So häufig sind Phantomschmerzen nach Amputation

Nach Amputation einer (Teil-)Extremität empfinden die meisten Patienten Phantomschmerzen in irgendeiner Form, welche oftmals langfristig anhalten. In einem Review aus Australien wurde vor allem deutlich, dass es an qualitativ hochwertigen Studien zur Erfassung dieser häufigen Phänomene mangelt. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Um dem Phänomen der Phantomschmerzen nach Amputation auf die Spur zu kommen, haben australische Forscher 15 Kohortenstudien ausgewertet, die aus den Jahren 2014 bis 2019 stammten. Dabei stießen sie vor allem auf zwei Probleme: die hohe Heterogenität im Design und den Mangel an Studien, die Patienten bereits vor der Amputation einschlossen. Oft lebenslange Begleiter Nach Anna Stankevicius und Kollegen von der University of South Australia lassen die Daten zumindest darauf schließen, dass die Wahrnehmung von Schmerzen oder unangenehme Empfindungen in der verlorenen Extremität die Patienten sehr häufig und meist auch langfristig begleiten: Die Lebenszeitprävalenz lag für den Phantomschmerz zwischen 76% und 87%, für nicht schmerzhafte Empfindungen bei 80%. Zwischen 50% und 94% der Patienten hatten in den vergangenen drei Monaten unter Phantomschmerzen gelitten; bei den nicht schmerzhaften Empfindungen reichten die entsprechenden Angaben von 57% bis 65%. In der einzigen Studie mit geringem Verzerrungsrisiko hatten über 90% der Patienten, die bei einem Unfall einen Arm verloren hatten, nach 30 Jahren immer noch Schmerzen in der nicht mehr vorhandenen Gliedmaße. Die Ätiologie solcher Phänomene ist unklar. Vermutet werden Veränderungen im peripheren und zentralen Nervensystem als Folge der Amputation. Dabei gibt es Hinweise darauf, dass Faktoren wie bereits vorbestehende Schmerzen, postoperative Schmerzen am Stumpf, Schlafstörungen, der traumatische Verlust der Gliedmaße oder ein vorbestehender Diabetes mellitus mit der Entstehung von Phantomschmerzen assoziiert sind. Vom Jucken bis zum „Telescoping“ Stankevicius und ihr Team widmeten sich insbesondere auch den nicht schmerzhaften „Phantom limb sensations“: Dazu zählen z. B. Kinästhesien, also die Wahrnehmung, dass sich die amputierte Extremität bewegt, Druckgefühle, Jucken oder Kitzeln, aber auch das sogenannte „Telescoping“, ein Gefühl, als würde z. B. der imaginäre Arm sich wie ein Teleskop zusammenschieben. Speziell dieses Phänomen gilt den Autoren zufolge als Risikofaktor für ein Therapieversagen. Die Forscher fanden drei Kohortenstudien, die sich mit dem „Telescoping“ auseinandersetzten. Die Prävalenz reichte dabei von 15% (Punktprävalenz ein Jahr nach atraumatischer Amputation) bis 25% (Lebenszeitprävalenz in einer Kohorte mit ausschließlich traumatischen Amputationen). Bei Jugendlichen seltener Interessanterweise kamen Phantomschmerzen bei Heranwachsenden im Verhältnis seltener vor (in knapp 22%, wenn es sich um einen verlorenen Arm, bzw. in 7%, wenn es sich um ein Bein handelte). In der Studie mit Jugendlichen wurden allerdings nur traumatische Amputationen berücksichtigt, der Beobachtungszeitraum lag zwischen fünf und zehn Jahren nach dem Unfall. Zwei vergleichbare Studien mit Erwachsenen kamen zu einer Punktprävalenz von 58% bzw. 85%, jeweils nach etwa zwei Jahren. Es sei denkbar, so die Forscher, dass die neuroplastische Kapazität bei diesen Unterschieden eine Rolle spiele. Schmerzen vor Amputation als prädisponierender Faktor In dem Review schien sich zu bestätigen, dass sowohl Phantomschmerzen als auch nicht schmerzhafte Phänomene häufiger nach traumatischer Amputation auftraten. Ob Arme oder Beine häufiger betroffen waren, ließ sich nicht klar eruieren. Allerdings schienen sich Phantomschmerzen vor allem dann zu entwickeln, wenn die Amputation aufgrund einer vaskulären Ursache vorgenommen worden war und die Patienten bereits zuvor starke Schmerzen gehabt hatten. Letzteres scheint laut Stankevicius et al. einen prädisponierenden Faktor darzustellen. Die Literaturübersicht zeige vor allem einen deutlichen Nachholbedarf: Insbesondere mangele es an qualitativ hochwertigen Studien, die die beschriebenen Phänomene standardisiert erfassen. Dies sei nicht nur wichtig, um die zu erwartenden Prävalenzen zu bestimmen, sondern auch, um dem Patienten eine einigermaßen verlässliche Prognose stellen zu können. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie hoch sind Prävalenz und Inzidenz von Phantomschmerzen und nicht schmerzhaften Empfindungen bei Patienten mit (teil-)amputierten Gliedmaßen? Antwort: Die Angaben zur Inzidenz sind äußerst heterogen. Der Anteil der Patienten, die nach der Amputation irgendwann einmal Schmerzen in der verlorenen Extremität empfinden, liegt bei über 75%, nicht schmerzhafte Empfindungen haben über 80%. Bedeutung: Phantomschmerzen scheinen häufig zu sein, es mangelt jedoch an Daten zur exakten Bestimmung der Häufigkeit. Einschränkung: Hohe Heterogenität der verfügbaren Studien.

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