17.01.2024 | Schilddrüsenkarzinome | Schwerpunkt: Präzisionsmedizin
Präzisionsmedizin in der Endokrinologie am Beispiel des medullären Schilddrüsenkarzinoms
verfasst von:
Dr. med. Tim Brandenburg, Dr. med. Yara Maria Machlah, Prof. Dr. Dr. med. Dagmar Führer
Erschienen in:
Die Innere Medizin
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Ausgabe 3/2024
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Zusammenfassung
Das medulläre Schilddrüsenkarzinom („medullary thyroid cancer“ [MTC]) ist ein Paradebeispiel für Präzisionsmedizin in der Endokrinologie und verdeutlicht den unmittelbaren Nutzen von Grundlagen-, translationaler und Versorgungsforschung für Patienten mit einer seltenen Erkrankung im klinischen Alltag. Eine Mutation im Rearranged-during-transfection(RET)-Protoonkogen, das für eine transmembranäre Rezeptortyrosinkinase codiert, führt zur konstitutiven Aktivierung der Kinase; dies ist der entscheidende Pathomechanismus der Erkrankung. Das MTC tritt in einer sporadischen (somatische RET-Mutation) oder hereditären Form (RET-Keimbahnmutation, multiple endokrine Neoplasie Typ 2 und 3) auf. Vom RET-Genotyp wird bei Keimbahnmutationsträgern die Beratung zum Zeitpunkt der präventiven Thyreoidektomie abhängig gemacht. Zur Behandlung von RET-Mutations-positiven MTC stehen selektive RET-Kinase-Inhibitoren zur Verfügung, die aktuell als „game changer“ in der Behandlung des fortgeschrittenen MTC angesehen werden. Anhand des spezifischen Tumormarkers Kalzitonin können MTC bei der Abklärung von Schilddrüsenknoten frühzeitig identifiziert werden. Die Höhe des präoperativen Kalzitoninwerts erlaubt dabei bereits Aussagen zum Ausbreitungsgrad der Erkrankung und zur Wahrscheinlichkeit, diese chirurgisch zu heilen. Eine neuere Entwicklung ist die Berücksichtigung der Desmoplasie als histopathologischer Biomarker für das Metastasierungspotenzial eines MTC, was möglicherweise die operative Vorgehensweise ebenso wie die zukünftige MTC-Nomenklatur modifizieren wird. Ferner sind die postoperativen Kalzitoninspiegel und die Kalzitoninverdopplungszeit hochvalide prognostische Marker für Tumorlast und biologische Aggressivität des MTC und damit entscheidend für den Nachsorgealgorithmus. Biochemische, molekulargenetische und histologische Marker ermöglichen eine risikoadaptierte chirurgische Therapie und haben zusammen mit neuen zielgerichteten Systemtherapien in den vergangenen Jahren zu einem Paradigmenwechsel in der MTC-Diagnostik, -Prognose und -Therapie beigetragen. Endokrine Präzisionsmedizin hat beim MTC somit einen Wandel von der früher lediglich symptomorientierten hin zu einer modernen, präventiven und individualisierten Therapie ermöglicht.