Gymnastik stabilisiert Kognition im Alter

Sowohl ein moderates körperliches Training als auch Dehn- und Balanceübungen können bei älteren Menschen den kognitiven Abbau über ein Jahr hinweg komplett stoppen – auch nach längerer Inaktivität und ersten Gedächtnisproblemen. Dafür sprechen Resultate einer Phase-3-Studie. Lohnt es sich im Alter noch, den Fernseher auszumachen, die Couch zu verlassen und den Körper in Bewegung zu setzen, um den geistigen Verfall etwas zu bremsen? Über diese Frage wird seit Jahren diskutiert. Epidemiologische Studien deuten auf ein geringeres Demenzrisiko bei Menschen, die zeitlebens körperlich aktiv sind. Das heißt aber noch lange nicht, dass jemand mit 75 oder 80 Jahren kognitive Vorteil hat, wenn er dann zum ersten Mal in seinem Leben ansatzweise so etwas wie Sport treibt. Möglicherweise ist es dann längst zu spät und der Mühe nicht wert. Darauf deutet etwa die vor vier Jahren veröffentliche DAPA-Studie mit immerhin 500 Demenzkranken (BMJ 2018; 361:k1675): Zwei Drittel von ihnen nahmen über vier Monate hinweg an einem moderaten bis intensiven Ausdauer- und Krafttraining teil, die übrigen erhielten die Standardversorgung ohne Sportprogramm. Zur Überraschung der Studienautoren schritt die Demenz in der Trainingsgruppe signifikant schneller voran als unter der Standardversorgung, und dies, obwohl sich Kraft und Ausdauer mit dem Training messbar verbessert hatten. Die ersten Ergebnisse der Studie EXERT (Exercise in Adults with Mild Memory Problems), soeben auf dem Internationalen Alzheimerkongress AAIC in San Diego in den USA vorgestellt, weisen jedoch in eine andere Richtung: Hier ließ sich die Kognition sowohl mit moderater als auch leichter körperlicher Aktivität über ein komplettes Jahr hinweg stabilisieren. Allerdings nahmen an EXERT keine Demenzkranken teil, sondern ältere Menschen mit ersten Gedächtnisproblemen (amnestische MCI), und zwar solche, die bislang nicht körperlich aktiv waren. Wie Professorin Laura Baker vom Wake Forest Alzheimer’s Disease Research Center in Winston-Salem erläuterte, wurden 296 ältere Personen mit amnestischer MCI nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen verteilt: In der einen sollten sie sich viermal die Woche zu einem moderat intensiven Ausdauertraining einfinden (30–40 Minuten bei einer Herzfrequenzreserve von 75–80%), trainiert wurde etwa auf einem Laufband. Die übrigen durften sich unter professioneller Anleitung dehnen, strecken und in Balance üben (bei einer Herzfrequenzreserve von ca. 35 %), und das ebenfalls viermal die Woche für 30–40 Minuten. Die Teilnehmenden waren im Mittel 75 Jahre alt, hatten 16 Jahre Schul- und Ausbildung absolviert, 58% waren Frauen. Das Programm lief über ein Jahr hinweg, in dieser Zeit schafften die älteren Menschen im Schnitt immerhin die Hälfte der vorgesehenen Trainingseinheiten. Über zwölf Monate hinweg kein kognitiver Abbau Zur Evaluation verwendete das Team um Baker eine speziell für die Studie entwickelte Variante der ADAS-cog-Skala (ADAS-cog-Exec). Deren Wert hatte sich nach einem Jahr in der Gruppe mit Dehn- und Balanceübungen kein bisschen verändert und in der Gruppe mit moderatem Training minimal verschlechtert. Sowohl die Unterschiede zwischen den Gruppen als auch die zwischen Beginn und Ende der Studie waren statistisch nicht signifikant, erläuterte Baker. In beiden Gruppen blieb die Kognition also erhalten, so das Fazit der Neurologin und Internistin. Da die Studie keine Kontrollgruppe ohne körperliches Training aufwies, verglichen die Forscherinnen und Forscher um Baker den kognitiven Verlauf mit dem von Teilnehmenden der Beobachtungsstudie ADNI (Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative). Dabei wählten sie ebenfalls Personen mit amnestischer MCI, vergleichbarer kognitiver Leistung, ähnlichem Bildungsniveau und weitgehend identischen demografischen Angaben. In der ADNI-Kohorte ohne Trainingsintervention kam es zum erwarteten kognitiven Abbau im Laufe von zwölf Monaten, und die Differenz beim ADAS-cog war sowohl im Vergleich zur Gruppe mit moderatem Training (p = 0,012) als auch zur Gruppe mit Dehn- und Balanceübung (p = 0,0005) aus EXERT statistisch signifikant. Empfehlung der Redaktion Demenz – Themenseite Wie therapiert man Alzheimerpatienten leitliniengerecht? Warum sind "keiner" und "nein" bei Dementen tabu? Und was tut sich in der Alzheimertherapie-Forschung? Antworten gibt die Themenseite Demenz. Hier finden Sie Übersichten, News, kommentierte Studienreferate und Kasuistiken. Was lässt sich nun aus den Daten schließen? Zunächst einmal nur, dass ein regelmäßiges körperliches Training, egal ob leicht oder moderat, die Kognition bei amnestischer MCI stabilisiert. Ob dies tatsächlich an der körperlichen Aktivität liegt, bleibt jedoch weiterhin offen, da EXERT keine aktive Kontrollgruppe aufwies. Möglicherweise hat sich die soziale Komponente stärker auf die Kognition ausgewirkt und jede Form regelmäßiger Aktivität, auch viermal die Woche singen oder malen, stabilisiert die Kognition. Dafür spricht, dass kein Dosiseffekt erkennbar war – leichte körperliche Aktivität wirkt offenbar genauso gut, wenn nicht besser als moderates Training. Zu bedenken ist auch, dass nicht alle Personen mit MCI eine Demenz entwickeln, manche sind durch eine Depression kognitiv eingeschränkt. Hier könnte ebenfalls jegliche Form von regelmäßiger Aktivität ein Segen sein. Baker erwähnte, dass für die hohe Adhärenz ein Training unter Anleitung und damit wohl auch eine soziale Komponente entscheidend war. Eine weitere wichtige Erkenntnis für die Expertin: Ältere körperlich inaktive Menschen lassen sich durchaus über ein Jahr hinweg für ein Training motivieren – und das auch in der Pandemie. Quelle: Alzheimer's Association International Conference (AAIC), July 31 – August 4, 2022, San Diego. Press Briefing: Laura Baker. Can exercise slow cognitive decline in MCI.

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