Was ist neu in der Leitlinie "neuropathischer Schmerz"?

Die konsensbasierte Leitlinie „Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen“ wurde komplett überarbeitet und in ihrer neuen Fassung auf dem Deutschen Schmerzkongress 2019 ausführlich dargestellt [1]. Wir bieten hier einige Schlaglichter auf wichtige Neuerungen. Neu hinzugekommen bei der Differenzierung von Schmerzentitäten ist laut Prof. Dr. Elena Enax-Krumova, Neurologie, Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum, der noziplastische Schmerz nach der Definition der IASP von 2017: „Schmerz, der aus einer veränderten Nozizeption hervorgeht, ohne eindeutigen Nachweis einer bestehenden oder drohenden und periphere Nozizeptoren aktivierenden Gewebeschädigung und ohne Nachweis einer schmerzverursachenden Erkrankung oder Schädigung des somatosensorischen Systems.“ Noziplastische und nozizeptive Schmerzen können laut IASP auch in Kombination auftreten [2]. Als Beispiel für eine von noziplastischen Schmerzen geprägtes Syndrom nannte Enax-Krumova die Fibromyalgie, deren Ätiologie allerdings ebenfalls – wie das Konzept der noziplastischen Schmerzen – kontrovers ist [3]. Fragebögen reichen nicht Fragebögen, etwa der painDETECT-Score, sind der Leitlinie zufolge nur für ein grobes Screening geeignet oder um die Schwere der neuropathischen Schmerzkomponente zu bestimmen. Zur Diagnosesicherung ist aber in der klinischen Untersuchung eine Schädigung des somatosensorischen Systems nachzuweisen. Goldstandard zum Nachweis einer Small-Fiber-Neuropathie ist die Hautbiopsie. Als etablierte nicht-invasive Methode kommt die quantitative sensorische Testung (QST) in Frage, an spezialisierten Zentren und teilweise noch im Validierungsstadium auch die laser-, schmerz- oder kälteevozierten Potenziale, die korneale konfokale Mikroskopie (CCM) sowie Axonreflextests. Erste Wahl: Antikonvulsiva oder Antidepressiva Die Therapieempfehlungen in dieser Leitlinie gehen in weiten Teilen konform mit denen der NeuPSIG (Neuropathic Pain Special Interest Group) in der International Association for the Study of Pain (IASP) von 2015, die nach einer systematischen Literaturrecherche und Metaanalyse erstellt wurden [4]. Erste Wahl in der systemischen medikamentösen Therapie sind Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle, das heißt Gabapentin oder Pregabalin, sowie tri- und tetrazyklische Antidepressiva und der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer Duloxetin. Letzterer ist allerdings nur zur Behandlung der diabetischen Neuropathie zugelassen. Zur topischen Therapie und bevorzugt bei fokalen Nervenläsionen werden Lidocain-5%- und Capsaicin-8%-Pflaster als nebenwirkungsarme Arzneimittel empfohlen. Opioide an dritte Stelle gerückt Umstritten ist, dass die Leitlinie Opioide in die dritte Reihe der Pharmakotherapie neuropathischer Schmerzen rückt. PD Dr. Tanja Schlereth, Neurologie, DKD Helios Klinik Wiesbaden, federführende Autorin der Leitlinien, verteidigte diese Entscheidung: Laut klinischen Studien sei die Wirksamkeit von Opioiden zwar bei neuropathischen Schmerzen gegeben, die Effektstärken aber geringer als bei nozizeptiven Schmerzen. Dazu käme das im Vergleich zu anderen etablierten Medikamenten eher ungünstige Nebenwirkungsprofil der Opioide, einschließlich des besonders über eine längere Behandlungsdauer erheblichen Abhängigkeitsrisikos. Cannabinoide nur in begründeten Einzelfällen In der neuen Leitlinienfassung wird auf die weiterhin unsichere Datenlage hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabinoiden in der Schmerztherapie hingewiesen. Nur in Einzelfällen könne bei Versagen anderer Schmerztherapien der Einsatz von Cannabinoiden im Rahmen eines multimodalen Schmerztherapiekonzepts erwogen werden. Empfehlung der Redaktion Highlights aus Mannheim Dossier zum Schmerzkongress 2019 Was ist neue in der Leitlinie "neuropathischer Schmerz"? Worauf kommt es bei der Kommunikation mit Schmerzpatienten an? Und wie durchbrechen Sie den Teufelskreis beim Medikamentenübergebrauchskopfschmerz? Tipps für die Praxis – gebündelt im Kongressdossier. Basierend auf: Symposium "Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen", Deutscher Schmerzkongress, 11.10.2019, Mannheim

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