Raserei im Doktorwagen

Auszug

In medizinischen Notfällen ist rasche Hilfe vor allem eine Frage ärztlicher Mobilität. Von deren Mangel rührt denn auch die große Verlegenheit her, in der sich ein Landarzt in Franz Kafkas gleichnamiger Erzählung befindet: "(…) eine dringende Reise stand mir bevor; ein Schwerkranker wartete auf mich in einem zehn Meilen entfernten Dorfe; (…) einen Wagen hatte ich, leicht, großräderig, ganz wie er für unsere Landstraßen taugt; (…) aber das Pferd fehlte, das Pferd." Ein Pferd hatte auch der Kollege Heinrich Hildebrandt nicht, der 1906 vor dem Apollotheater in Nürnberg mit der Ohnmacht einer Dame auf dem obersten Treppenabsatz konfrontiert gewesen sein soll. Indes verfügte Hildebrandt über Pferdestärken, verborgen unter der Haube seines Motorwagens. Der Arzt, zum Treppensteigen in fortgeschrittenem Alter nur noch bedingt in der Lage, gab Gas und fuhr die Treppe zur ohnmächtigen Patientin kurzerhand mit seinem Auto hinauf. Zwar entpuppt sich die Geschichte bei näherem Hinsehen als Werbegag für ein Fahrzeug der Marke Maurer-Union. Kein Scherz ist hingegen die frühe und enge Bindung der mobilen Ärzteschaft an motorbetriebene fahrbare Untersätze: Zweisitzer wie jener des Doktor Hildebrandt wurden von vielen Ärzten für Hausbesuche genutzt, weshalb sie den Spitznamen "Doktorwagen" bekamen. …