Formal rechtmäßiger Regress kann gleichwohl rechtsmissbräuchlich sein

Weil ein Onkologe Rezepte nicht persönlich unterschrieben hatte, wollte die Kasse tausende Euro – trotz medizinisch begründeter Verordnung – zurück. So nicht, urteilte das Mainzer Sozialgericht. Einen nach formalen Kriterien eigentlich berechtigter Regress auch durchzusetzen, kann im Einzelfall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Diese bemerkenswerte Auffassung hat das Sozialgericht Mainz in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vertreten. Es hob damit Regressbescheide über mehrere tausend Euro als rechtsmissbräuchlich auf. Konkret geht es um einen Gynäkologen und früheren Chefarzt einer Klinik in Rheinland-Pfalz. Er war persönlich zur Behandlung onkologisch erkrankter Patientinnen ermächtigt. Weil er in den Quartalen I/2010 bis I/2013 Verordnungen für Zytostatika nicht unterschrieben hatte, setzten die Prüfgremien gegen ihn Rückforderungen in Höhe von zuletzt noch 286.535 Euro fest. Dagegen wehrte sich der Gynäkologe mit Hinweis auf sein konkretes Vorgehen. Alle Verordnungen seien unter seiner Beteiligung in einem Expertengremium, dem sogenannten Tumorboard, besprochen und dann von ihm persönlich angeordnet worden. Alles werde digital dokumentiert und die Verordnungen digital der Apotheke übermittelt. Auch wenn es hier um ambulante Behandlungen gehe, müssten die Zytostatika teils noch während des Klinikaufenthalts angefordert werden, damit die Apotheke ausreichend Zeit für deren Herstellung hat. Regressantrag der Kasse wäre abzulehnen gewesen Seine Verantwortlichkeit für die Verordnungen sei „zweifelsfrei dokumentiert“, und er habe darauf vertrauen dürfen, dass dieses digitale System rechtlich unbedenklich ist, meinte der Arzt. Was das Sozialgericht Mainz nun bestätigte. Zwar seien die Voraussetzungen für einen Regress „dem Grunde nach“, also formal erfüllt. Nach den gesetzlichen Vorgaben und ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehöre es zum Gebot der persönlichen Leistungserbringung, dass alle Verordnungen vom behandelnden Arzt persönlich unterschrieben sind. Dennoch hätte der Berufungsausschuss aber den Regressantrag der Kasse „als rechtsmissbräuchlich ablehnen müssen“, so die Sozialrichter weiter. Die Kasse müsse sich den „rechtlich-sittlichen Vorwurf“ gefallen lassen, mit ihrem Regressanspruch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zu verstoßen. Zunächst sei der Regressantrag der Krankenkasse zwar nicht zu missbilligen gewesen. Nach den Ausführungen des Gynäkologen und den weiteren Ermittlungen der Prüfgremien hätten diese dem Antrag der Kasse aber nicht stattgeben dürfen. Die Durchsetzung des Regressanspruchs wegen nicht unterschriebener Verordnungen sei „unnötig“. Beschwerdeausschuss muss neu entscheiden Zur Begründung betonten die Mainzer Richter, weder die Höhe des Regresses noch die Zahl der Verstöße lasse hier einen Rückschluss auf „die Vehemenz und Qualität der Pflichtverletzung zu“. Die Höhe des Regresses sei aber geeignet, die Existenz des Arztes zu gefährden. Sie verstoße daher auch gegen das Übermaßverbot. Demgegenüber komme hier den Interessen der Krankenkasse nur geringes Gewicht zu. Die persönliche Verantwortlichkeit des Gynäkologen für die Verordnungen stehe hier außer Frage. Dass er persönlich zu erbringende Leistungen delegiert hat, könne ausgeschlossen werden. Dabei gehe es um Standard-Therapeutika, deren Sachdienlichkeit ebenfalls außer Frage stehe. Nach diesen Maßgaben soll der Beschwerdeausschuss nun neu entscheiden. Stattdessen können er oder die beigeladene Krankenkasse aber auch Rechtsmittel zum Landessozialgericht einlegen. Sozialgericht Mainz, Az.: S 3 KA 14/19 Quelle: Ärzte Zeitung

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