Postoperatives Delir - präoperative Risiken besser erkennen!

Vielen geriatrischen Patienten könnte ein postoperatives Delir erspart bleiben. Dazu müssten die entscheidenden Risikofaktoren präoperativ evaluiert und korrigiert werden, so das Fazit der Berliner Anästhesistin Claudia Spies. »Es gab ganz praktische Gründe, warum wir angefangen haben, uns so intensiv um die Delirproblematik zu kümmern. Wir mussten feststellen, dass bis zu 30 % der Betroffenen nicht mehr nach Hause entlassen werden konnten«, berichtet die Berliner Expertin. Erfahrungen, die dazu geführt haben, dass an der Charité ein entsprechender Forschungsschwerpunkt etabliert wurde. Risiko Gebrechlichkeit Auch wenn die Pathophysiologie noch nicht wirklich verstanden ist, die klinischen Risiken dieser postoperativen Komplikation sind weitgehend geklärt. Es ist nicht das Alter per se, sondern Kofaktoren modifizieren das Altersrisiko maßgeblich [1]. Diese Basisrisiken sind mittlerweile identifiziert: Gebrechlichkeit (Frailty), Mangelernährung, kognitive Einschränkungen und die Folgen eines Alkoholabusus. Zusatzrisiken wie Polymorbidität, sensorische Defizite, Störungen im Natriumhaushalt und Dehydratation potenzieren das Risiko zusätzlich. Iatrogene Faktoren Ein wesentlicher klinischer Delirtrigger ist die präoperative Flüssigkeitskarenz. Stundenlanges Warten auf die OP steigert das Delirrisiko um den Faktor 10 (Odds Ratio). »Wir wollten dieses Studienergebnis zuerst gar nicht glauben. Aber der Befund wurde von anderen Arbeitsgruppen bestätigt«, so Spies. Anticholinergika beachten Anticholinerg wirkende Pharmaka können gerade beim alten Menschen den zerebralen Stoffwechsel ungünstig beeinflussen. »Das wird oft übersehen. Wer weiß zum Beispiel schon, dass Ranitidin eine erhebliche anticholinerge Aktivität aufweist«, gibt die Expertin zu bedenken. Die präoperative Optimierung der Medikation hält Spies deshalb für unumgänglich [2]. Schnelltest: Delirrisiko Zur klinischen Risikoerfassung stehen mittlerweile zuverlässige Screeningtests bereit. Beim up-and-go-Test lässt man den sitzenden Patienten aufstehen, ein paar Schritte gehen und sich dann wieder setzen. Gebrechliche brauchen für dieses Manöver über 30 Sekunden. »Bei der Kombination ASA III und 30 Sekunden up-and-go-Zeit muss man mit einem 25-fach erhöhten Delirrisiko rechnen«, gibt Frau Professor Spies zu bedenken. Der Uhrentest erfasst die kognitiven Defizite: Der Patient zeichnet eine beliebige Uhrzeit in einen leeren Kreis ein. »Sie werden staunen, was dabei in der Praxis herauskommt«, berichtet die Berliner Chefärztin. Beide Tests sind an ihrer Klinik obligate Bestandteile der Prämedikationsvisite. Ohrstöpsel und Nachtmaske In der täglichen Praxis müssen ältere, risikoexponierte Patienten, vor einer »kognitiven Überladung« geschützt werden. Das gelingt manchmal mit relativ einfachen Maßnahmen: Auf ihren Intensivstationen stehen für ältere Patienten immer Ohrstöpsel und Nachtmaske bereit. »Das sind einfache aber wirkungsvolle Mittel, um für die älteren Patienten den Stress auf der Intensivstation zu vermindern«. Frau Professor Spies rät deshalb dringend zur Nachahmung. Literatur [1] VERLOO, Henk, et al. Association between frailty and delirium in older adult patients discharged from hospital. Clinical interventions in aging, 2016, 11. Jg., S. 55. [2] Carnahan, Ryan M et al. „The anticholinergic drug scale as a measure of drug‐related anticholinergic burden: associations with serum anticholinergic activity.“ The Journal of Clinical Pharmacology 46.12 (2006): 1481-1486.

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