Einleitung
Die Sicherheit von Patientinnen und Patienten in der Anästhesie hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch erhöht, wozu auch das Bewusstsein für den Stellenwert der Infektionsprävention gehört. Dennoch ist bei 100 chirurgischen Eingriffen aktuell – je nach Art und Schweregrad des operativen Eingriffs (OP) und individueller Prädisposition der PatientInnen – mit einer Frequenz von 0,6–9,6 % mit einer postoperativen Wundinfektion („surgical side infection“, SSI) zu rechnen [
1], wobei der anästhesieassoziierte Anteil von einigen Autoren auf bis zum 16 % geschätzt wird [
2]. Der Fortschritt in der Prävention nosokomialer Infektionen im Gesundheitswesen ist daher von zentraler Bedeutung und stellt ein vorrangiges Ziel dar. Vor allem im OP-Bereich, in welchem PatientInnen aufgrund der OP und damit assoziierter Risiken besonders empfänglich für jede Form von Infektion sind, ist in besonderem Maß auf die Umsetzung von Hygienemaßnahmen zu achten.
Aus diesem Grund sind eine repetitive Diskussion sowie die Erstellung optimaler Behandlungskonzepte zur Reduktion von SSI von wesentlicher Bedeutung. Aktuelle Strategiekonzepte zur Vermeidung von SSI beinhalten Bündelmaßnahmen zur optimalen Vorbereitung der PatientInnen, Reinigung, Desinfektion, Be- und Entlüftung der Räumlichkeiten, Aufarbeitung und Sterilisierung von Material, Verwendung von sterilen Einmalprodukten, Durchführung der Anästhesie und Chirurgie, inklusive perioperativer Antibiotikaprophylaxe sowie einer frühen Identifikation und Therapie etwaiger SSI.
Die besondere Herausforderung an ein Krankenhaus und einzelne Abteilungen sowie Berufsgruppen ist die Schwierigkeit, die breit publizierte Evidenz in Form von Leitlinien und Bündelmaßnahmen bestmöglich umzusetzen. Denn aufgrund der hohen Komplexität der Evidenz existieren für jede Berufsgruppe zahlreiche Leitlinien und Vorgaben. Deshalb referenziert der vorliegende Artikel die Evidenz praktisch wichtiger Hygieneleitlinien und diskutiert ihre Umsetzung.
Was ist bei der Durchführung der hygienischen Händedesinfektion zu beachten?
In verschiedenen Studien wurden sowohl die Gelegenheiten als auch die Compliance für das Durchführen einer HD gemäß WHO-Standards innerhalb des Anästhesiepersonals erfasst. In einer Beobachtungsstudie von Biddle et al. wurde die Durchführung der HD des Anästhesiepersonals von Experten registriert, die als Pflegepersonal getarnt an der Studie teilnahmen, um jegliche Einflussnahme auf die Durchführung der HD zu minimieren. Die Fehlerrate – im Sinne fehlender Compliance, die HD durchzuführen – aller TeilnehmerInnen betrug 82 % [
7]. In selbiger Studie wurde beschrieben, dass während bestimmter kontaminationskritischer Situationen (z. B. großer Blutverlust, besonders anspruchsvolle Atemwegssicherung, Perioden von hoher Frequenz von Handgriffen am Patienten aufgrund von anästhesiologischen Notfallsituationen etc.) die WHO-Indikation für eine HD innerhalb einer Stunde bis zu 54-mal gestellt gewesen wäre, was mit einer Versagerquote von 83 % vergesellschaftet war.
Muñoz-Price et al. beschreiben in ihrer Studie, dass das Anästhesiepersonal innerhalb von 8 h nur durchschnittlich 13-mal eine HD durchführte. In einer Folgestudie stellten Muñoz-Price et al. fest, dass die Frequenz der durchgeführten HD von 0,5/h auf 0,8/h angehoben werden konnte, indem vom Arbeitgeber zusätzlich zum an der Wand befindlichen Händedesinfektionsmittelspender auch an der Narkosemaschine ein solcher montiert wurde (
p = 0,01) [
8]. In einer weiteren Studie von Koff et al. wurden die teilnehmenden AnästhesistInnen mit einem tragbaren Händedesinfektionsmittel(HDM)-Spender und einem Timer ausgestattet. In der Kontrollgruppe alarmierte der Timer in einem Intervall von 6 min, wenn keine HD von selbst durchgeführt wurde. Während des Tragens des Timers wurde die Frequenz der HD von 0,15/h auf 7,1/h (
p = 0,008) für das behandelnde ärztliche Personal und von 0,38/h auf 8,3/h (
p = 0,002) beim restlichen Personal erhöht. Mit dem Anstieg der Frequenz der HD war eine Reduktion der Kontamination des Anästhesiearbeitsplatzes und der peripheren Verweilkanülen (PVK) verbunden. Die „Healthcare-associated-infections“(HAI)-Rate wurde von 17,2 % auf 3,8 % reduziert (
p = 0,02). Die Verwendung von tragbaren HDM-Spendern führte des Weiteren in einer anderen Studie zu einer Reduktion von ventilatorassoziierten Pneumonien auf der Intensivstation [
9], wobei einschränkend beachtet werden muss, dass die Arbeitstechnik und -frequenz in einer Intensivstation nicht zwangsläufig mit der im OP vergleichbar sind. Eine Studie untersuchte das Durchführen einer Händedesinfektion in Abhängigkeit einer 60-sekündigen elektronischen Erinnerung alle 15 min, welche die Probanden dazu aufforderte, eine Händehygiene durchzuführen. Die Händehygiene wurde mit elektronischer Erinnerung im Median 2,1-mal, ohne Erinnerung im Median 0,2-mal durchgeführt (
p = 0,006) [
10]. Diese Ergebnisse werfen die Frage auf, ob beispielsweise eine Implementierung eines „Hygiene-Timers“ in bestimmte Software-Oberflächen (z. B. des PatientInnendaten-Management-Systems (PDMS)), welche auf Anästhesiearbeitsplätzen in Verwendung sind, sinnvoll wäre. Weiterführende Studien sollten allerdings klären, ob die beobachteten Effekte möglicherweise nur kurzfristig sind, oder ob Alarmierungen einen kontraproduktiven Effekt auf die Arbeitskonzentration haben könnten.
Sollten wir bei der Atemwegssicherung 2 Paar Einmalhandschuhe tragen?
Anschließend sollte eine HD mit dem inneren Handschuhpaar durchführt werden. Generell können sichtbar saubere Handschuhe mit einem alkoholischen Händedesinfektionsmittel behandelt werden, sofern das Handschuhmaterial mit dem eingesetzten Händedesinfektionsmittel kompatibel ist und es der zeitliche Ablauf nicht anders zulässt [
11].
Die Hände der AnästhesistInnen kommen beim Atemwegsmanagement und der Endotrachealintubation unweigerlich mit Sekret der oberen Atemwege in Kontakt. Daraus resultiert bei mangelnder oder fehlender HD eine Kreuzkontamination des Anästhesiearbeitsbereichs [
15‐
18]. Eine Literaturrecherche ergab 2 Studien, welche in einem simulierten Rahmen den Effekt des Double glovings beschreiben [
15,
16]. In diesen wurde während der Einleitung der Narkose ein Fluoreszenzmarker benutzt und die Streuung desselbigen vom Atemweg der PatientInnen in den Anästhesiebereich ermittelt. Das Tragen doppelter Handschuhe während der Einleitungssequenz und das unmittelbare Verwerfen des äußeren Handschuhs nach dem Sichern des Atemwegs führte zu einer deutlichen Reduktion der Kontamination der PatientInnenumgebung. Diese Kontamination wurde weiter reduziert, wenn das Laryngoskop unmittelbar nach Benutzen mit einem Einmalhandschuh sauber verpackt wurde. Eine weitere Studie von Jaffe et al. überprüfte die Double-gloving-Technik in einem realen klinischen Szenario [
19]. Darin wurde gezeigt, dass das Tragen zweier Paar Handschuhe zu einer signifikanten Reduktion (
p < 0,01) von über 50 % der Kreuzkontaminationen führte.
Die Folgeschäden einer Kontamination des OP und seiner Umgebung durch Mikroorganismen aus dem Respirationstrakt von PatientInnen, welche möglicherweise rund um die Atemwegssicherung erfolgt, kann insbesondere in hygienischen Hochrisikobereichen (beispielsweise Gelenkimplantaten in der Orthopädie im Vergleich zu einer Hysteroskopie) unterschätzt werden. Die Durchführung einer Desinfektion der behandschuhten Hände, wie sie von den Autoren beispielsweise nach der Atemwegssicherung empfohlen wird, stellt aus hygienischer Sicht kein Problem dar [
15,
16,
20]. Es ist derzeit nicht gängiger Bestandteil der klinischen Routine, eine HD mit angezogenen Latex- oder Nitrilhandschuhen durchzuführen. Das ist v. a. darin begründet, dass es keine eindeutige Datenlage zur Beständigkeit der Integrität der Handschuhbarriere unter dem Einfluss von alkoholbasierten Desinfektionsmitteln gibt. Pitten et al. untersuchten den Einfluss von 60 %igem (v/v) Isopropanol auf 4 unterschiedliche Einmaluntersuchungshandschuhe [
21]. Obwohl sich Latexhandschuhe sogar besser desinfizieren ließen als die behandschuhte Hand, war die Integrität eines nitrilbasierten Untersuchungshandschuhs nach 30 s Desinfektion nicht mehr gegeben. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese Studie nicht alle erhältlichen Händedesinfektionsmittel und Handschuhmodelle einbezog und sich diese Arbeit v. a. auf Zugfestigkeit bzw. die Permeabilität des getesteten Materials bezog – für die Beständigkeit der Integrität mögen dies Indikatoren sein, mehr allerdings nicht. Des Weiteren beschreiben die Autoren, dass einige Handschuhmodelle nach mehrmaliger Administration von alkoholischem Händedesinfektionsmittel klebrig wurden [
22].
Allerdings ist zu hinterfragen, ob der Handschuh je nach Prozessgestaltung dann nicht einfach ausgezogen werden kann, die Hände desinfiziert werden können und mit der unbehandschuhten Hand weitergearbeitet werden kann.
Die KRINKO (Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) [
23]. Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens Bundesgesundheitsbl. 2016; 59:1189–1220;
https://doi.org/10.1007/s00103-016-2416-6) empfiehlt als Voraussetzung für die Desinfektion der behandschuhten Hände:
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Der Handschuh muss chemikalienbeständig gemäß EN 374 sein, wobei die Prüfung der sog. Durchbruchzeit von 30 min (Schutzindex der Klasse 2) mindestens einen Alkohol einschließen soll. Vom Hersteller der Handschuhe und vom Hersteller des Händedesinfektionsmittels darf es keine Angaben geben, die einer Desinfizierbarkeit des Handschuhs entgegenstehen.
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Der Handschuh soll nur während der Versorgung an ein und demselben Patienten verwendet werden und ist nach Beendigung der jeweiligen Tätigkeit abzulegen.
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Sofern es der Arbeitsablauf zulässt, sollte der Wechsel von Einmalhandschuhen parallel zu den Indikationen der Händedesinfektion erfolgen, d. h. immer dann, wenn die Indikation für eine Händedesinfektion gegeben ist, aber Handschuhe getragen werden. Im Ausnahmefall können behandschuhte Hände anstelle eines Handschuhwechsels desinfiziert werden, wenn andernfalls der Arbeitsablauf nicht gewährleistet werden kann, z. B. bei Tätigkeiten am selben Patienten aber zwischenzeitlichem Kontakt mit unterschiedlich kontaminierten Körperbereichen.
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Kriterium für die Entscheidung ist, dass der spezifische Arbeitsablauf keine Zeitspanne für die Lufttrocknung der desinfizierten Hände nach der Desinfektion vor dem Anlegen der neuen Handschuhe gewährt.
Was sollten wir bei der i.v.-Injektion von Medikamenten beachten?
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Injektionsanschlüsse und 3‑Wege-Hähne regelmäßig mit potenziell pathogenen Erregern kontaminiert werden. Eine niedrige Anzahl von HD, eine hohe Anzahl an Medikamentenapplikationen und eine hohe Anzahl an Interaktionen mit den Anschlüssen eines i.v.-Katheters resultieren in einer höheren Gefahr der Kontamination selbiger. Auch wenn die Fachliteratur keine direkte Evidenz für das klinische Outcome liefert, so existiert dennoch eine nennenswerte Evidenz dafür, dass das Desinfizieren von Katheter‑, Injektions- oder 3‑Wege-Hahn-Anschlüssen mit einem alkoholbasierten Desinfektionsmittel das Risiko von katheterassoziierten Bakteriämien reduzieren kann [
21]. Die Autoren empfehlen eine Desinfektion des benutzten Injektionsanschlusses vor jeder Benutzung durchzuführen (s. KRINKO „Prävention von Infektionen, die von Gefäßkathetern ausgehen“, Teil 2, [
22]).
Sollten Stechampullen wischdesinfiziert werden?
Welche i.v.-Katheter sollten wir unter maximalen Barrieremaßnahmen anlegen?
Wie bei allen anderen Standards müssen in Akutsituationen Risiko und Nutzen abgewogen werden. Sofern die Zeit es zulässt, empfehlen die Autoren das folgende Vorgehen und berufen sich bei ihren Thesen auf das „Compendium of Strategies to Prevent Bloodstream Infections in Acute Care Hospitals“ [
21] und auf die 2011 veröffentlichte Richtlinie des „Healthcare Infection Control Practices Advisory Committee“ (HICPAC) [
29], welche die folgenden adäquaten Hygienemaßnahmen für ZVK sowie axilläre und femorale arteriellen Zugänge festlegen: Jedes in das Legen oder Wechseln eines Katheters involvierte Personal soll laut HICPAC mindestens einen chirurgischen Mund-Nasen-Schutz des Typs II, eine Kopfbedeckung, einen sterilen Mantel und sterile Handschuhe tragen. Der Patient soll während der Prozedur mit einer großen (möglichst „full body“), sterilen Abdeckung bedeckt werden.
Wie lange vor Gebrauch dürfen Infusionen angestochen werden?
Zusammenfassung
Jede Kollegin und jeder Kollege soll sich situationsspezifisch überlegen, welche der laut Leitlinien zu treffenden Hygienemaßnahmen erfüllt werden können. Den Autoren ist bewusst, dass, je nach Dringlichkeit der PatientInnenversorgung, unterschiedliche Aspekte im Mittelpunkt stehen müssen, um möglichst im Sinne der PatientInnen zu handeln. Bestimmt sind Situationen denkbar, beispielsweise bei der Versorgung eines Polytraumas im Schockraum, in denen auch ein Handeln gemäß Hygienerichtlinien hinter die Stabilisierung des Kreislaufs gestellt werden muss. Um trotz großen Zeitdrucks in Akutsituationen dennoch möglichst hygienisch korrekt arbeiten zu können, haben wir in dieser Übersicht einige Ansätze, wie beispielsweise das Tragen von 2 Paar Einmalhandschuhen („double gloving“) zur Intubation, das Versorgen des benutzten Laryngoskops mit einem Einmalhandschuh oder die Desinfektion der behandschuhten Hände vorgestellt. Außerdem wurde diskutiert, dass einer hygienischen Handhabung der 3‑Wege-Hähne besondere Aufmerksamkeit gelten sollte und diese in den meisten Fällen, angelehnt an die Ergebnisse von Beobachtungsstudien, verbessert werden kann. Für einige dieser Ansätze existiert derzeit noch wenig wissenschaftliche Evidenz – diese zu schaffen, wäre von großem Interesse für unsere PatientInnen, Pflege und letztlich die behandelnden ÄrztInnen.
AnästhesistInnen sind es gewohnt, meist unmittelbares Feedback über die Qualität ihrer Arbeit zu bekommen – auch wenn dies bei Hygienemaßnahmen selten zutreffend und schwerer auf gewissenhafte Arbeit der AnästhesistInnen zurückzuführen ist, können wir die postoperative Lebensqualität unserer PatientInnen durch gezielte Hygienemaßnahmen erhöhen, indem wir möglichst hygienisch arbeiten und so die Wahrscheinlichkeit einer SSI senken. Die vorliegende Arbeit belegt jedenfalls eindeutig, dass einer optimalen perioperativen Hygiene ein wesentlicher Stellenwert zukommt. Nach Auffassung der Autoren ist es die Pflicht eines/einer jeden Anästhesisten/In, die gültigen Richtlinien zur Hygiene im OP zu kennen und bestmöglich im Sinne unserer PatientInnen umzusetzen – mit dem Ziel der Reduktion vermeidbarer Infektionen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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