Vergleich der Ergebnisse mit der Literatur
Insgesamt wird etwa die Hälfte der Pflegeheimbewohner im letzten Lebensmonat stationär im Krankenhaus behandelt, und etwa ein Drittel verstirbt dort. Etwa drei Viertel waren im letzten halben bzw. letzten Jahr vor Tod im Krankenhaus. Somit liegt die vulnerable Phase v. a. im letzten Lebensmonat. Männer wurden in allen Perioden häufiger stationär behandelt als Frauen, und es zeigten sich ein Einfluss der Pflegestufe sowie regionale Unterschiede. Demenz hat jedoch keinen nennenswerten Einfluss auf Hospitalisierungen im letzten Lebensjahr von Pflegeheimbewohnern.
International existieren erhebliche Unterschiede in Bezug auf Hospitalisierungen von Pflegeheimbewohnern am Lebensende. In einem kürzlich von uns durchgeführten systematischen Review lag der Median beim Anteil im Krankenhaus verstorbener Bewohner (
n = 29 Studien) bei 22,6 % und für Krankenhausaufenthalte im letzten Lebensmonat bei 33,2 % (
n = 12) [
3]. Es ist somit klar ersichtlich, dass Deutschland mit entsprechenden Anteilen von 29,5 % bzw. 51,5 % deutlich höher liegt. Mit 28,9 % im Krankenhaus verstorbener Bewohner wurden nahezu identische Werte bereits in einer vor über 15 Jahren in Süddeutschland durchgeführten Studie gefunden [
35]. Dies deutet darauf hin, dass es hierbei seitdem kaum Veränderungen gab.
Einen großen Einfluss auf Hospitalisierungen in den letzten Wochen vor Tod hatte die Pflegestufe. Dies deckt sich mit anderen internationalen Studien, die zeigten, dass Bewohner mit höherem Pflegebedarf seltener im Krankenhaus versterben [
29,
30]. Dieser Effekt wird geringer, wenn man längere Phasen vor Tod betrachtet. Dies könnte möglicherweise dadurch bedingt sein, dass ausschließlich die Pflegestufe zum Zeitpunkt des Todes berücksichtigt wurde. Andererseits legen frühere Analysen nahe, dass die Pflegestufe auf Hospitalisierungen im Jahr vor als auch nach Heimeintritt kaum einen Einfluss hat [
16]. Somit scheint es wesentlich plausibler, dass die Pflegestufe insbesondere einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Hospitalisierungen unmittelbar am Lebensende hat. Die Tatsache, dass kurz vor Tod Infektionen als Diagnosen stationärer Aufenthalte eine wichtigere Rolle spielen und Verletzungen anteilig weniger relevant sind, wurde bereits mit älteren Daten von Ramroth et al. festgestellt [
33].
Über alle betrachteten Perioden vor Tod wurden männliche Bewohner häufiger im Krankenhaus behandelt als weibliche. Dies deckt sich mit Befunden aus 2 systematischen Reviews unserer Arbeitsgruppe, einerseits zu Hospitalisierungen am Lebensende [
3] sowie zu Hospitalisierungen insgesamt nach Heimeintritt [
15]. Dass solche Unterschiede in nahezu allen internationalen Studien gefunden wurden, erhärtet die Evidenz. Bisherige Untersuchungen von Todesbescheinigungen in der Gesamtbevölkerung sowie begrenzt auf Patienten mit Demenz fanden ebenfalls einen deutlich höheren Anteil an Männern, deren Sterbeort das Krankenhaus ist, während Frauen häufiger im Pflegeheim sterben [
7,
8]. In den entsprechenden Studien wird dies allerdings oftmals damit erklärt, dass Männer aufgrund der geringeren Lebenserwartung eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür haben, vom Partner überlebt zu werden. Dadurch würden Männer am Lebensende häufiger von Angehörigen im häuslichen Umfeld betreut, während Frauen dann allein leben und deshalb im Heim versorgt werden. Auch wenn dieser Erklärungsansatz naheliegt, erschließt sich damit nicht, wieso männliche Pflegeheimbewohner häufiger im Krankenhaus sterben. Stattdessen scheint es sich hierbei um einen echten Geschlechtereffekt zu handeln. Obwohl Fragen zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in den letzten Jahren zunehmend an Relevanz gewinnen, gibt es für das Phänomen, dass männliche Pflegeheimbewohner insgesamt und auch in der letzten Lebensphase häufiger im Krankenhaus behandelt werden, bisher keine Erklärung.
Neben dem klaren und über alle Perioden konstanten Geschlechterunterschied, sehen die Ergebnisse in Bezug auf den Einfluss des Alters weniger deutlich aus. Häufig werden in der Literatur auch verschiedene Altersgruppen verwendet, was eine Interpretation erschwert [
15]. Möglicherweise unterscheidet sich der Einfluss von Alter auch zwischen Bewohnern mit und ohne Demenz [
17] sowie zwischen unterschiedlichen Perioden des Heimaufenthalts [
16].
Wir fanden in allen Perioden keine nennenswerten Unterschiede in der Hospitalisierungshäufigkeit zwischen Bewohnern mit und ohne Demenz. Dies ist ein unerwarteter Befund, denn laut dem kürzlich von uns durchgeführten systematischen Review finden sämtliche nicht aus Deutschland kommenden Studien, welche Hospitalisierungen in den letzten 4 Lebenswochen von Pflegeheimbewohnern mit und ohne Demenz vergleichen, niedrigere Hospitalisierungsraten bei Vorliegen einer Demenz [
6,
24,
25,
43,
45]. Teils zeigten diese Studien sogar erhebliche Unterschiede zwischen den Gruppen, wie beispielsweise Krishnan et al. (0 % mit bzw. 11,7 % ohne Demenz) [
24] oder Sloane et al. (6,9 % bzw. 13,8 %) beim Versterben im Krankenhaus [
43]. Im Vergleich dazu lagen die Anteile in unserer Studie bei 29,2 % (Demenz) bzw. 29,8 % (Nicht-Demenz). Gerade Bewohner mit Demenz profitieren am Ende des Lebens nicht von einer deutlich aggressiveren Therapie im Krankenhaus, da diese den Verlauf der Erkrankung nicht positiv beeinflusst [
11,
21]. Diese Erkenntnis hat sich offenbar noch nicht in der deutschen Versorgungslandschaft durchgesetzt. Gozalo et al. haben jegliche Hospitalisierungen bei Bewohnern mit Demenz in den letzten 3 Lebenstagen als belastend („burdensome“) definiert [
11]. In unserer Studie war die Aufenthaltsdauer bei 32,6 % der Bewohner, die im Krankenhaus verstarben, maximal 3 Tage (33,3 % mit bzw. 32,2 % ohne Demenz). Dies unterstreicht noch einmal den deutlichen Handlungsbedarf in Deutschland.
Eine mögliche und wichtige Maßnahme zur Reduktion von Krankenhausaufenthalten am Lebensende ist die Stärkung der Palliativversorgung in deutschen Pflegeheimen. Laut einer niederländischen Studie lag der Anteil der Krankenhauseinweisungen im letzten Lebensmonat von Pflegeheimbewohnern mit Demenz bei lediglich 8 %, während für die Mehrheit der Pflegeheimbewohner kurz vor dem Tod ein palliatives Versorgungsziel im Vordergrund stand und belastende kurative Maßnahmen vermieden wurden [
14]. Darüber hinaus stellt Advance Care Planning, die vorausschauende Versorgungsplanung mit dem Ziel, die Wünsche einer Person hinsichtlich zukünftiger medizinischen Behandlungsentscheidungen und Versorgung im Falle der Nichteinwilligungsfähigkeit zu besprechen und zu dokumentieren [
38], eine wichtige Grundlage dar, um vermeidbare und unerwünschte Krankenhausaufenthalte zu reduzieren [
4]. So zeigt auch eine Studie aus Belgien, dass Pflegeheimbewohner mit Demenz ohne Patientenverfügung im letzten Lebensmonat häufiger ins Krankenhaus kamen als jene mit einer Verfügung [
21]. Insbesondere bei Personen mit Demenz ist es wichtig, dass diese Gespräche zu einem möglichst frühen Zeitpunkt beginnen, so lange die Personen sich noch zu ihren Einstellungen und Wünschen äußern können.
Stärken und Schwächen
Wesentliche Stärke dieser Arbeit ist die große Stichprobe von mehr als 67.000 verstorbenen Pflegeheimbewohnern, die sich über das komplette Bundesgebiet verteilen. Wir haben für alle Analysen den gleichen Nenner gewählt und somit z. B. für die letzten 365 Tage vor Tod ebenfalls alle 67.328 Bewohner eingeschlossen, obwohl lediglich 23.855 diese komplette Zeit im Heim verbracht haben und über die komplette Periode unter Risiko für Krankenhausaufenthalte standen. Würde man jedoch ausschließlich diese Bewohner berücksichtigen, schließt man systematisch morbidere Bewohner mit einer schnelleren Zustandsverschlechterung aus und erzeugt somit eine künstliche Population. In den Regressionsanalysen haben wir jedoch zusätzlich für die Dauer des Heimaufenthalts adjustiert.
Demenzdiagnosen wurden ausschließlich im Quartal des Heimeintritts betrachtet, und die damit gefundene Demenzprävalenz von 43 % ist niedriger als in der Literatur [
18,
22,
42]. Ein systematischer Review fand im Median über alle berücksichtigten Studien eine Demenzprävalenz von 58 % bei Pflegeheimbewohnern [
42]. Demenz ist ein wesentlicher Grund für den Eintritt ins Pflegeheim [
26,
41], trotzdem könnten Diagnosen erst zu einem späteren Zeitpunkt abgerechnet werden. Berücksichtigt man jegliche Zeit nach dem Heimeintritt, erhöht sich die Prävalenz einer Demenz auf 56 %, allerdings bleibt der Anteil im Krankenhaus verstorbener Bewohner unverändert (29,4 und 29,8 % bei Bewohnern mit und ohne Demenz) [
17]. Ebenso zeigen sich keine Unterschiede für die letzten 28 Tage (51,1 und 52,0 % bei Bewohnern mit und ohne Demenz). Dies untermauert die Robustheit unserer Ergebnisse in Bezug auf mögliche Unterschiede zwischen Bewohnern mit und ohne Demenz.
Routinedaten haben zur Untersuchung dieser Forschungsfrage erhebliche Vorteile, da sich mit ihnen für die vulnerable Gruppe von Pflegeheimbewohnern auch retrospektiv nach dem Tod Hospitalisierungen in der letzten Lebensphase valide abbilden lassen. Allerdings fehlen in diesen Daten v. a. wichtige klinische Angaben, beispielsweise zu kognitiven Einschränkungen, oder inwieweit eine Patientenverfügung vorliegt und was deren Inhalt ist. Auch Faktoren auf Seiten der Heime, die einen relevanten Einfluss haben [
46], wie beispielsweise der Pflegeschlüssel oder Qualifikation des Personals, konnten nicht berücksichtigt werden.
Zudem wurden ausschließlich Daten einer einzelnen Krankenkasse verwendet, und es ist bekannt, dass die DAK-Gesundheit einen höheren Anteil an Personen mit chronischen Erkrankungen versichert [
20]. Nichtsdestotrotz konnte gezeigt werden, dass die Hospitalisierungsraten in der DAK-Gesundheit denen der deutschen Gesamtbevölkerung entsprechen [
27]. Trotzdem dürfen Ergebnisse von Studien einer einzelnen Kasse nicht unkritisch auf die Gesamtbevölkerung extrapoliert werden.