Praxen und Kliniken sollten sich jetzt auf den Hinweisgeberschutz vorbereiten

Praxen, Kliniken und Heime mittlerer Belegschaftsstärke (50 bis 249 Mitarbeiter) müssen bis 17. Dezember 2023 eine interne Meldestelle für Hinweisgeber eingerichtet haben, die Rechtsverstöße melden wollen. Daran ändert auch das Scheitern des Gesetzes im ersten Bundesratsanlauf nichts. Bei Versäumnis drohen Bußgelder. Berufliche Loyalitätspflichten, von Arbeitsgerichten wiederholt bestätigt, enden dort, wo sie in Komplizenschaft umzuschlagen drohen. Beschäftigte, die innerbetriebliche Missstände anzeigen, waren in der Vergangenheit jedoch regelmäßig mit Schikanen und Jobverlust konfrontiert. Bekanntere Beispiele aus der Gesundheitswirtschaft: Etwa der kaufmännische Leiter der „Alten Apotheke“ in Bottrop, der zusammen mit einer Pharmazeutisch Technischen Assistentin 2016 die Zytostatika-Panscherei des Offizin-Inhabers aufdeckte. Oder die Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die 2004 unhaltbare Personalnöte in einem Berliner Pflegeheim anprangerte und gegen ihre daraufhin fristlose Kündigung bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gezogen war. Unterdessen gilt bereits seit Mitte Dezember 2019 die europäische Whistleblower-Richtlinie (EU 2019/1937), die Hinweisgebern nicht nur wirkungsvollen Schutz vor Repressalien verspricht, sondern darüber hinaus Behörden und Unternehmen auferlegt, verbindliche Meldewege und Rückmeldesysteme für Hinweisgeber einzurichten. Definition „Beschäftigungsgeber“ ab 50 „Beschäftigten“ müssen eine interne Meldestelle einrichten und gesetzeskonform betreiben. Zu „Beschäftigten“ zählen laut Paragraf 3 Hinweisgeberschutzgesetz sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – ungeachtet ihres Tätigkeitsumfangs, also auch Teilzeitkräfte. Zudem per Definition auch Auszubildende. Vertragsverletzungsverfahren Mit der Umsetzung der Richtlinienvorgaben in nationales Recht hapert es allerdings. Längst hätte das unionsweit erfolgen sollen – nämlich bis 17. Dezember 2021. Nachdem diese in der Richtlinie verankerte Frist von 24 Ländern gerissen worden war, reagierte die Kommission zunächst mit Aufforderungen zur Stellungnahme. Im weiteren Verfahrensgang blieben acht säumige Länder übrig (Deutschland, Estland, Spanien, Italien, Luxemburg, Ungarn, Tschechien und Polen), gegen die deshalb am 15. Februar dieses Jahres die Kommission beim EuGH Vertragsverletzungsklage eingereicht hat. Ein weit gefasster und klar definierter Rechtsrahmen ist – besonders für den sensiblen Bereich der Gesundheitseinrichtungen – unerlässlich. Marburger Bund, Stellungnahme zum Gesetzentwurf Nachdem hierzulande das Umsetzungsvorhaben in der vergangenen Legislatur liegen geblieben war, verabschiedete der Bundestag erst Mitte Dezember 2022 das Hinweisgeberschutzgesetz. Das zwei Monate später jedoch im Bundesrat mangels mehrheitlicher Zustimmung durchfiel. Den Ländern mit Regierungsbeteiligung von CDU und CSU gehen die Ampel-Pläne gleich in mehreren Punkten zu weit (siehe Textkasten ganz unten). Für Deutschland ein Armutszeugnis, schließlich ist die Frist zur Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie bereits Ende 2021 verstrichen. Transparency Deutschland zum Scheitern des Hinweisgeberschutzgesetzes im Bundesrat Arbeitgebern, die verpflichtet sind, interne Meldestellen einzurichten, nützt die Gesetzgebungsbremse der Länderkammer wenig. Denn die EU-Richtlinie sieht vor, dass kleine und mittlere Unternehmen (50 bis 249 Mitarbeiter) solche Meldestellen bis spätestens 17. Dezember 2023 vorzuweisen haben. Dieser Termin steht, eigenmächtig verschieben kann Deutschland ihn nicht. Zwar könnte im Zuge der jetzt nötigen Kompromissfindung die zuletzt noch per Änderungsantrag in das Gesetz aufgenommene Option auf anonyme Melde- und Rückmeldekanäle wieder entfallen; nach Meinung vieler Beobachter ist das aber eher unwahrscheinlich. Ohnehin räumt Berlin zur betrieblichen Umsetzung dieser besonderen Vorgabe Unternehmen – jeglicher Größe – eine separate Frist bis 1. Januar 2025 ein. Darüber hinaus berühren die übrigen Kritikpunkte von CDU/CSU das Arbeitgeberpensum zur Implementierung des Hinweisgeberschutzgesetzes nicht, es ist also so oder so zu leisten. Eine kurze, perspektivisch auf ambulante und stationäre Gesundheitseinrichtungen zugeschnittene Übersicht dessen, was auf Unternehmen – oder in der Diktion des Gesetzestextes „Beschäftigungsgeber“ – zukommt: Elemente des Hinweisgeberschutzes: Der eigentliche Hinweisgeberschutz besteht in der Beweislastumkehr, die dann greifen soll, wenn Whistleblower eine „Benachteiligung im Zusammenhang mit (ihrer) beruflichen Tätigkeit“ erleiden (§ 36 des Gesetzentwurfs). Soll heißen, der Arbeitgeber muss beweisen, dass eine Kündigung oder etwa auch nur eine unterbliebene Beförderung eines Hinweisgebers nicht durch dessen Meldung veranlasst ist; immer vorausgesetzt, der Hinweisgeber hat sich an die Meldeprozeduren und den Anwendungsbereich des Gesetzes gehalten. Als Benachteiligung oder „Repressalie“ definiert Paragraf 3 ebenso weitgehend wie unkonkret: „Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf eine Meldung oder eine Offenlegung sind und durch die der hinweisgebenden Person ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann.“ Weitere Elemente des Hinweisgeberschutzes sind die Freiheit der Informationsbeschaffung, sofern diese nicht selbst in strafbarer Form geschieht (§ 35). Sowie ein Schadenersatzanspruch, den legitimierte Hinweisgeber gegen diejenigen geltend machen können, von denen sie benachteiligt werden (§ 37). Welche Meldungen gedeckt sind: Die Liste der Sachverhalte, deren Meldung oder – unter bestimmten Bedingungen – auch Offenlegung einen Hinweisgeberschutz auslösen, ist lang. Evident nennt der einschlägige § 2 („sachlicher Anwendungsbereich“) an erster Stelle „Verstöße, die strafbewehrt sind“. Es folgen Verstöße, die bußgeldbewehrt sind, „soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib, oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient“, wie es dort wörtlich heißt. Danach erstreckt sich der Hinweisgeberschutz etwa auch auf Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsschutzgesetz, das Nachweisgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz. Im Anschluss werden weitere Rechtsvorschriften aufgelistet, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen: So unter anderem Vorgaben zum Strahlenschutz und zur kerntechnischen Sicherheit, zum Umweltschutz, zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs, Human- und Tierarzneimittel, Medizinprodukte sowie die grenzüberschreitende Patientenversorgung, Verstöße gegen Vergaberecht, die Datenschutzgrundverordnung oder auch Aktionärsrechte. Um die wachsende Querdenker- und Reichsbürgerszene im Blick zu behalten, wurden schließlich auch „Äußerungen von Beamtinnen und Beamten“ in den Anwendungsbereich aufgenommen, „die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“. Übrigens: Meldungen und Veröffentlichungen, die die ärztliche Schweigepflicht verletzen, sind ausdrücklich nicht vom Hinweisgeberschutz gedeckt (§ 5 Abs. 2 Nr. 4). Interne und externe Meldestellen: Betriebe ab 250 Beschäftigten müssen bereits drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes eine interne Meldestelle installiert haben. Betriebe mit 50 bis 249 Beschäftigten haben dafür bis 17. Dezember 2023 Zeit. Unternehmen dieser Belegschaftsgröße dürfen auch „eine gemeinsame Stelle einrichten und betreiben“ (§ 14 Abs. 2). Die interne Meldestelle kann von einem Mitarbeiter, einer Abteilung oder auch von einem externen Dienstleister geführt werden (§ 14 Abs. 1). Als Beschäftigte gelten definitionsgemäß (§ 3) sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also auch Teilzeitkräfte und Auszubildende. Eingaben müssen mündlich oder schriftlich möglich sein. Die Identität von Hinweisgebern ebenso wie derjenigen, die Gegenstand einer Meldung sind oder darin auch nur namentlich genannt sind, muss von den Meldestellen vertraulich behandelt werden (§ 8). Nach derzeitigem Gesetzesstand ist außerdem vorgesehen, dass interne Meldestellen auch anonyme Hinweise bearbeiten und mit Hinweisgebern unter Wahrung deren Anonymität kommunizieren (§ 16 Abs. 1). Neben den internen Meldestellen soll es externe Stellen bei Bund und Ländern geben. Whistleblower können demnach selbst entscheiden, an welche Meldestelle sie sich wenden; einen Vorrang der internen Stelle gibt es nicht! Was bei Offizialdelikten – wie beispielsweise auch Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen – zur Konsequenz haben kann, dass der Staatsanwalt sofort vor der Türe steht, wenn ein Hinweisgeber ohne Umschweife extern Meldung macht. Arbeitgeber sollten und dürften deshalb selbst daran interessiert sein, dass ihre Meldestelle unkompliziert funktioniert und vertrauenswürdig ist. Pflicht zur Rückmeldung: Die interne Stelle muss Hinweisgebern binnen sieben Tagen den Meldungseingang bestätigen (§ 17). Zu den Aktivitäten, die sie dann zu ergreifen hat, zählen etwa eigene Recherchen, betroffene Personen zu kontaktieren, Compliance-Maßnahmen einzuleiten oder das Verfahren an eine Behörde abzugeben. Spätestens drei Monate nach dem bestätigten Meldungseingang sind Hinweisgeber zu unterrichten, was in der Angelegenheit unternommen wurde oder noch zu tun beabsichtigt ist. Externe Meldestellen haben etwas mehr Zeit, Hinweisgeber über den Stand der Dinge zu informieren – bis zu sechs Monate „in Fällen , in denen die Bearbeitung umfangreich ist“. Recht, Missstände zu veröffentlichen: Der Whistleblower-Schutz gilt unter bestimmten Umständen auch dann, wenn – als Ultima ratio – Missstände veröffentlicht werden (§ 32): Entweder, weil nach einer externen Meldung „keine geeigneten Folgemaßnahmen ergriffen wurden“ oder weil Hinweisgeber keine Rückmeldung über solche Maßnahmen erhalten haben. Außerdem dürfen Verstöße auch dann offengelegt werden, wenn „hinreichender Grund zu der Annahme“ besteht, dass der Verstoß öffentliche Interessen gefährdet, oder bei externer Meldung Repressalien zu befürchten sind, oder Beweismittel vernichtet werden könnten. „Oder aufgrund sonstiger besonderer Umstände die Aussichten gering sind, dass die externe Meldestelle wirksame Folgemaßnahmen einleiten wird.“ Wichtig: Unbearbeitete oder sonstwie versandete Hinweise an eine interne Meldestelle begründen bei Veröffentlichung noch keinen Hinweisgeberschutz. Hier ist zuvor eine zweite, externe Meldung zu erstatten. Bußgeldkatalog: Verstöße gegen das Hinweisgeberschutzgesetz werden als Ordnungswidrigkeiten geahndet. Mit drastischen Bußgeldern: Am günstigsten (bis zu 10.000 Euro) kommt noch weg, wer als Mitglied einer Meldestelle die Identität eines Hinweisgebers fahrlässig nicht wahrt. Wer dasselbe „vorsätzlich oder leichtfertig“ tut, kann mit bis zu 100.000 Euro zur Kasse gebeten werden. Genauso teuer wird es, wenn jemand eine Meldung bei einer Meldestelle oder deren Kommunikation behindert oder Repressalien gegen Hinweisgeber ergreift (oder das eine wie das andere auch nur versucht). Mit bis zu 20.000 Euro sollen Arbeitgeber bestraft werden, die entgegen ihrer Verpflichtung keine interne Meldestelle betreiben. Gleiches Geld droht Whistleblowern, die wissentlich falsche Informationen veröffentlichen. Ein Bußgeld für falsche Hinweise an eine Meldestelle ist dagegen nicht vorgesehen. In solchen Fällen gilt dann lediglich kein Hinweisgeberschutz. Ist Whistleblowerschutz ins ärztliche Berufsrecht einzuarbeiten? Die im Berufsrecht vorgeschriebene ärztliche Kollegialität (§ 29 MBO) könnte ohne weitere Anpassungen zu Konflikten mit dem Hinweisgeberschutzgesetz führen. Diese Ansicht vertritt der auf Medizinrecht spezialisierte Rechtsanwalt Michael Lennartz. Von daher sei von den Ärztekammern zu prüfen, ob ihre Berufsordnungen um einen Passus ergänzt werden müssen, der den (absehbaren) gesetzlichen Anforderungen an den Whistleblowerschutz Rechnung trägt. Zudem ist Lennartz der Meinung, dass sich auch kleinere ärztliche Arbeitgeber (unter 50 Mitarbeitern) überlegen sollten, eine interne Meldestelle einzurichten – obwohl sie dazu nicht verpflichtet sind. Der Vorteil, mittels interner Hinweisgebersysteme zunächst die vorbehördliche Kontrolle über etwaige Missstände zu behalten, sei nicht zu unterschätzen, betont der Bonner Anwalt. Um dabei Kosten und Bürokratie zu sparen, sei es sinnvoll ein Muster für ein internes Meldeverfahren zu erarbeiten. Zudem sei zu prüfen, inwieweit eine gemeinsame Meldestelle mehrerer Praxisinhaber aufzubauen möglich ist. CDU/CSU: Hinweisgeberschutzgesetz „geht weit über das hinaus, was wirtschaftlich sinnvoll ist“ Die Union hat das Hinweisgeberschutzgesetz im Bundesrat durchfallen lassen. Vor allem um die Option, Missstände anonym zu melden, muss nun erneut gerungen werden. Daniel Ellsberg, Edward Snowden, Chelsea Manning oder Katharine Gun: Prominente Whistleblower, deren Veröffentlichungen durch die bundesdeutsche Umsetzung der EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutz jedoch keineswegs gedeckt wären. Informationen weiterzugeben aus Geheimberichten, Abhörprotokollen oder Botschaftsdepeschen, über Mandatsträger, die die Öffentlichkeit täuschen, unethisches Verhalten oder Menschenrechtsverstöße in Gefangenenlagern – alles Sachverhalte, die im „Anwendungsbereich“ (§ 2) des Hinweisgeberschutzgesetzes nicht zu finden sind, das sich weitestgehend auf Mitteilungen über Straftaten und gewichtigere Ordnungswidrigkeiten erstreckt. Gleichwohl geht das Gesetz vielen noch zu weit. Im Bundesrat lehnten die Länder mit Regierungsbeteiligung von CDU und CSU das Paket ab oder enthielten sich. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) erklärte, das Gesetz gehe „weit über das hinaus, was europarechtlich verlangt und wirtschaftlich sinnvoll ist“. Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) konkretisierte die Einwände der Union in vier Punkten: Indem auch Hinweise zu Ordnungswidrigkeiten geschützt seien, werde der Geltungsumfang des Gesetzes unnötig aufgebläht. Die Möglichkeit, Missstände anonym anzuzeigen sowie anonym mit Meldestellen zu kommunizieren, bedeute unverhältnismäßig hohen IT-Aufwand und erhöhe das Risiko des Meldungsmissbrauchs. Die Beweislastumkehr bei Rechtsstreitigkeiten um Repressalien stelle einen „verkappten Kündigungsschutz“ dar. In diesem Punkt ist freilich kein Verhandlungsspielraum, denn sie wird ausdrücklich in Artikel 21 der EU-Richtlinie gefordert. Die für bestimmte Verstöße gegen das Hinweisgeberschutzgesetz vorgesehenen Geldbußen seien viel zu hoch „und sollten“, so Poseck, gestrichen werden“. Die NGO Transparency Deutschland, die sich für einen möglichst weiten Hinweisgeberschutz stark macht, bezeichnet diese Argumentation als „fachlich fragwürdig“. Insbesondere die von der Union kritisierte Verpflichtung, auch anonymen Meldungen nachzugehen, sei „essenziell für Hinweisgeberschutz – und in vielen Unternehmen bewährte Praxis“. Quelle: Ärzte Zeitung

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