In Deutschland hat die Inanspruchnahme von Krebs-Screening-Programmen im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie deutlich gegenüber den Vorjahren abgenommen. Das zeigt eine Auswertung der Daten von fast 16 Millionen AOK-Versicherten. Der Rückgang betraf vor allem Frauen sowie Patientinnen und Patienten fortgeschrittenen Alters.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Wie sehr die Krebsfrüherkennung seit Beginn der Corona-Pandemie vernachlässigt wurde, zeigt eine aktuelle Studie mit 15.833.662 AOK-Versicherten in Deutschland. Demnach wurden bestehende Screening-Programme insgesamt um mehr als 21% weniger genutzt als im Durchschnitt der Vorjahre (2017 bis 2019). Der deutlichste Rückgang wurde dabei im Lockdown-Monat April 2020 verzeichnet, mit einem Minus von insgesamt über 52%.
Einbrüche vor allem beim Gesundheits-Checkup
Am stärksten betroffen war der allgemeine Gesundheits-Checkup (–45%), gefolgt vom Screening auf okkultes Blut im Stuhl (–33%), Hautkrebs-Screening (–25%) und Koloskopie (–22%). Weniger ausgeprägt waren die Unterschiede zu den Vorjahren bei der Screening-Mammografie (–11%), bei der allgemeinen gynäkologischen Krebsvorsorge (–10%) und bei der Krebsvorsorge des Mannes (–6%).
Bemerkenswert war für Jennifer Muschol von der Universität Gießen und ihr Team die Altersabhängigkeit: „Je älter die Patienten, desto geringer war die Inanspruchnahme des Screenings.“ In der Gruppe der 40- bis 60-Jährigen habe der Rückgang rund 27% betragen, bei den 60- bis 70-Jährigen 32% und bei denjenigen über 80 sogar gut 42%. Diese Entwicklung könne mit dem schwereren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung bei älteren Patienten zu tun haben, aber auch mit dem erschwerten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Generell habe wohl die Furcht vor Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus viele Menschen davon abgehalten, zur Vorsorge zu gehen, so Muschol et al. Das habe für ältere Menschen wahrscheinlich in besonderem Maß gegolten.
Die Forschenden weisen außerdem auf gewisse Geschlechterdifferenzen hin: So seien Screening-Untersuchungen, die beide Geschlechter gleichermaßen angehen, bei Frauen im ersten Pandemiejahr insgesamt stärker rückläufig gewesen als bei Männern (–33% bzw. –30%). Bei der Vorsorgekoloskopie zum Beispiel habe man für die Frauen Rückgänge um 46% verzeichnet, bei den Männern dagegen „nur“ um 44%. Dies könne daran liegen, dass Frauen mehr in der Versorgung von Familienmitgliedern eingespannt waren, was sie an der Teilnahme gehindert haben könnte, spekulieren Muschol und ihr Team.
Tiefststand im April 2020
Der Tiefststand bei den Screenings wurde den AOK-Daten zufolge im April 2020 erreicht: In diesem Monat hatten Lockdown-bedingt fast keine Screening-Mammografien stattgefunden (Rückgang um fast 99%). Aber auch die Rate der Checkup-Untersuchungen war im April extrem gesunken (–70%).
Bereits im Januar 2020 hatten insgesamt fast 19% weniger Vorsorgeuntersuchungen stattgefunden als im entsprechenden Monatsdurchschnitt der Vorjahre. Der Rückgang verstärkte sich im Februar und März (–21% bzw. –39%) und gipfelte im April mit einem Minus von über 52%. Nach einer kurzen Erholung im Frühsommer kam es im August erneut zu einem vergleichsweise starken Absinken der Screening-Zahlen (–21%). Der Herbst bescherte dann wieder einen leichten Anstieg, gefolgt von einem erneuten Abfall im Dezember 2020 (–14%).
Verpasste Termine nicht nachgeholt
Einen „Aufholeffekt“ habe es zumindest im ersten Pandemiejahr nicht gegeben, betonen Muschol und Kollegen. Das bedeutet, die verpassten Screening-Angebote wurden in diesem Zeitraum nicht nachgeholt.
Die Autoren befürchten, dass viele Krebserkrankungen nun nicht mehr im Frühstadium entdeckt werden. Dies könne mehr schwere Verläufe und auch erhöhte Sterberaten nach sich ziehen. Um dies zu verhindern, müsse man darauf hinwirken, dass die Patientinnen und Patienten wieder häufiger zur Vorsorge gehen, angefangen vom Gesundheits-Checkup über das Hautkrebs-Screening bis zur Darmkrebsvorsorge. Dabei helfen könnten zum Beispiel die Telemedizin oder auch Gesundheits-Apps. Diese müssten allerdings auf die Bedürfnisse vor allem älterer Patientinnen und Patienten abgestimmt sein.
Das Wichtigste in Kürze |
Frage: Inanspruchnahme von Screening-Programmen im Pandemiejahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren. Antwort: Von den AOK-Versicherten wurden bestehende Screening-Programme im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie um rund 21% weniger genutzt als im Durchschnitt der Vorjahre (2017 bis 2019). Der deutlichste Rückgang wurde im Lockdown-Monat April 2020 verzeichnet, mit einem Minus von insgesamt über 52%. Je älter die Patienten waren, desto geringer war die Inanspruchnahme des Screenings. Bei Frauen machte sich vor allem die Unterbrechung des Mammografie-Screenings bemerkbar. Bedeutung: Da gerade ältere Menschen ein höheres Krebsrisiko haben, fällt der Rückgang der Teilnahme an Screening-Maßnahmen in dieser Gruppe besonders ins Gewicht. Einschränkung: Retrospektive Studie; Auswertung individueller Patientenfaktoren nicht möglich; sozioökonomischer Status nicht berücksichtigt. |