In fünf Schritten nachhaltig körperlich aktiv

Wie schafft man es, Menschen mit chronischen Schmerzen zu regelmäßiger körperlicher Aktivität zu motivieren? Der Therapieforscher Prof. Axel Schäfer, Hildesheim, skizzierte auf dem Schmerzkongress ein erfolgversprechendes Konzept. Körperliche Aktivität (KA) hat für Prof. Dr. Axel Schäfer, Therapieforscher und Physiotherapeut an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim, das Potenzial einer „Polypille“: In Studien habe man Zusammenhänge mit gesundem Altern, einer „komprimierten Morbidität“ und einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit nachgewiesen. Durch ausreichende Bewegung lasse sich außerdem das Risiko für eine Vielzahl nicht übertragbarer Erkrankungen nachweislich senken, „zum Beispiel Krebs, Depressionen, Gebrechlichkeit und Osteoporose“. Die positiven Gesundheitseffekte führt der Experte auf eine Verbesserung von Herzleistung, Muskeldurchblutung und aerober Kapazität zurück, aber auch darauf, dass die Neigung zu entzündlichen Reaktionen gesenkt und guter Schlaf sowie die Regeneration von Nerven gefördert würden [1]. Nachgewiesene Effekte bei chronischen Rückenschmerzen Speziell auch im Rahmen schmerztherapeutischer Konzepte gewinnt die KA laut Schäfer immer mehr an Bedeutung. Auf dem Schmerzkongress in Mannheim präsentierte er Daten aus einer aktuellen Metaanalyse über 19 randomisierte kontrollierte Studien, in der durch regelmäßiges Spazierengehen, Fahrradfahren oder Schwimmen zumindest kleine Effekte bei Betroffenen mit chronischen oder wiederkehrenden Rückenschmerzen erzielt werden konnten [2]. Zu ähnlichen Ergebnissen war zuvor eine Cochrane-Analyse gekommen: Hier hatten KA und Übungstherapie „kleine positive Effekte auf Schmerz, Funktion und Lebensqualität“. Umgekehrt, so Schäfer, hätten die Ergebnisse aus vier großen skandinavischen Longitudinalstudien gezeigt, „dass Menschen, die weniger aktiv sind, ein höheres Risiko haben, chronische Schmerzen zu bekommen“. In der Integration dieser Erkenntnisse in die Schmerzversorgung sieht Schäfer allerdings eine Herausforderung. So existiere unter anderem bei den Betroffenen selbst eine Vielzahl an Barrieren, beispielsweise „maladaptive Überzeugungen und Einstellungen in Bezug auf den Schmerz“. Nachhaltig aktiv in fünf Schritten Schäfer setzt daher auf ein Projekt, das in Schweden bereits „sehr erfolgreich bevölkerungsweit umgesetzt“ worden sei: Hinter dem Begriff „PAP: Physical Activity on Prescription“ stecke eine personenzentrierte Bewegungsberatung, die unter anderem darauf abziele, den Patienten Bewegungsfreude zu vermitteln und Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Die PAP-Intervention besteht aus fünf Schritten: Assessment. Dabei soll erhoben werden, auf welchem Aktivitätsstand sich der Patient/die Patientin befindet. Zielsetzung. Unter der Voraussetzung, dass eine Bereitschaft zur Veränderung vorhanden ist, werden gemeinsam mit der Therapeutin erreichbare Ziele festgelegt. Entwicklung eines individuell angepassten Aktivitätsprogramms unter Berücksichtigung der o. g. Ziele, der körperlichen Verfassung, aber auch bestimmter Vorlieben. Sowohl die Art als auch die Dosierung der Aktivität wird dabei auf den Patienten abgestimmt. Monitoring. Die Patienten werden über einen längeren Zeitraum begleitet, z. B. durch Telefonanrufe oder SMS-Nachrichten auf dem Handy. Evaluation. Je nachdem, ob die genannten Ziele erreicht wurden oder nicht, wird das Bewegungsprogramm angepasst. Ob zumindest Bestandteile des PAP-Programms auch in Deutschland bereits umgesetzt werden bzw. womit es bei der Umsetzung hierzulande hapert, haben Schäfer und sein Team mittels Online-Umfrage unter physiotherapeutisch tätigen Kolleginnen und Kollegen untersucht. Geantwortet haben 293 Personen, davon 73% Frauen, die im Mittel über eine Berufserfahrung von 13 Jahren verfügten. Umfrage: Physiotherapeuten sehen Motivation nicht als Aufgabe Von fast allen Beteiligten wurde die Bedeutung der Bewegungsförderung in der Physiotherapie als hoch oder sehr hoch eingeschätzt. Die Befragten sahen sich mit großer Mehrheit für dieses Aufgabengebiet zuständig, allerdings wurden auch hier Barrieren genannt. So fehlten unter anderem Zeit, aber auch entsprechende Abrechnungsmöglichkeiten. Auffallend gering war die Zustimmung in einem Punkt: dass es Aufgabe des physiotherapeutischen Berufsstands sei, Patienten zur regelmäßigen Bewegung zu motivieren. In einer anderen Studie, die den Einsatz von Verhaltensänderungstechniken in physiotherapeutischen Praxen untersuchte, hätten die Befragten die Sichtweise geäußert, viele Patienten hätten „gar kein Interesse, sich mehr zu bewegen“; dies, obwohl den Betroffenen zugestanden wurde, dass Faktoren wie Alter und/oder Komorbiditäten die Bewegung erschwerten. Schäfer zog daraus den Schluss, dass von den Physiotherapeuten „die Motivation teilweise nicht unbedingt als Auftrag gesehen, sondern dass die Verantwortung an die Patienten abgegeben wird“. Was sich Schmerzpatienten wünschen Konkrete Impulse für die Implementierung von Bewegung lassen sich nach Schäfer aus einer aktuellen Befragung von Menschen mit chronischen Schmerzen ableiten. Einige der wichtigsten Aussagen: „Ich muss mich selber motivieren, mir selber Ziele setzen, Dinge umsetzen, die für mich machbar sind.“ „Ich muss mir auch den Raum schaffen, in meinem Alltag.“ „Ich muss langsam anfangen.“ „Wichtig ist, dass ich Freude an der Bewegung habe.“ „Bleib in Kontakt!“ Im Vordergrund stand vor allem auch der Wunsch der Patienten, man möge ihnen zuhören und ihre Schmerzerfahrung ernst nehmen, aber auch das Ausgangsniveau stärker einbeziehen. „Das klingt trivial, wurde aber offenbar nicht immer berücksichtigt“, so Schäfer. Sein Rat: Bewegungstherapie sollte individualisiert stattfinden, man solle „klein“ anfangen und mehrere Optionen an Aktivitäten anbieten. Wichtig sei auch die verlässliche Unterstützung und Begleitung im weiteren Verlauf: „Bleib in Kontakt! Das ist die Hauptsache." » Weitere Meldungen im Kongressdossier Basierend auf: Symposium SY14 - Patientenzentrierte Bewegungsförderung - Chancen und Herausforderungen der Implementierung in die Schmerzversorgung, 21.10.2022, Deutscher Schmerzkongress, Mannheim (und online)

Springer Medizin

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