Synchrotronstrahlung gilt als die brillanteste und hellste Röntgenstrahlung der Welt und hat in den letzten Jahrzehnten eine enorme Weiterentwicklung in ihrem Anwendungsbereich erfahren [1]. Die erstmalige Beschreibung von Synchrotronstrahlung geht auf das Jahr 1947 zurück [2]. Seitdem ist das Interesse stetig, insbesondere im Bereich der Physik und Festkörperforschung [3], gewachsen. In den letzten Jahrzehnten eröffneten sich jedoch ganz neue Möglichkeiten sowohl in dem Bereich der biomedizinischen Forschung als auch in der radiologisch-pathologischen Diagnostik [4‐6]. Das Prinzip der Synchrotronstrahlung basiert auf folgendem physikalischen Phänomen: Wenn ein sich bewegendes Elektron die Richtung ändert, emittiert es Energie, und wenn sich die Elektronen schnell genug bewegen, ist die emittierte Energie jenseits der Röntgenwellenlänge [1]. Zur Beschleunigung werden die Elektronen in das Booster-Synchrotron eingebracht, hierbei werden sie durch mehrere Tausend Umrundungen bis zu einer Endenergie von 6 Giga-Elektronenvolt (GeV) „geboostert“, bis sie dann final in den Speicherring entsandt werden. Bei der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble umfasst dieser Speicherring einen Umfang von 844 Metern. Dabei werden Elektronen in dem Speicherring unter Ultrahochvakuumbedingungen stundenlang auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und über zahlreiche Undulatoren und Biegemagnete abgelenkt. Über diese Richtungsänderung und Umfokussierung des Strahls verliert dieser über Bremsstrahlung elektromagnetische Energie, die als Synchrotronstrahlung diagnostisch genutzt wird. Ermöglicht wird dies insbesondere über spezielle magnetische Undulatoren mit ständig wechselnder Polarität und Fokussiermagnete, welche die hohen Kohärenz- und Helligkeitseigenschaften der Synchrotronstrahlung gewährleisten, die ihrer Brillanz mit einer Reichweite der Wellenlänge von 0,01–10 nm modernen Lasern kaum nachstehen. Die erreichte Helligkeit der Synchrotronstrahlung ist somit hundertmilliardenmal heller als eine konventionelle Röntgenquelle, wie sie z. B. bei der klinischen Bildgebung genutzt wird. Dies bedeutet eine 100- bis 1000fach verbesserte Auflösung im Vergleich zu einer konventionellen Computertomografie [1]. Dabei nutzen die meisten konventionellen, klinisch genutzten Bildgebungsverfahren den Intensitäts- und Strahlungsdämpfungseffekt, den die Röntgenstrahlung bei Durchdringung des Gewebes erleidet. Die Dämpfungseffekte werden bei dem Verfahren der hierarchischen Phasenkontrasttomografie zusätzlich genutzt. Die Messung der Phasenverschiebungen elektromagnetischer Strahlung kann in Intensitätsschwankungen umgewandelt werden, die dann vom Detektor aufgezeichnet werden und in hoher Kantenschärfe dreidimensional rekonstruiert werden können. Mit dem Upgrade der ESRF (Abb. 1) zu einer Röntgenquelle der „vierten Generation“ im Jahr 2020 wurde eine „hierarchische“ Phasenkontrast-CT (HiP-CT) möglich [5‐9]. Die ultrakohärenten Röntgenstrahlen des Labors liefern Informationen über Phasenänderungen über sehr lange Ausbreitungsentfernungen von bis zu 40 m, sodass Proben mit einer Größe von bis zu 2,5 m × 1,5 m – einschließlich menschlicher Organe und sogar ganzer Körper – dreidimensional in einer Auflösung im Mikrometer- bis Submikrometerbereich abgebildet werden können. Für die Bildgebung werden die Organe in einem Gefäß in Agar-Ethanol fixiert, teilweise dehydriert und stabilisiert. Dieser Prozess eliminiert niederfrequente Hintergrundvariationen und ermöglicht extreme außeraxiale lokale Rekonstruktionen. Die HiP-CT-Scans werden hierarchisch durchgeführt, typischerweise beginnend bei 25 μm/Voxel über das gesamte Organ, gefolgt von einer vergrößerten Bildgebung ausgewählter interessierender Volumina (VOIs) bei 6,5 und 1,3–2,5 μm/Voxel ([5]; Abb. 2). Die geschätzten Bildauflösungen betragen 72 ± 3,4, 18,3 ± 0,6 und 10,4 ± 0,17 μm für Bilder, die bei 25, 6,5 bzw. 2,5 μm/Voxel aufgenommen wurden. Die Scans mit höherer Auflösung visualisierten erfolgreich funktionelle Einheiten in den Organen und bildeten bestimmte spezialisierte Zellen ab. Im Gehirn zeigte HiP-CT beispielsweise Schichten des Kleinhirns und einzelne Purkinje-Zellen. Lungenbilder zeigten die intralobulären Septen und Septumvenen sowie terminale Luftwege, Pneumozyten und Alveolarmakrophagen. Dreidimensionale Rekonstruktionen des Herzens zeigten Bündel von Herzmuskelfasern, die einzelne Kardiomyozyten umfassten, während epitheliale Tubuli in der Niere und rote und weiße Pulpa in der Milz zu sehen waren [5]. Mithilfe dieser neuen Technologie konnte gezeigt werden, dass es bei COVID-19 zu einer Öffnung von Anastomosen der Bronchialgefäße als Vasa privata der Lunge kommt, die kurzfristig die generalisierte Mikroangiopathie in der pulmonalen Strombahn der Vasa publica kompensieren können [8]. Die dreidimensionalen Rekonstruktionen des HiP-CT stellten den gesamten Verlauf der Bronchialgefäße dar und wiesen ebenfalls Merkmale einer Blutgefäßneubildung auf, der sogenannten intussuszeptiven Angiogenese [10‐12]. Durch die vollständige Erfassung gesamter Lungenlappen wurde es auch möglich die vernarbenden Umbauprozesse in schweren COVID-19-Verläufen besser zu verstehen [13]. Dabei konnte mithilfe der HiP-CT-Methode gezeigt werden, dass die sekundäre Lungenläppchen in schweren COVID-19-Verläufen einem unterschiedlich ausgeprägten, mosaikartig verteilten Remodelingprozess unterliegen. Diese Fibroseprozesse konnten dann im Nachgang in einem holistischen Ansatz mithilfe von molekularen Verfahren (Nanostring- und MALDI-TOF-Imaging) im Vergleich zu den gängigen Schädigungsmustern interstitieller Lungenerkrankungen abgegrenzt werden [13].
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