Skip to main content
Erschienen in: Die Onkologie 6/2023

Open Access 22.05.2023 | Ösophaguskarzinom | Psychoonkologie

Behandlungspräferenzen von Patient*innen mit Speiseröhrenkrebs

Qualitative Studie mit Patient*innen und medizinischen Expert*innen zu Therapiepräferenzen und Bereitschaft zur Teilnahme an einer randomisierten kontrollierten Studie

verfasst von: Andrea Kiemen, Nathalie Dammer, Manuel Czornik, Julian Hipp, Claudia Schmoor, Jens Höppner, Joachim Weis

Erschienen in: Die Onkologie | Ausgabe 6/2023

Zusammenfassung

Hintergrund

Die Behandlung von Ösophaguskarzinom nach geltendem Standard ist eine Operation, die nach einer neoadjuvanten Chemotherapie (nCT) oder Radiochemotherapie (nCRT) erfolgt. Für Patient*innen mit klinischer Komplettresponse auf eine nCT/nCRT kann eine aktive Überwachung mit einer Operation nur bei Bedarf eine gleichwertige Option in Bezug auf das Überleben darstellen.

Fragestellung

Identifikation von Faktoren, die Therapiepräferenzen, Beweggründe zur Entscheidungsfindung sowie Befürchtungen/Hoffnungen von EC-Patient*innen hinsichtlich der Wahl der beiden Behandlungsoptionen.

Material und Methode

Die qualitative Erhebung mit teilstrukturierten Einzelinterviews mit EC-Patient*innen und Expert*inneninterviews mit Ärzt*innen, Pflegekräften und Psychoonkolog*innen.

Ergebnisse

Die ärztliche Aufklärung stellt bei der Therapiepräferenz eine Entscheidungsgrundlage dar. Hierbei wird nicht nur eine empathische und kompetente Beratung, sondern auch eine konkrete Anweisung bzgl. der Therapiewahl von den behandelnden Ärzt*innen erwartet. Als ein wesentlicher Faktor für die Therapiewahl wird das Alter genannt. Vor allem erhöhtes Komplikationsrisiko während oder nach einer Operation bzw. körperliche Schwäche scheinen für Patient*innen in höherem Alter ein bedeutsamer Grund zu sein, eine Operation nach Bedarf zu bevorzugen. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapie orientiert sich an Lebenszeit und Lebensqualität der Patient*innen, die immer individuell und unterschiedlich interpretiert wird.

Schlussfolgerungen

Nach den hier vorliegenden qualitativen Daten ist die sofortige Operation die primäre Behandlungsoption bei Patient*innen mit Ösophaguskarzinom (7 von 11), dennoch sehen einige Patient*innen sehr wohl die Vorteile der alternativen Behandlungsmethode und würden eine Operation nach Bedarf bevorzugen. Die überwiegende Anzahl der Patient*innen (8 von 11) würde an einer RCT teilnehmen und betrachtet die Teilnahme als eine einmalige Chance, eine alternative Behandlungsmethode zu erhalten, eine Operation zu vermeiden und somit ihre Lebensqualität zu verbessern.
Hinweise
Die Autoren Andrea Kiemen und Nathalie Dammer haben zu gleichen Teilen zum Manuskript beigetragen und teilen sich die Erstautorenschaft.
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Folgender Artikel fokussiert auf den Therapiepräferenzen von Patient*innen mit Ösophaguskarzinom in Bezug auf zwei Behandlungsoptionen, Operation „as needed“ und Operation „on principle“ und den Einflussfaktoren der Entscheidungsfindung. Auch Gründe für oder gegen die Teilnahme an einer kontrollierten randomisierten Studie (RCT) werden behandelt. Es werden die Wichtigkeit einzelner Aspekte einer ärztlichen Aufklärung für die klinische Studie diskutiert sowie die Problematiken im Antwortverhalten der Befragten thematisiert. Der Fokus liegt dabei auf praktischen Schlussfolgerungen, die für eine adäquate Patient*innenkommunikation in Aufklärungssituationen für RCT hilfreich sind. Die Patient*innenperspektive in den einzelnen Themenblöcken wird durch die Expert*innenperspektive ergänzt.
Das Ösophaguskarzinom („esophageal cancer“, EC) ist eine seltene Krebsart mit einer hohen Sterblichkeit – von 1740 Frauen und 5540 Männern, die jährlich an Speiseröhrenkrebs erkranken, leben fünf Jahre nach der Diagnose nur 24 % der Frauen und von 100 Männern sogar nur noch 22 % [1]. Oft wird Speisenröhrenkrebs erst in einem fortgeschrittenen Stadium festgestellt, und somit sind die Heilungschancen ungünstig. Die Behandlung nach geltendem westlichem Standard ist für die Mehrzahl der Patienten mit nichtmetastasierten Tumoren eine Operation, die nach einer vorausgegangenen neoadjuvanten Radiochemotherapie (nCRT) oder neoadjuvanten Chemotherapie (nCT) erfolgt und mit zahlreichen kurz- oder langfristigen Neben- oder Folgewirkungen verbunden ist.

Behandlungsoptionen des Ösophaguskarzinoms in einer klinischen Studie

Neuere Untersuchungen zeigen, dass nach der neoadjuvanten Therapie (Chemotherapie und/oder Radiochemotherapie) bei 16–49 % der Patient*innen im Operationsresektat der Speiseröhre, das bei der Operation entfernt wird, keine vitalen Tumorzellen mehr nachweisbar sind [2]. Es liegt bei diesen Patienten eine „Komplettresponse“ des Tumors vor. Eine andere zunehmend diskutierte – bei klinischem Verdacht auf Komplettresponse als gleichwertig angenommene Behandlungsoption in Bezug auf das Gesamtüberleben- ist die engmaschige klinische Überwachung mit einer Operation nur bei Bedarf, d. h. nur bei persistierendem oder wiederkehrendem lokalem Tumor [3]. Für Patient*innen mit klinischer Komplettresponse auf eine nCT/nCRT kann eine aktive Überwachung mit einer Operation nur bei Bedarf eine gleichwertige Option in Bezug auf das Überleben darstellen [4]. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass eine potenziell schädliche größere Operation vermieden werden kann, wodurch sich die Dauer der Therapie, die Komplikationsrate und die Dauer des Krankenhausaufenthalts verringern und die vor allem die langfristige Lebensqualität erhöhen wird.
Eine Gegenüberstellung der relevanten möglichen Komplikationen beider Behandlungsoptionen – sofortige Operation („on principle“) versus Operation nach Bedarf („as needed“) – nach klinisch vollständigem Ansprechen auf eine nCT/nCRT zeigt Abb. 1.

ESORES-Projekt

Das Projekt ESORES (steht für englisch: „ESOphagus“ und „RESponse“) gehört zu den 5 ausgewählten praxisverändernden klinischen Studien, die im Rahmen der Dekade gegen Krebs vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurden unter besonderer Berücksichtigung der aktiven Partizipation von Patient*innenvertreter*innen. Ziele der Dekade gegen Krebs richten sich auf die Verbesserung bestehender Therapien, Vermeidung von Nebenwirkung und unnötigen Behandlungen, Erhöhung von Lebensqualität und Heilungschancen, Vorbeugung neuer Erkrankungen sowie Patient*innenbeteiligung. Der Patient*innenbeteiligung wird im Rahmen der Dekade gegen Krebs sowie im Rahmen der ESORES-Studie eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Die Patient*innenvertreter*innen waren nicht nur in die Auswahl der Projekte, sondern sind auch in die Planung sowie Umsetzung der Studien involviert, um sicherzustellen, dass die Forschung sich nah an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert [5].
Im Rahmen der ESORES-Konzeptentwicklung wurden Therapiepräferenzen, Beweggründe der Entscheidungsfindung sowie Gründe für oder gegen die Teilnahme an einer RCT von Patient*innen mit Ösophaguskarzinom in Bezug auf die beiden Behandlungsoptionen Operation „as needed“ und Operation „on principle“ erfragt. Auf Basis der Ergebnisse der Entwicklungsphase wurde ein Fragebogen (PDAQ, Preference and Decision Aid Questionnaire) entwickelt, der das zentrale Element für die anschließende Pilotphase der Studie darstellt. Mithilfe der Ergebnisse aus der Pilotstudie sollen auch auf der Basis der potenziellen Zustimmung zur Teilnahme an einer randomisierten Studie die Annahmen zur Stichprobengröße in der Hauptstudie überprüft werden.
Diese Ergebnisse fließen in die Erstellung von patient*innenzentrierten Studieninformationsmaterialien, damit sich Betroffene bei der Studienaufklärung besser angesprochen, in ihren Bedürfnissen erkannt und angemessen aufgeklärt fühlen. Die patient*innenzentrierten Informationsmaterialien werden in der Hauptstudie eingesetzt, um den Patient*innen eine möglichst patient*innenorientierte Aufklärung bieten zu können und somit auch die Studienabbruchraten in der randomisierten klinischen Hauptstudie zu verringern. Die zentrale Hypothese der Hauptstudie ist, dass das Gesamtüberleben bei einer Operation „as needed“ im Vergleich zu einer Operation „on principle“ nicht unterlegen ist und dass die Lebensqualität nach der Krebsbehandlung in der Studiengruppe höher ist als in der Kontrollgruppe, da bei einer relevanten Untergruppe von Patient*innen keine Operation vorgenommen wird. Um eine nebenwirkungsärmere Behandlungsalternative mit einer verbesserten Lebensqualität zu etablieren, werden in der Hauptstudie beide Behandlungsoptionen miteinander verglichen [6].
Dieses Manuskript beschreibt die Ergebnisse der qualitativen Interviews der Entwicklungsphase.

Methoden

Die hier vorgestellte Studie stellt eine Teilstudie des oben vorgestellten ESORES-Projekts (Gesamtleitung Prof. Dr. med. Jens Höppner) dar, die auf der Basis eines Mixed-Methods-Ansatzes unter der Leitung von Prof. Dr. phil. Joachim Weis in Form einer Entwicklungsphase und Pilotstudie durchgeführt wird. In der Entwicklungsphase wurde eine qualitative Querschnittsstudie am Universitätsklinikum Freiburg mit n = 11 Patient*innen und n = 10 Expert*innen (März 2020–März 2021) durchgeführt. Diese diente der Vorbereitung der Pilotstudie in Form einer multizentrischen quantitativen Fragebogenerhebung, die derzeit durchgeführt wird (August 2022–August 2023).

Entwicklungsphase

Die qualitative Erhebung beinhaltete teilstrukturierte Einzelinterviews mit EC-Patient*innen und Expert*inneninterviews mit Ärzt*innen, Pflegekräften und Psychoonkolog*innen, die zu den beiden Behandlungsoptionen Operation „on principle“ und Operation „as needed“ befragt wurden. Die Auswertung der Interviews fokussierte auf der Identifikation von Faktoren, die Therapiepräferenzen, Beweggründe zur Entscheidungsfindung sowie Befürchtungen/Hoffnungen von EC-Patient*innen hinsichtlich der Wahl der beiden Behandlungsoptionen beeinflussen. Ziel dabei war es, einen Fragebogen zur Erfassung der Präferenzen und Entscheidungshilfen (Preference and Decision Aid Questionnaire, PDAQ) zu entwickeln, um die Ergebnisse der qualitativen Phase in einem größeren Patient*innenkollektiv in einer Pilotphase überprüfen zu können. In diesem Manuskript konzentrieren wir uns auf die Ergebnisse der Patient*inneninterviews.
Die Inhalte der Patient*inneninterviews bezogen sich auf fünf Themenblöcke: (1) Beweggründe bei der Therapiewahl, (2) Therapiepräferenz, (3) Einstellung zu den beiden Behandlungswegen, (4) Informationsbedarf und Ausgestaltung der Informationsmaterialien und (5) Entscheidung zur Teilnahme an einer RCT. Bei den Themenblöcken (1) Therapiepräferenz und (2) Beweggründe bei der Therapiewahl wurde die Entscheidung für oder gegen eine der beiden Therapieoptionen sowie die Gründe bzw. Kriterien dieser Entscheidungsfindung abgefragt. Der Block (5) RCT befasst sich mit der Bereitschaft der Patient*innen, hypothetisch an einer randomisierten Studie teilzunehmen.
Die Ergebnisse dieses Manuskripts beziehen sich schwerpunktmäßig auf die Auswertung der Themenblöcke (1) Therapiepräferenz, (2) Beweggründe bei der Therapiewahl, (4) Informationsbedarf und (5) RCT. Die Interviews mit den Expert*innen folgte dem gleichen Gliederungsraster bezogen auf die Sichtweise der Expert*innen.

Ein‑/Ausschlusskriterien

Einschlusskriterien für die Patient*innen waren die Diagnose eines Adenokarzinoms der Speiseröhre (EAC, „esophageal adenocarcinoma“) oder eines adenosquamösen Karzinoms und eines Plattenepithelkarzinoms (ESCC, „esophageal squamous cell carcinoma“) gemäß der Definition der Union for International Cancer Control (UICC; TNM8, ycT0‑3 ycN0 ycM0). Weitere Voraussetzung für die Teilnahme war die abgeschlossene nCT oder nCRT und keine sichtbaren Lymph- oder Fernmetastasen nach der nCT/nCRT. Ausschlusskriterien waren die Diagnose Magenkrebs, Tumoren der zervikalen Speiseröhre oder Komorbiditäten mit Kontraindikation für eine größere Operation sowie das Fehlen einer schriftlichen Einwilligung. Auswahlkriterien für die medizinischen Expert*innen waren alle Berufsgruppen, die an der Behandlung von EC-Patient*innen beteiligt sind.

Ergebnisse

Studiencharakteristika

Insgesamt wurden n = 11 halbstrukturierte Interviews mit Patient*innen und n = 10 Expert*innen durchgeführt. Die Patient*innencharakteristika beschreibt Tab. 1.
Tab. 1
Patient*innencharakteristika
Geschlecht
n = 9 Männer
n = 2 Frauen
Durchschnittsalter
Ø = 60,2 Jahre (Range 33–82 Jahre)
Stand der operativen Behandlung
n = 6 Patient*innen präoperativ
(Ø = 34,2 Tage vor der Op.)
n = 5 Patient*innen postoperativ
(Ø = 91,2 Tage nach der Op.)
Diagnose
n = 8 Patient*innen an EAC (72,7 %)
n = 3 Patient*innen an ESCC (27,3 %)
Stand der neoadjuvanten Behandlung
n = 7 Patient*innen nach nCT (63,6 %)
n = 4 Patient*innen nach nCRT (36,4 %)
Op. Operation, EAC Adenokarzinoms der Speiseröhre, ESCC Plattenepithelkarzinomn, CT neoadjuvante Chemotherapien, CRT neoadjuvante Radiochemotherapie
Die Expert*innen (jeweils 5 Männer und 5 Frauen) setzten sich aus den diversen Berufsgruppen zusammen: Chirurgie (n = 2), Gastroenterologie (n = 2), Onkologie (n = 1), Strahlentherapie (n = 1); Pflegefachkräfte (n = 2), Psychoonkologie (n = 1), Ökotrophologie (n = 1).

Therapiepräferenz und Beweggründe dafür

In den Interviews mit den Patient*innen (7 von 11) zeigte sich die sofortige Operation als die am meisten priorisierte Option, da sie den Patient*innen ein Sicherheitsgefühl und eine mentale Entlastung durch die operative Entfernung des Tumors vermittelt. Auch die befragten Expert*innen betonen die Wichtigkeit für Patient*innen, körperlich tumorfrei zu sein. Dennoch sehen einige Patient*innen (4 von 11) die Vorteile der alternativen Behandlungsmethode und würden mit Blick auf die Lebensqualität eine Operation nach Bedarf bevorzugen:
„Und wenn die sagen, wir geben Ihnen Lebensqualität dadurch, […], da gewinnen wir viel mehr […]. Und da wird jeder sagen, nee, lassen wir das [mit der Operation].“ Patient 9
In einer derartig komplexen Entscheidungssituation stellt die ärztliche Aufklärung einer der zentralsten Faktoren bei der Therapieentscheidung dar. Die Patient*innen vertrauen auf die Fachkompetenz der behandelnden Ärzt*in und sehen die ärztliche Beratung als eine zentrale Entscheidungsgrundlage bei der Bewertung aller möglichen Faktoren, die ihre Entscheidung mit beeinflussen.
„Und ja, also das muss man, ich glaub die Aufklärung vorher ist halt super, super wichtig. […] Je besser man jemanden aufklärt, desto besser kann man, kann die jeweilige Person das, glaube ich, abschätzen.“ Patient 3
Seitens der Patient*innen werden an die Ärzt*innen unterschiedliche Erwartungen gestellt. Die Patient*innen erwarten sowohl Empathie und ausführliche Gespräche in einem vertrauensvollen Rahmen als auch eine kompetente und professionelle Beratung. Aber auch eine gewisse Empfehlung bezüglich der Therapiewahl wird von den behandelnden Ärzt*innen erwartet.
Die ärztliche Aufklärung stellt einer der zentralsten Faktoren bei der Therapieentscheidung dar
Die ärztliche Aufklärung stellt einer der zentralsten Faktoren bei der Therapieentscheidung dar. Aus Sicht der Patient*innen sind das Alter und die damit verbundene körperliche Belastbarkeit wesentliche Faktoren für die Therapiewahl. Vor allem das erhöhte Komplikationsrisiko während oder nach einer Operation bzw. körperliche Schwäche scheinen für Patient*innen ein bedeutsamer Grund zu sein, eine Operation nach Bedarf zu bevorzugen. Die Expert*innen ergänzen diesen Faktor mit dem Aspekt, dass die Lebensqualität der Patient*innen aufgrund ihrer begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit mehr an Bedeutung gewinnt als die rein quantitative Lebenszeit.
„Ich glaub, je älter man ist, desto härter ist es auch für den Körper [eine Operation], so. Ja, wahrscheinlich ist es schon ne Option, darauf zu verzichten.“ Patient 3
Aus Sicht der Expert*innen würden sich diejenigen Patient*innen eher für die sofortige Operation entscheiden, die zusätzliche Belastungen durch die diagnostischen Maßnahmen (wie beispielsweise Computertomographie, Magenspiegelung etc.) befürchten oder höhere Ängstlichkeit, insbesondere Rezidiv- oder Progredienzangst, aufweisen. Patient*innen, die hingegen Angst vor körperlichen Komplikationen einer Operation, vor der Schwere des Eingriffs oder der Anästhesie haben, würden eher zu einer Operation nach Bedarf tendieren.
Die Teilnahme an einer RTC als eine einmalige Chance, eine Operation zu vermeiden
Auch Komorbiditäten und die allgemeine Fitness werden von Expert*innen als ein wichtiger Grund für die Entscheidung der Patient*innen für oder gegen eine der beiden Therapieoptionen genannt. Für Patient*innen mit Begleiterkrankungen bzw. generell für physisch belastete Patient*innen könnte eine Operation mit behandlungsbedingten Folgeproblemen unzumutbar sein.
Die Therapieentscheidung orientiert sich an Lebenszeit und Lebensqualität der Patient*innen
Zentral lässt sich ableiten, dass aus Sicht der Expert*innen die Therapieentscheidung vor dem Hintergrund der individuellen Prioritätensetzung vorgenommen wird. Bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapie orientieren sich die Patient*innen an Lebenszeit und Lebensqualität, die jeweils individuell unterschiedlich bewertet werden.
„Das ist immer die [Kreation] aus Lebenszeit und Lebensqualität. Und da sind die Prioritäten da durchaus anders gelagert in Abhängigkeit der […] Person. Und das heißt, es ist immer die gleiche Formel […] oder die gleichen Variablen, die in diese Formel hineinspielen, so. Und das ist ganz individuell dann ja auch mit den Patienten zu besprechen.“ Experte 3
Folgende Grafik (Abb. 2) zeigt die zusammenfassende Darstellung der Einflussfaktoren auf die potenziell zu treffende Behandlungsentscheidung.
Bezüglich der Gründe für die Therapiewahl wurde gefragt, inwieweit verschiedene Faktoren die jeweilige Therapiewahl beeinflussen, wie beispielsweise die Vermeidung einer Operation, Angst vor Schmerzen, Lebensqualität oder die zeitliche Belastung durch die Kontrolluntersuchungen. Die Vermeidung einer Operation (Beispielfrage: „Wäre für Sie die Vermeidung einer Operation ein wichtiger Grund bei der Wahl der Behandlung?“) wurde von allen befragten Patient*innen als entscheidend für die Therapieentscheidung angesehen. Dennoch würden sich viele Patient*innen eher für eine sofortige Operation entscheiden.
Diese Inkonsistenz in der Bewertung durch die Patient*innen ließe sich durch einen Status-quo-Bias erklären. In einer Entscheidungssituation wird tendenziell die allgemein gültige Standard- und Routineoption zuungunsten einer neuen Variante beibehalten, die zwar den eigentlichen Bedürfnissen oder Wünschen der Befragten eher entsprechen, aber dennoch bestimmte Veränderungen erfordern. Die Angst vor unbekannten Veränderungen bzw. möglichen Konsequenzen einer anderen Wahl könnte folglich die Entscheidung unbewusst mit beeinflussen [7].
Schmerzen (Beispielfrage: „Glauben Sie, Schmerzen sind ein wichtiger Grund bei der Therapiewahl?“) stellten sowohl für die bereits operierten als auch nichtoperierten Patient*innen einen bedeutsamen Grund dar, sich für oder gegen eine Therapie zu entscheiden. Hierbei sind das Ausmaß, die Stärke sowie die Dauer der postoperativen Schmerzen für viele Patient*innen ausschlaggebend.
„Ja. […] ich hab’ hier ’nen riesengroßen Schnitt bei den Rippen. Und eben die ganzen Rippen wurden halt auseinandergezogen. Und die ganzen Muskeln alles, Nerven, alles kaputt gemacht. Und das wurd’ mir vorher gar nicht so sehr gesagt. Da ging’s eigentlich eher um so das Essen danach und das Leben danach und so. Aber was das für Schmerzen waren. […] Das muss man sich schon gut überlegen. Also, ob man das wirklich, ob man die Kraft dafür hat.“ Patient 3
Einen Überblick über die möglichen Gründe für die jeweilige Therapiewahl gibt folgendes Diagramm (Abb. 3).

Informationssuche und -beschaffung

Der Austausch mit der Familie und dem Freundeskreis spielt für die meisten Patient*innen die wichtigste Rolle bei der Therapieentscheidung. Weiteren Informationsquellen, wie z. B. Internet oder Selbsthilfegruppen, wird über alle Altersgruppen hinweg weniger Bedeutung zugeschrieben. Die Gründe hierfür reichen von der Angst, an falsche Informationen zu gelangen, bis hin zur Tatsache, dass manche ältere Patient*innen nicht internetaffin sind oder gar keinen Zugang zum Internet zu Hause besitzen.
„Wie gesagt: Eltern, Geschwister, gute Freunde oder auch Bekannte. Aber jetzt nicht über’s Internet.“ Patient 4
Die Patient*innen weisen ein großes Vertrauen in die Kompetenz ihrer behandelnden Ärzt*innen auf. In diesem Kontext wird der ärztlichen Aufklärung eine große Bedeutung zugeschrieben, da die behandelnden Ärzt*innen eine der wenigen zuverlässigen Informationsquellen in den Augen der Patient*innen darstellen.

Teilnahme an einer RCT

Die überwiegende Anzahl der Patient*innen (8 von 11) würde an einer RCT teilnehmen und betrachtet die Teilnahme als eine einmalige Chance, eine Operation und die damit verbundenen kurz- oder langfristigen Neben- oder Folgewirkungen zu vermeiden.
„Und ich hätte auf jeden Fall an der Untersuchung teilgenommen, weil allein die Chance, an der Untersuchung dann teilzunehmen, oder die Chance, […] dass ich diese Behandlung bekomme oder so.“ Patientin 9
Auch die Gleichwertigkeit der Ergebnisse der beiden Behandlungen ist ein überzeugendes Argument für Patient*innen, an der randomisierten Hauptstudie teilzunehmen. Die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung der Lebensqualität spielt dabei eine Schlüsselrolle:
„Für mich wäre eigentlich im Prinzip so nach dem Motto, wenn das Ergebnis zum Schluss bei beiden und sagt, okay, ich hab’ ’ne gewisse Lebensqualität, wär’ mir das eigentlich relativ Wurst […]. Aber ich sag’ mal […] am Ende steht ja bei beiden Behandlungsmethoden die Heilung.“ Patient 2
Altruismus im Hinblick auf die Förderung der Wissenschaft zum Nutzen für zukünftige Patient*innen ist in unserer Studie geringer ausgeprägt. Nur wenige Patient*innen begründen ihre hypothetische Teilnahme mit dem altruistischen Wunsch, die Krebsforschung vorantreiben zu wollen, bzw. mit dem Wunsch, eine Unterstützung für die Wissenschaft oder Ärzt*innen sein zu wollen.
„Um Unterstützung, ich sag’ mal, für die Ärzte zu geben. Weiß ich nicht. Ich mein’, nur so kann man ja weiterkommen, in dem man sagt, okay […] Fall A oder Fall B und das würd’ ich schon machen.“ Patientin 1
Einen Grund für das Ablehnen der hypothetischen Teilnahme stellt der Wunsch der Patient*innen nach einer aktiven Entscheidung über ihre Behandlung dar. Diese Patient*innen betrachten das Gefühl der Kontrolle über ihr Schicksal als unabdingbar und wollen die Entscheidung über den Behandlungsprozess ihrer Erkrankung nicht dem Zufall überlassen. Die Annahme, dass die alternative Behandlung (Operation „as needed“) aufgrund ihrer Aktualität und somit weniger klinischen Untersuchungen im Vergleich zum etablierten Standard (Operation „on principle“) weniger effektiv sein kann, spielte eine geringe Rolle.

Fazit für die Praxis

  • Eine patient*innenzentrierte Aufklärung sollte nicht nur Informationen zur Erkrankung und zu ihren Behandlungsoptionen mit allen Folgenwirkungen umfassen, sondern auch Raum für Rückfragen der Patient*innen bezüglich möglicher Ängste oder Befürchtungen geben.
  • Die behandlungsbedingten Folgeprobleme nach einer Operation sollen diskutiert werden, damit Patient*innen eine realistische Einschätzung erhalten, was auf sie zukommen kann, da manche Folgeprobleme (z. B. Schmerzintensität oder -dauer) für sie ganz oft schwer vorstellbar sind.
  • In unserer Studie war das Vermeiden einer Operation sowohl einer der zentralsten Faktoren bei der Wahl der Therapie als auch einer der Hauptgründe für die Teilnahme an einer RCT.
  • Die Einschätzung der individuellen Lebensqualität bei einer sofortigen Operation als auch bei einer Operation nach Bedarf wird von den Patient*innen unterschiedlich interpretiert und hat einen Einfluss auf ihre Therapiepräferenz.
  • Das Bedürfnis der Patient*innen nach einer gefühlten Sicherheit spielt bei der Wahl der Therapie eine große Rolle; da in einer RCT die Patient*innen keine Wahl haben, gewinnt die ärztliche umfassende Aufklärung über das vorgesehene Verfahren noch mehr an Bedeutung.
  • Der altruistische Gedanke der Patient*innen, die Wissenschaft bzw. die Forschung vorantreiben zu wollen und somit den zukünftige Patient*innen zu helfen, spielte in unserer Befragung eine untergeordnete Rolle.

Danksagung

Die Autor*innen danken den Patient*innen für ihre Teilnahme an den Interviews.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Kiemen, N. Dammer, M. Czornik, J. Hipp, C. Schmoor, J. Höppner und J. Weis geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor*innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.
Literatur
2.
Zurück zum Zitat Al-Batran SE, Hofheinz RD, Pauligk C, Kopp HG, Haag GM, Luley KB, …, Probst S (2016) Histopathological regression after neoadjuvant docetaxel, oxaliplatin, fluorouracil, and leucovorin versus epirubicin, cisplatin, and fluorouracil or capecitabine in patients with resectable gastric or gastro-oesophageal junction adenocarcinoma (FLOT4-AIO): results from the phase 2 part of a multicentre, open-label, randomised phase 2/3 trial. Lancet Oncol 17:1697–1708. https://doi.org/10.1016/S1470-2045(16)30531-9CrossRefPubMed Al-Batran SE, Hofheinz RD, Pauligk C, Kopp HG, Haag GM, Luley KB, …, Probst S (2016) Histopathological regression after neoadjuvant docetaxel, oxaliplatin, fluorouracil, and leucovorin versus epirubicin, cisplatin, and fluorouracil or capecitabine in patients with resectable gastric or gastro-oesophageal junction adenocarcinoma (FLOT4-AIO): results from the phase 2 part of a multicentre, open-label, randomised phase 2/3 trial. Lancet Oncol 17:1697–1708. https://​doi.​org/​10.​1016/​S1470-2045(16)30531-9CrossRefPubMed
3.
Zurück zum Zitat Noordman BJ, Wijnhoven BPL, Lagarde SM, Boonstra JJ, Coene PPLO, Dekker JWT et al (2018) Neoadjuvant chemoradiotherapy plus surgery versus active surveillance for oesophageal cancer: a stepped-wedge cluster randomised trial. Bmc Cancer 18(1):142CrossRefPubMedPubMedCentral Noordman BJ, Wijnhoven BPL, Lagarde SM, Boonstra JJ, Coene PPLO, Dekker JWT et al (2018) Neoadjuvant chemoradiotherapy plus surgery versus active surveillance for oesophageal cancer: a stepped-wedge cluster randomised trial. Bmc Cancer 18(1):142CrossRefPubMedPubMedCentral
4.
Zurück zum Zitat Hipp J, Nagavci B, Schmoor C, Meerpohl J, Hoeppner J, Schmucker C (2021) Post-neoadjuvant surveillance and surgery as needed compared with post-neoadjuvant surgery on principle in multimodal treatment for esophageal cancer: a scoping review. Cancers 13(3):429CrossRefPubMedPubMedCentral Hipp J, Nagavci B, Schmoor C, Meerpohl J, Hoeppner J, Schmucker C (2021) Post-neoadjuvant surveillance and surgery as needed compared with post-neoadjuvant surgery on principle in multimodal treatment for esophageal cancer: a scoping review. Cancers 13(3):429CrossRefPubMedPubMedCentral
5.
Zurück zum Zitat Praxisverändernde Studien für eine bessere Patientenversorgung – die Nationale Dekade gegen Krebs (dekade-gegen-krebs.de) Praxisverändernde Studien für eine bessere Patientenversorgung – die Nationale Dekade gegen Krebs (dekade-gegen-krebs.de)
7.
Zurück zum Zitat Samuelson W, Zeckhausen R (1988) J Risk Uncertainty 1(1):7–59 Samuelson W, Zeckhausen R (1988) J Risk Uncertainty 1(1):7–59
Metadaten
Titel
Behandlungspräferenzen von Patient*innen mit Speiseröhrenkrebs
Qualitative Studie mit Patient*innen und medizinischen Expert*innen zu Therapiepräferenzen und Bereitschaft zur Teilnahme an einer randomisierten kontrollierten Studie
verfasst von
Andrea Kiemen
Nathalie Dammer
Manuel Czornik
Julian Hipp
Claudia Schmoor
Jens Höppner
Joachim Weis
Publikationsdatum
22.05.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Onkologie / Ausgabe 6/2023
Print ISSN: 2731-7226
Elektronische ISSN: 2731-7234
DOI
https://doi.org/10.1007/s00761-023-01355-4

Weitere Artikel der Ausgabe 6/2023

Die Onkologie 6/2023 Zur Ausgabe

Update Onkologie

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.