Mit der Hitze steigt auch die Suizidalität

Die Erderwärmung richtet viele Schäden an. Ein Forscherteam aus Frankreich hat nun alle Todesfälle von 1968 bis 2016 untersucht und fand heraus, dass mit zunehmender Temperatur auch gehäufter Suizide verzeichnet werden. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Suizid ist ein komplexes Phänomen, bei dem wirtschaftliche, soziologische, psychologische, biologische und individuelle Faktoren eine Rolle spielen. Auch Umweltfaktoren können die Selbstmordrate beeinflussen. Deshalb hat ein Team von französischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Suizidraten auf kurzfristige Zusammenhänge mit der Temperatur hin untersucht und auch geprüft, ob sich Temperatur und Sterblichkeit über die Jahrzehnte hinweg verändert haben. Dabei prüften Fanny Lehmann vom Institute for Advanced Biosciences (IAB), Grenoble, Frankreich, nicht nur Suizide, sondern auch andere häufige Todesursachen. Im Zeitraum zwischen 1968 und 2016 wurden 502.017 Suizide erfasst, was 2% aller Todesfälle ausmachte, 72,4% wurden von Männern begannen. Die durchschnittliche monatliche Zahl der Todesfälle durch Selbstmord nahm von Januar bis Mai und Juni tendenziell zu, die Selbstmordraten gingen dann im Sommer zurück und stiegen im September wieder an. An Feiertagen war die Suizidsterblichkeit niedriger (-10,8%) und variierte mit dem Wochentag, wobei die Rate an Montagen höher (+14,0% im Vergleich zum Wochendurchschnitt) und an Samstagen (-9,4%) und Sonntagen (-8,2%) niedriger war. Die Temperatur war gleichförmig mit der Suizidrate verbunden. Die Suizide wurden noch am selben Tag begangen, es wurde keine Verzögerung beobachtet. Das Risiko der Suizidsterblichkeit war im 99. (23,8 °C) im Vergleich zum ersten Temperaturperzentil (–1,7 °C) für ganz Frankreich um 54% erhöht, in der Region Burgund sogar um 93%. Der Zusammenhang zwischen Temperatur und Sterblichkeit war mit einem Anstieg der Suizidrate um 6,1% pro Erhöhung der Temperatur um +1 °C verbunden. Für Frauen war das Risiko allgemein etwas weniger ausgeprägt als für Männer. An erster Stelle der temperaturabhängigen Todesfälle rangierten endokrine, ernährungsbedingte- und metabolische Erkrankungen ohne Diabetes mellitus. Auf Platz 2 waren Erkrankungen des Urogenitaltraktes (außer Nieren und Harnleiter), auf Platz 3 psychische und Verhaltensstörungen, auf Platz 4 Erkrankungen des Nervensystems, auf Platz 5 Diabetes mellitus, auf Platz 6 Pneumonie und auf Platz 7 schließlich vorsätzliche Selbstbeschädigung zu finden. Die gute Nachricht ist, dass die Forschenden um Lehmann eine gewisse Anpassung an höhere Temperaturen bei allen temperaturabhängigen Erkrankungen mit tödlichem Ausgang beobachtet haben: zwischen 1968–1984 und 1985–2000 schwand der Zusammenhangs zwischen Temperatur und Sterblichkeit bei hohen Temperaturen. Sind niedrige Serotoninspiegel schuld? Was aber könnte der Grund für die steigende Rate an Suiziden sein? Die Autorinnen und Autoren um Lehmann führen an, dass sich die Aktivitäten der Menschen an wärmeren und kälteren Tagen häufig unterschieden. Wenn die Temperaturen viel höher als gewöhnlich seien, könne das zu einem Rückgang sozialer Kontakte führen, was wiederum eine depressive Episode auslösen könne. In vorherigen Studien konnte belegt werden, dass der Serotoninspiegel bei Personen, die Selbstmord begangen haben, tendenziell niedriger war als bei Personen, die aus anderen Gründen gestorben sind. Darüber hinaus sinkt der Serotoninspiegel häufig mit steigender Umgebungstemperatur. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel werfe eine solche Verknüpfung die Frage nach den möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Selbstmordrate auf, schreiben Lehmann und Kollegen. Eine Temperaturabhängigkeit der Suizidraten werde von derzeitigen Präventionskampagnen jedenfalls nicht berücksichtigt. Das Wichtigste in Kürze Frage: Hat der Anstieg der Außentemperatur einen Einfluss auf die Rate an Suiziden? Antwort: In einer Studie aus Frankreich wurde eine erhöhte Suizidrate bei ansteigenden Temperaturen beobachtet. In der 99. Temperaturperzentile war das Suizidrisiko um 54% erhöht im Vergleich zur 1. Perzentile. Bedeutung: Hohe Temperaturen als Risikofaktor für einen Suizid sollten Beachtung finden. Einschränkung: Die Datenerfassung könnte vor allem in den 1960er- und -70er Jahren etwas ungenau gewesen sein.

Springer Medizin

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