeit- und Arbeitsaufwand oder eignen ärztlichen Fehleinschätzungen) sein dürften.
Auffallend ist, dass bei unbekannter Todesursache der Anteil männlicher Verstorbener mit knapp 60 % sowohl unter Ia als auch Ic am höchsten, das durchschnittliche Sterbealter mit 64 Jahren zugleich jedoch am niedrigsten von allen untersuchten Sterbefällen ist. Dies könnte damit zu erklären sein, dass in jungen Jahren Todesfälle statistisch häufiger aufgrund einer nicht natürlichen Ursache eintreten, Unfälle dabei eine bedeutende Rolle spielen und Männer häufiger betroffen sind [17].
Bei unbekannter Todesursache sollte die Notwendigkeit einer Obduktion durch den LS nicht nur erkannt, sondern auch auf der TB vermerkt werden, was allerdings in der Mehrheit der Fälle nicht gemacht wurde. Insgesamt wurde nur bei 2 der Fälle mit unbekannter Todesursache und gleichzeitiger Angabe einer natürlichen Todesart durch den LS dokumentiert, dass eine Obduktion angestrebt sei. Bei einem Fall erfolgte eine gerichtliche Obduktion, im anderen Fall eine klinisch-pathologische Obduktion. Darüber hinaus erfolgte bei den restlichen 11 der 13 Fälle mit unbekannter Todesursache und attestierter natürlicher Todesart nur eine weitere Obduktion. Eine solche Quote ist in dieser Konstellation viel zu gering und zeigt, dass neben der Unwissenheit hinsichtlich des korrekten Ausfüllens der TB auch die Hemmschwelle vor der Einschaltung von Ermittlungsbehörden bei der Angabe ungeklärter oder nicht natürlicher Todesarten eine Ursache sein könnte. Die Wichtigkeit der Klärung solcher Fälle veranschaulicht eine multizentrische Studie aus Münster aus dem Jahr 1997, die feststellte, dass in der Bundesrepublik Deutschland jährlich mindestens 11.000 nicht natürliche Todesfälle als solche nicht erkannt werden. Schätzungsweise fallen darunter 1200 bis 2400 Tötungsdelikte, bei den anderen Fällen handelte es sich um Unfälle, Suizide oder ärztliche Kunstfehler [1]. Die Zahlen der Görlitzer Studie von 1987, bei der insgesamt 97 % aller Verstorbenen (n = 1023) obduziert wurden, lieferte in diesem Zusammenhang überraschende Ergebnisse: In 37 % der Fälle stimmte das Autopsieergebnis nicht mit der Diagnose der TB überein, bei weiteren 15 % nur in Teilaspekten [18]. Um das hiermit einhergehende Risiko des Nichterkennens nicht natürlicher Todesfälle zu reduzieren, gab es bereits die länderspezifische Einführung einer „qualifizierten Leichenschau“. Hierbei untersucht ein Rechtsmediziner den Verstorbenen auf Hinweise für eine nicht natürliche Todesart, flächendeckend durchsetzen konnte sich dies allerdings nicht [19, 20].
Bei 2 Fällen unseres Kollektivs mit unbekannter Todesursache (Angabe unter Ia als auch Ic) und ungeklärter Todesart wurde ohne Einschalten der Ermittlungsbehörden und anstatt einer Obduktion am IRM eine klinisch-pathologische Sektion durchgeführt, was in dieser Konstellation eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Das wurde von der Gesundheitsbehörde auch entsprechend geahndet.

Fazit für die Praxis

Es zeigten sich bei der Untersuchung der Münchner Todesbescheinigungen z. T. gravierende Mängel bei der Dokumentation auf dieser Urkunde. Die fehlerhafte gleichzeitige Angabe einer unbekannten Todesursache und einer natürlichen Todesart, selbst bei Vorliegen von Hinweisen für eine nicht natürliche Todesart, war kein Einzelfall. Diese Tatsache zeigt, dass es sich um ein grundsätzliches Problem zu handeln scheint. Auch wurde in diesem Zusammenhang viel zu selten durch den LS angegeben, dass eine Obduktion angestrebt sei, was wiederum die Gefahr unterstreicht, dass nicht natürliche Todesfälle als solche nicht erkannt werden. Die Angabe des LS, dass eine Obduktion angestrebt ist, garantiert alleine allerdings nicht, dass eine Obduktion des Verstorbenen auch durchgeführt wird. Bei einer ungeklärten bzw. nicht natürlichen Todesart entscheidet das die Staatsanwaltschaft.
Folgende Punkte wären an dieser Stelle im Besonderen verbesserungswürdig:
  • keine Angabe einer natürlichen Todesart bei Unkenntnis der Todesursache und Unmöglichkeit der Einholung relevanter medizinischer Informationen zum Verstorbenen im Rahmen der Leichenschau;
  • Stärkung der Rolle der Gesundheitsämter durch ausreichend qualifiziertes Personal für die Plausibilitätsprüfung und Qualitätskontrolle der TB und bei begründeten Fällen Verständigung der Ermittlungsbehörden;
  • Stärkung des Stellenwertes einer Obduktion bei Sterbefällen mit unklaren Todesursachen, sodass die Notwendigkeit in solchen Fällen erkannt und auch auf der TB unter gleichzeitiger Angabe einer ungeklärten Todesart dokumentiert wird.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Krause, M. Graw und S. Gleich geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Genehmigung der Dateneingabe: Vor Beginn der Studie erteilte die zuständige Behörde (Regierung von Oberbayern) mit Schreiben vom 03.12.2014 ihr Einverständnis.
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Metadaten
Titel
Sterbefälle mit unbekannter oder ungenau bezeichneter Todesursache – attestierte Todesarten und durchgeführte Obduktionen
Eine Analyse Münchner Todesbescheinigungen
verfasst von
Dr. med. Maike Krause
M. Graw
S. Gleich
Publikationsdatum
23.02.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwörter
Leichenschau
Autopsie
Erschienen in
Rechtsmedizin / Ausgabe 6/2022
Print ISSN: 0937-9819
Elektronische ISSN: 1434-5196
DOI
https://doi.org/10.1007/s00194-022-00561-5

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