Too LATE for Alzheimer’s? Neue Demenzform diskutiert

Bis zur Hälfte der Demenzkranken über 80 Jahre hat verklumptes TDP-43 im Gehirn. Alzheimer könnte daher bei sehr alten Demenzkranken nicht nur auf einer Amyloid- und Taupathologie beruhen, was erklären würde, weshalb so viele Therapiestudien gescheitert sind. Mit Diagnosen und Krankheitsnamen ist es so eine Sache: Anfangs werden sie mangels Alternativen meist verlaufs- und symptomorientiert definiert; je mehr über die Pathomechanismen bekannt wird, umso unpräziser sind dann aber die alten klinischen Bezeichnungen – Demenzerkrankungen bilden da keine Ausnahme. So lässt sich über den Nachweis von Beta-Amyloid eine Alzheimererkrankung gut definieren und von anderen Demenzformen klar abgrenzen. Ob eine derartige Definition jedoch immer zweckmäßig und ausreichend ist, das ist eine andere Frage. So sind manche ältere Menschen schon bei relativ geringer Amyloidlast kognitiv stark beeinträchtigt, während andere mit einem Gehirn voll Beta-Amyloid noch mit einem klaren Verstand glänzen. Auch die Tatsache, dass der zerebrale Amyloidentzug in sämtlichen größeren klinischen Studien keinen Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten hatte, lässt Zweifel aufkommen, ob Amyloid bei Alzheimer wirklich alles ist. So deutete eine im vergangenen Jahr auf dem internationalen Alzheimerkongress in Chicago vorgestellte Analyse der Mayo Clinic Study of Aging darauf hin, dass vaskuläre Faktoren und Beta-Amyloid unabhängig voneinander das Demenzrisiko steigern, wobei typische Alzheimer-Risikofaktoren wie Hypertonie, Bewegungsmangel und schlechte Ernährung wohl eher auf die vaskulären Faktoren zu wirken scheinen (wir berichteten*). Eine Anti-Amyloid-Behandlung würde demnach nur einen Teil des Problems lösen. Empfehlung der Redaktion Demenz – Themenseite Wie therapiert man Alzheimerpatienten leitliniengerecht? Warum sind "keiner" und "nein" bei Dementen tabu? Und was tut sich in der Alzheimertherapie-Forschung? Antworten gibt die Themenseite Demenz. Hier finden Sie Übersichten, News, kommentierte Studienreferate und Kasuistiken. Neue Erkenntnisse könnten die Bedeutung von Beta-Amyloid noch weiter untergraben. Danach ist bei rund einem Fünftel bis der Hälfte der Patienten, denen bislang Morbus Alzheimer attestiert wird, auch eine TDP-43-Pathologie zugange. TDP-43* wurde vor allem als pathologischer Marker bei bestimmten Formen von ALS und frontotemporaler Demenz betrachtet. Doch offenbar kann das Protein auch eine amnestische Demenz auslösen, die klinisch stark an Alzheimer erinnert. Aufgrund der Lage der TDP-43-Klumpen im Gehirn haben Forscher um Peter Nelson von der Universität in Lexington, Kentucky, in einem Konsensus-Statement einer solchen Demenzform auch gleich einen neuen Namen gegeben: „Limbic-predominant age-related TDP-43 encephalopathy“, kurz LATE. Pathologie beginnt im limbischen System Sie beziehen sich damit auf Post-mortem-Untersuchungen, bei denen eine TDP-43-assoziierte Hippocampussklerose häufig bei sehr alten Demenzpatienten beobachtet wurde, während die Prävalenz einer alzheimertypischen Amyloid- und Taupathologie bei den ältesten Demenzkranken häufig unterwartet gering war. Sie vermuten daher einen neuen Krankheitsmechanismus, der viele von Alzheimer Verschonte doch noch in eine Demenz führt. „Die Erforschung dieser Erkrankung voranzutreiben und das Wissen darüber zu fördern, ist der Hauptgrund für die Einführung des neuen Begriffs LATE“, schreiben die Forscher. Die Bezeichnung soll einige Hilfsbegriffe wie „altersbedingte Hippocampussklerose“ ersetzen. LATE wird nach der neuen Definition als TDP-43-assoziierte Proteinopathie vorwiegend bei über 80-Jährigen beobachtet, was allerdings auch daran liegen könnte, dass man jüngere Demenzkranke bislang nur selten daraufhin untersucht hat. Pathologisch finden sich Einschlüsse von TDP-43 im neuronalen Zytoplasma oder eine abnorme Akkumulation von phosphoryliertem TDP-43 in Zellkernen und Ausläufern von Nervenzellen, Oligodendrozyten und Astrozyten. Die Aggregate bestehen hauptsächlich aus Bündeln von 10–20 nm dicken geraden Filamenten. Im Stadium I ist nur die Amygdala betroffen, im Stadium II auch der Hippocampus und im Stadium III zudem der Gyrus frontalis medius. Zusätzlich zum limbischen System können auch der Bulbus olfactorius, der Neokortex und die Basalganglien abnormes TDP-43 enthalten. Eine Hippocampussklerose genüge jedoch nicht zur Diagnose, da auch andere Erkrankungen wie Epilepsien oder schwere Hypoxien dieser Struktur zusetzen können, es müsse zudem TDP-43 nachgewiesen werden, betonen die Forscher. Dies gelingt bislang jedoch nur per Immunhistochemie post mortem. Eher gradueller kognitiver Abbau Retrospektive Analysen deuten bei Patienten mit reiner LATE-Pathologie auf einen eher graduellen kognitiven Abbau, wohingegen die geistigen Fähigkeiten mit reiner Amyloid- und Taupathologie schneller schwinden. Dies müsse jedoch in weiteren Studien bestätigt werden, ebenso Beobachtungen, wonach LATE zunächst die kortexabhängige Wortflüssigkeit wenig beeinträchtigt, wohl aber das hippocampusabhängige Kurzzeitgedächtnis. Unklar seien die neuropsychiatrischen Auswirkungen. Einige Untersuchungen deuteten auf eine erhöhte Aggressivität und Agitation bei einer komorbiden Amyloid/TDP-43-Pathologie im Vergleich zur reinen Amyloidpathologie. Nach Daten von Kohortenstudien lässt sich bei 20–50% der über 80-Jährigen Demenzkranken post mortem eine TDP-43-Pathologie nachweisen. Die Forscher um Nelson betonen jedoch, dass die meisten in dieser Altersgruppe noch andere Pathologien aufweisen. Aufgrund von Daten der Rush University Religious Orders Study kommen sie zu dem Schluss, dass eine Amyloidpathologie nur etwa 40% der amnestischen Demenzen vom Alzheimertyp erklärt, auf vaskuläre Faktoren seien etwa 25% zurückzuführen, auf LATE 17% und auf Alpha-Synucleinopathien 12%. Für die klinische Praxis ist das LATE-Konzept jedoch nur wenig relevant, da sich die TDP-43-Pathologie eben nur post mortem eindeutig nachweisen lässt. Um wirksame Antidementiva zu entwickeln, könnte die neue Definition jedoch interessant sein. Möglicherweise ist das, was wir heute als Alzheimerdemenz bezeichnen, eine Multi-Proteinopathie mit vaskulärer Beteiligung. Das würde erklären, weshalb eine einseitig auf Beta-Amyloid zielende Strategie bislang nicht erfolgreich war. In künftigen Studien müssten vielleicht unterschiedliche Proteinaggregate zugleich angegangen oder gezielt nur Personen mit einer isolierten Proteinopathie behandelt werden. Das ist derzeit etwa bei Betroffenen mit familiärer Alzheimerdemenz der Fall. Immerhin hier besteht weiterhin eine große Hoffnung, dass Anti-Amyloid-Arzneien auch tatsächlich wirken. *TDP-43: Transactive response (TAR)-DNA-bindende Protein 43

Springer Medizin

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