Eine aktuelle Schweizer Studie legt nahe: Werden Kinder bei Streptokokken-Pharyngitis anstelle von Amoxicillin mit Placebo behandelt, sind die Effekte auf Fieberdauer und Schmerzen gar nicht so viel kleiner. Allerdings lohnt ein Blick auf die Details.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Antibiotika nur einen begrenzten Einfluss auf die Dauer des Fiebers und die Intensität der Schmerzen bei Kindern mit Streptokokken-Pharyngitis haben.“ So fassen Forschende um Renato Gualtieri vom Genfer Universitätsklinikum die Hauptbefunde einer multizentrischen, doppelblinden Studie zusammen, für die das Team Kinder im Alter von drei bis fünfzehn Jahren, die gemäß Schnelltest an einer Gruppe-A-Streptokokken(GAS)-positiven Pharyngitis litten, randomisiert entweder mit Placebo (n = 46) oder dem Antibiotikum Amoxicillin (n = 42) behandelt hatten. Weil sich auf etwaige eitrige Komplikationen schnell reagieren lasse, plädieren Gualtieri und seine Kolleginnen und Kollegen dafür, bei der Verschreibung von Antibiotika zur Behandlung GAS-positiver Pharyngitiden „umsichtiger“ zu sein. Gleichzeitig dürfe eine sich nach der COVID-19-Pandemie verändernde epidemiologische Lage mit mehr invasiven GAS-Infektionen nicht aus dem Blick verloren werden.
Nichtunterlegenheit im primären Endpunkt knapp verfehlt
Der primäre Endpunkt der Studie war die Fieberdauer. Für diesen Endpunkt war die Untersuchung als Nichtunterlegenheitsstudie ausgestaltet, wobei eine Nichtunterlegenheit der Placebobehandlung angenommen wurde, wenn die obere Grenze des 95%-Konfidenzintervalls (95%-KI) für den durchschnittlichen Unterschied zwischen beiden Gruppen unterhalb von 12 Stunden lag. Dieses Nichtunterlegenheitskriterium wurde verfehlt (siehe Tabelle 1). „Obwohl der vorab festgelegte Nichtunterlegenheitsgrenzwert von 12 Stunden um 0,3 bis 0,2 Stunden […] leicht überschritten wurde und wir daher statistisch die Hypothese der Nichtunterlegenheit der Placebobehandlung gegenüber Amoxicillin ablehnen müssen, mag man diese Überschreitung klinisch als unbedeutend ansehen“, so die Bewertung der Schweizer Medizinerinnen und Mediziner.
Etwas anders könnte die Situation laut Gualtieri und Team vielleicht in Fällen liegen, in denen die GAS-Positivität per Kultur bestätigt wird (das traf auf 81% im Amoxicillin-Arm zu und auf 85% im Placeboarm). Zumindest war der mittlere Unterschied zwischen Amoxicillin- und Placebobehandlung (obere 95%-KI-Grenze: 17,7 h) in dieser Subgruppe von Erkrankten am größten (siehe Tabelle 1). Diese Beobachtung müsse aber aufgrund der kleinen Fallzahlen mit Vorsicht interpretiert werden, geben die Forschenden zu bedenken.
Tabelle 1: Analyse des primären Endpunkts „Fieberdauer“ in verschiedenen Gruppen.
Analysierte Gruppe | Durchschnittlicher Unterschied in der Fieberdauer zwischen der Behandlung mit Placebo und Amoxicillin in Stunden | 95%-Konfidenzintervall |
Intention-to-treat(ITT)-Analyse | 2,8 | –6,5 bis 12,2 |
Per-protocol-Analyse | 2,0 | –8,3 bis 12,3 |
Subgruppenanalyse von Fällen mit bestätigter positiver GAS(Gruppe-A-Streptokokken)-Kultur | 6,6 | –4,5 bis 17,7 |
Und was ist mit anderen Symptomen und der GAS-Eradikation?
Gualtieri und seine Kolleginnen und Kollegen hatten sich zudem verschiedene sekundäre Endpunkte angesehen (für die die Studie aber nicht statistisch gepowert war), darunter Schmerzen, Komplikationen, Einnahme von Entzündungshemmern bzw. Fiebersenkern sowie andere Erkrankungsfolgen (wie Husten, Appetitlosigkeit und ausgesetzte Schulbesuche). Der Follow-up-Zeitraum betrug bis zu zwölf Monate. In den meisten sekundären Endpunkten hätten sich keine statistisch signifikanten bzw. klinisch bedeutsamen Unterschiede ergeben, schreiben die Forschenden. Zu den Ausnahmen gehörten:
- An Tag 3 nach Randomisierung berichteten mehr Personen im Placebo- als im Amoxicillin-Arm von Asthenie (44% vs. 12%; p = 0,006)
- Bei mehr Kindern im Placeboarm als im Amoxicillin-Arm (13% vs. 5%) traten Scharlach (3 Fälle vs. 1 Fall), Mittelohrentzündung (2 vs. 1) und Retropharyngealabszesse (1 vs. 0) auf. Allen Komplikationen im Placeboarm sei rasch und erfolgreich mit Antibiotika begegnet worden, schreibt das Studienteam. Das habe auch für den einen Fall eines Tonsillarabszesses gegolten (eine chirurgische Intervention sei hier nicht notwendig gewesen).
- Im Vergleich zum Amoxicillin-Arm bestand im Placeboarm bei Kindern mit in der Kultur nachgewiesener GAS-Infektion 30 Tage nach Randomisierung häufiger eine GAS-Positivität fort (67% vs. 15%; p = 0,002). „Da alle Patienten, die einen Monat nach der Randomisierung noch kulturpositiv waren, asymptomatisch waren, betrachten wir das Fortbestehen von GAS als klinisch unbedeutend“, schreibt das Team um Gualtieri. Diese Erkenntnis müsse jedoch sorgfältig weiter untersucht werden, insbesondere aufgrund jüngst wieder beobachteter invasiver GAS-Infektionen.
Fazit für die Praxis
Trotz dieser Unterschiede unterstützten ihre Befunde eine zurückhaltendere Verschreibung von Antibiotika, lautet das Fazit der Forschenden. „Der übermäßige Einsatz von Antibiotika bei Kindern birgt Risiken, die über die antimikrobielle Resistenz hinausgehen, und ist auch mit negativen langfristigen gesundheitlichen Folgen verbunden.“ In Ländern mit hohem mittlerem Einkommen könnte ein entsprechendes Patientenmonitoring und die Behandlung von Symptomen eine suffiziente Behandlungsstrategie darstellen. Eine sich nach der COVID-19-Pandemie verändernde epidemiologische Lage von GAS-Infektionen gelte es dabei allerdings im Blick zu behalten.
Limitationen der Studie
Zu den Einschränkungen der Studie gehören:
- Die nach einer vorab durchgeführten statistischen Poweranalyse angestrebte Fallzahl (99 Kinder je Arm) wurde nicht erreicht. Das habe auch an der COVID-19-Pandemie und einer mangelnden Akzeptanz des randomisierten Designs bei den Eltern gelegen, schreiben die Forschenden zur Erklärung (249 Kinder waren initial gescreent worden; 79 erfüllten die Studienaufnahmekritieren nicht, 82 lehnten eine Teilnahme ab).
- GAS-Schnelltests würden das Risiko für falsch positive GAS-Befunde bergen, so das Studienteam. Nicht bei allen Personen wurden die Schnelltestbefunde via Kultur validiert. Eine emm-Typisierung der GAS wurde nicht durchgeführt.
- Die meisten Endpunkte wurden de facto von den Eltern berichtet bzw. erhoben (Fiebermessung etc.)