SARS-CoV-2-Impfung und Ofatumumab-Therapie bei MS

mRNA- und Vektor-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 leisten einen sicheren Impfschutz vor einer Erkrankung an COVID-19, von dem auch Patienten mit Multipler Sklerose (MS) profitieren sollten. Es ist zu beachten, wie MS-Therapien mit der antiviralen Impfantwort interagieren. Aktuelle Daten zeigen: Unter der B-Zell depletierenden Therapie mit dem Anti-CD20-Antikörper Ofatumumab bleibt ein wesentlicher Teil der Immunreaktion auf eine Impfung, die T-Zell-Antwort, erhalten. Impfungen zum Schutz vor SARS-CoV-2 (bzw. der dadurch ausgelösten COVID-19-Erkrankung) sind nach Einschätzung der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) für MS-Patienten grundsätzlich zu empfehlen [1]. Es stellt sich jedoch die Frage, wie sich immunmodulatorische bzw. immunsuppressive Therapien auf die Mechanismen auswirken, mit denen moderne SARS-CoV-2-Vakzine Immunität induzieren. Entscheidend ist: Bei SARS-CoV-2 spielt die durch zytotoxische (CD8+) T-Zellen vermittelte Immunantwort eine Schlüsselrolle [2]. CD8+ T-Zell-basierte Immunantwort Die aktuellen SARS-CoV-2-Impfstoffe enthalten mRNA (mRNA-Impfstoffe) oder DNA (vektorbasierte Impfstoffe), die jeweils für einen viralen Baustein, das Spike-Protein, codieren [3, 4]. Nach Impfung initiiert die virale mRNA bzw. DNA in den Wirtszellen die Produktion von Spike-Proteinen. Anders als nach Impfung mit herkömmlichen Peptidimpfstoffen synthetisieren menschliche Zellen nach Impfung hier selbst das virale Antigen, das eine spezifische Immunreaktion auslöst (Abb. 1) [4]. Somit imitieren mRNA- bzw. vektorbasierte Impfstoffe die natürliche Immunantwort auf virale Infektionen. Diese wird primär mithilfe von T-Zellen und sekundär über die Produktion von neutralisierenden Antikörpern erreicht [3]. Abb. 1 Reaktion des Immunsystems auf neuartige mRNA- und vektorbasierte Impfstoffe (modifiziert nach [3,4]) Springer Medizin Verlag GmbH × Die akute spezifische Immunantwort (nach Impfung oder Infektion) setzt ein, sobald intrazellulär produzierte virale Peptide, gebunden an MHC (major histocompatibility complex)-I-Rezeptoren, auf der Oberfläche der entsprechenden Zelle präsentiert werden [5]. Der Kontakt mit viralen Peptiden führt zu Aktivierung und klonaler Vermehrung (Expansion) zytotoxischer (CD8+) T-Zellen, die Virus-infizierte Zellen eliminieren. Langfristig wird neben der spezifischen Akutreaktion ein Pool an CD8+ Gedächtnis-T-Zellen gebildet, welche nach Reaktivierung infizierte Zellen in der Zukunft effektiv und rasch abtöten können. Produktion spezifischer Antikörper Sekundär zur CD8+ T-Zell-basierten Immunantwort schließt sich eine Antikörper-vermittelte Immunantwort an, an der T-Zellen ebenfalls entscheidend beteiligt sind: Bei der Zelllyse durch CD8+ T-Zellen werden virale Peptide freigesetzt, von Antigen-präsentierenden Zellen aufgenommen und CD4+ T-Zellen präsentiert. Deren Funktion besteht darin, B-Zellen zu klonaler Expansion, Differenzierung in Plasmazellen und Produktion spezifischer Antikörper zu stimulieren [5, 6]. Antikörper neutralisieren Viren durch Bindung an Antigene und verhindern so ein Eindringen freier Viren in weitere Zellen. Aktuellen Berichten zufolge nehmen die Antikörpertiter nach SARS-CoV-2-Infektion rasch ab [7–10]. Die Immunglobulin (Ig) G-Spiegel z.B. sanken in der frühen Rekonvaleszenz-Phase bei 93,3% der asymptomatischen bzw. 96,8% der symptomatischen Patienten um median 71,1% bzw. 76,2% [7]. Dagegen wiesen Grifoni et al. bei etwa 70% der rekonvaleszenten Patienten zirkulierende SARS-CoV-2-spezifische CD8+ T-Zellen, bei 100% SARS-CoV-2-spezifische CD4+ T-Zellen nach [11]. Eine anhaltende T-Zell-basierte Immunantwort gegen SARS-CoV-2 besteht auch dann, wenn die Antikörperspiegel sinken oder, z.B. aufgrund eines milden Verlaufs, nicht nachweisbar sind [4, 6, 12]. So konnten bei 78% der Probanden, die SARS-CoV-2-positiv waren, aber keine messbaren Antikörper hatten, Interferon-γ-produzierende T-Zellen nachgewiesen werden [12]. Dieses Ergebnis zeigt, dass Gedächtnis-T-Zellen die Immunität nach SARS-CoV-2-Infektion – und wahrscheinlich auch nach Impfung – zumindest partiell vermitteln und aufrechterhalten [5]. Ofatumumab: spezifische CD20-Bindung Ofatumumab ist ein vollhumaner monoklonaler Antikörper, der nach subkutaner (s.c.) Applikation spezifisch an das B-Zell-Oberflächenantigen CD20 bindet. Dadurch wird eine Depletion von CD20-positiven B-Lymphozyten bewirkt [17]. CD20 wird auf Prä-B-Lymphozyten, reifen B-Lymphozyten und Gedächtnis-B-Zellen exprimiert, die hauptsächlich im peripheren lymphatischen Gewebe vorkommen und eine wichtige Rolle in der Pathogenese von Multipler Sklerose (MS) spielen [17, 18]. Nach der Anlagerung an den CD20-Rezeptor induziert Ofatumumab eine Zytolyse sowohl von Zellen mit hoher als auch niedriger CD20-Expression und bewirkt damit eine rasche und anhaltende Abnahme von CD20-positiven B-Zellen [17, 19, 20]. Im Vergleich zu anderen Anti-CD20-Antikörpern bindet Ofatumumab an ein anderes Epitop des CD20-Moleküls [17]. Dank der starken Bindung an den CD20-Rezeptor kann Ofatumumab mit niedrigen Dosisvolumina verabreicht werden. Eine s.c. Applikation könnte aus immunologischer Sicht sinnvoll sein, weil auf diese Weise B-Zellen im lymphatischen Gewebe gezielt erreicht werden können [19, 20]. In den Zulassungsstudien ASCLEPIOS I und ASCLEPIOS II wurde die Sicherheit und Wirksamkeit von Ofatumumab 20mg (monatliche* [ab Woche vier] s.c. Injektionen) im Vergleich zu Teriflunomid 14mg (einmal täglich orale Tabletten) bei Erwachsenen mit einer bestätigten Diagnose der aktiven schubförmigen MS untersucht [21]. *nach einer Initialdosierung in den Wochen null, eins und zwei SARS-CoV-2-Impfung bei MS Impfantwort unter Ofatumumab zu erwarten Ofatumumab beeinflusst weder T-Zellen noch langlebige CD20-negative Plasmazellen. Studiendaten zeigen: Das klinische Bild unter Ofatumumab-Therapie verläuft nicht grundlegend anders als bei unbehandelten Patienten. In der Phase-II-Studie APLIOS wurde bei Patienten mit RMS (relapsing multiple sclerosis) gezeigt, dass sich die für die Impfantwort bedeutsame mediane Zahl der CD4+ naiven bzw. CD8+ naiven T-Zellen im Verlauf der zwölfwöchigen Behandlung mit 20mg subkutan (s.c.) verabreichtem Ofatumumab (Kesimpta®) praktisch nicht veränderte [13]. Dagegen war die Gabe von Ofatumumab mit einer raschen therapeutisch relevanten Depletion CD20-positiver B-Zellen assoziiert. Da Immunglobulin (Ig) G-produzierende CD20-negative langlebige Plasmazellen im Knochenmark von Ofatumumab ausgespart werden, bleiben vorbestehende Immunitäten erhalten [13]. Im Rahmen der Phase-III-Studien ASCLEPIOS I und ASCLEPIOS II wurden die IgG-Serumspiegel unter Ofatumumab versus Teriflunomid bis zur 120. Behandlungswoche im Vergleich zum Ausgangswert vor Behandlungsbeginn untersucht [14]. Die durchschnittlichen IgG-Spiegel blieben unter Ofatumumab im Normalbereich und hatten nach 120 Wochen im Vergleich zum Ausgangswert nicht abgenommen [14]. Der IgG-Spiegel blieb somit über 120 Wochen konstant und numerisch sogar über dem der Vergleichsbehandlung mit Teriflunomid [14]. Da langlebige, für die Produktion von IgG-Antikörpern verantwortliche Plasmazellen den CD20-Rezeptor nicht exprimieren, bleiben das Immungedächtnis und die Boosterfähigkeit von Impfstoffen unter der Behandlung mit Ofatumumab erhalten [15]. Idealerweise wird eine Impfung gegen SARS-CoV-2 mindestens zwei Wochen vor Therapiebeginn mit Ofatumumab abgeschlossen. Eine Impfung unter laufender Therapie ist möglich, da die aktuellen Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 den Totimpfstoffen zugeordnet werden [16]. Hierbei ist zu beachten, dass trotz vermutlich reduzierter B-Zell-Antwort die T-Zell-vermittelte Impfantwort erhalten bleiben wird. Podcast Einen Podcast zum Thema SARS-CoV-2-Impfung bei Patienten mit Multipler Sklerose mit dem Molekularbiologen und Immunologen Prof. Dr. Tobias Bopp, Direktor des Instituts für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz, finden Sie auf www.aerztezeitung.de/Podcasts/AerzteTag-extra oder unter nebenstehendem QR-Code. × Fazit mRNA- bzw. vektorbasierte Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 imitieren die natürliche antivirale Immunantwort, die primär mit Hilfe von T-Zellen erreicht wird. Ofatumumab hat keine depletierende Wirkung auf T-Zellen. Es ist davon auszugehen, dass die durch RNA- und vektorbasierte Impfstoffe ausgelöste T-Zell-Immunantwort durch Ofatumumab nicht eingeschränkt wird. Auch langlebige CD20-negative Plasmazellen werden durch Ofatumumab nicht beeinträchtigt (IgG-Spiegel über zwei Jahre konstant). Literatur Gold R, Haas J, Update der Empfehlungen für MS-Erkrankte, www.dmsg.de/corona-virus-und-ms/impfung/ (letzter Zugriff: 22.03.2021) Jeyanathan M et al., Nat Rev Immunol 2020, 20:615–632 Zhang C et al., Front Immunol 2019, 10:594 Sewell HF et al., BMJ 2020, 371:m4838 Gutierrez L et al., Trends Pharmacol Sci 2020, 41:518–530 Altmann DM et al., Sci Immunol 2020, 5:eabd6160 Long QX et al., Nature Med 2020, 26:1200–1204 Cox RJ et al., Nat Rev Immunol 2020, 20:581–582 Seow J et al., Nat Microbiol 2020, 5:1598–1607 Ibarrondo FJ et al., N Engl J Med 2020, 383:1085–1087 Grifoni A et al., Cell 2020, 181:1489–1501 Schwarzkopf S et al., Emerg Infect Dis 2021, 27: doi: 10.3201/2701.203772 Wiendl H et al., EAN 2020, LB129 de Seze J et al., CMSC Annual Meeting 2020 Dalakas M, Nat Clin Pract Neurol 2008, 4:557–567 https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Impfstofftypen.html (letzter Zugriff: 22.3.2021) Smith P et al., ECTRIMS 2016, Poster P401 Disanto G et al., Neurology 2012, 78:823–832 Richter WF et al., AAPS J 2012, 14:559–570 Migotto MA et al., Neurology 2018, 24:589–594 Hauser SL et al., N Engl J Med 2020, 383:546–557 Basistext: Kesimpta® 20mg Injektionslösung in einer Fertigspritze Kesimpta® 20mg Injektionslösung im Fertigpen ▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Wirkstoff: Ofatumumab (ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper, der mithilfe rekombinanter DNA-Technologie in einer Mauszelllinie (NS0) produziert wird.) Zusammensetzung: Arzneimittel wirksame Bestandteile: Jede Fertigspritze enthält 20mg Ofatumumab in 0,4ml Lösung (50mg/ml). Jeder Fertigpen enthält 20mg Ofatumumab in 0,4ml Lösung (50mg/ml). Sonstige Bestandteile: L-Arginin, Natriumacetat-Trihydrat, Natriumchlorid, Polysorbat 80, Dinatriumedetat-Dihydrat, Salzsäure (zur Einstellung des pH-Werts), Wasser für Injektionszwecke. Anwendungsgebiete: Kesimpta wird angewendet zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig verlaufender multipler Sklerose (Relapsing Multiple Sclerosis, RMS) mit aktiver Erkrankung, definiert durch klinischen Befund oder Bildgebung. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; stark immungeschwächte Patienten; schwere aktive Infektion, bis diese abgeklungen ist; bekannte aktive maligne Erkrankung. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Infektionen der oberen Atemwege, Harnwegsinfektionen, Reaktionen an der Injektionsstelle (lokal), Injektionsbedingte Reaktionen (systemisch). Häufig: Lippenherpes, Abnahme von Immunoglobulin M im Blut. Verschreibungspflichtig. Weitere Hinweise: Siehe Fachinformation. Stand: März 2021 (MS 03/21.1). Novartis Pharma Vertriebs GmbH, Roonstr. 25, 90429 Nürnberg. Tel.: (0911) 273–0, Fax: (0911) 273–12 653. www.novartis.de Impressum Multiple Sklerose - SARS-CoV-2-Impfung und Ofatumumab-Therapie bei MS Literaturarbeit Berichterstattung: Dr. Günter Springer, Darmstadt Artikel gedruckt in Ärzte Zeitung für Neurologen und Psychiater Nr. 2, April 2021 Der Nervenarzt, Band 92, Heft 5 DGNeurologie, Band 4, Heft 3 DNP – Der Neurologe & Psychiater, Band 22, Heft 3 InFo Neurologie + Psychiatrie, Band 23, Heft 5 NeuroTransmitter, Band 32, Heft 5 Mit freundlicher Unterstützung der Novartis Pharma Vertriebs GmbH, Nürnberg Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Fabian Weipert Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. 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