Sport ist gut fürs Gedächtnis? Vielleicht nicht bei jedem

Wer sich im Alter viel bewegt, hat weniger Amyloid im Gehirn, einen größeren Hippocampus und allgemein mehr graue Zellen als inaktive Altersgenossen. Aber offenbar scheint nicht jeder vom Sport zu profitieren. Lesen Sie mehr Weitere kostenlose Beiträge finden Sie in unserem Dossier "Alzheimer". Zeitlebens viel Sport und Bewegung – das kann im Alter Alzheimer vorbeugen, legen jedenfalls epidemiologische Daten nahe. Sportlich aktive entwickelten in Langzeitstudien oft nur halb so häufig eine Demenz wie träge Altersgenossen. Allerdings lassen auch die besten Kohortenstudien kaum Aussagen zur Kausalität zu. Gut möglich, dass es nicht der Sport ist, der das Alzheimerrisiko senkt, sondern ein anderer Faktor, der bei aktiven Menschen eher anzutreffen ist als bei nicht aktiven. Inzwischen gibt es jedoch sowohl aus Tierexperimenten als auch aus klinischen Untersuchungen Hinweise, dass viel körperliche Betätigung die Werte einiger Biomarker verbessert, die bei Alzheimer von Bedeutung sind. In einer Querschnittstudie mit 317 Teilnehmern haben Forscher um Ozioma Okonkwo von der Middleton Memorial Klinik in Madison geschaut, ob sich solche Biomarker tatsächlich bei aktiven und weniger aktiven älteren Menschen unterscheiden1. Die Teilnehmer waren im Schnitt 60 Jahre alt und hatten alle ein erhöhtes Demenzrisiko: Bei 74% gab es Alzheimer-Erkrankungen in der Familie, etwa 40% trugen das Risiko-Allel ApoE4. Bei allen wurde nun mittels MRT das Hippocampus-Volumen bestimmt, etwas mehr als die Hälfte erhielt ein Amyloid-PET, und bei knapp der Hälfte untersuchten die Ärzte den Glukosemetabolismus im Hirn per FDG-PET. Alle Teilnehmer unterzogen sich zudem einem ausführlichen Hirnleistungstest und beantworteten Fragen zur körperlichen Aktivität. Körperlich aktiv – wenig Amyloid im Hirn Erwartungsgemäß hatte das Alter den größten Einfluss auf die Biomarker: Mit steigendem Alter nahm die Beta-Amyloid-Last zu, der Hippocampus schrumpfte, der Glukosestoffwechsel ging zurück, Gedächtnis und andere Hirnfunktionen wurden schlechter. Allerdings waren diese altersabhängigen Veränderungen umso schwächer, je mehr sich die Teilnehmer bewegten. Wurden sie grob in aktiv und inaktiv eingeteilt, wobei die Grenze bei etwa fünfmal 30 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Woche lag, dann zeigten etwa 40% der inaktiven Teilnehmer über 60 Jahren ein positives Amyloid-PET, aber nur etwa 20% der aktiven. Als positiv galt das PET, wenn sich eine deutliche Ablagerung von Beta-Amyloid in den Regionen nachweisen ließ, in denen das Protein bei Alzheimer akkumuliert. Große Unterschiede gab es auch beim Gedächtnis, dieses war bei körperlich Aktiven deutlich besser als bei trägen Teilnehmern im gleichen Alter, aber auch bei den meisten anderen Tests, etwa beim räumlichen Vorstellungsvermögen oder bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit, schnitten die aktiven Teilnehmer besser ab als gleich alte Couch-Potatoes. Statistisch signifikante Unterschiede gab es auch beim Hippocampus-Volumen und beim FDG-PET. Insgesamt, so die Studienautoren um Okonkwo, scheint körperliche Aktivität einen günstigen Einfluss auf einige der wichtigsten Biomarker für die Hirnalterung zu haben, wenngleich eine Querschnittstudie keine Belege dafür liefern kann, dass viel Bewegung auch tatsächlich die Ursache für die beobachteten Unterschiede ist. Die Daten passen aber zumindest gut zu den epidemiologischen Ergebnissen. Polymorphismus ist für Hippocampusvolumen relevant Manche Forscher machen sich daher nicht mehr so sehr Gedanken, ob, sondern wie Sport vor Alzheimer schützt. Das beste Erklärungsmodell ist noch immer die hohe kardiovaskuläre Fitness von körperlich Aktiven. Kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie und Hypercholesterinämie sind auch Risikofaktoren für eine Demenz, und wenn Sport einen positiven Einfluss auf solche Faktoren hat, sollte sich mit viel Bewegung auch das Demenzrisiko senken lassen. Aber es gibt darüber hinaus wohl auch noch einen direkten Einfluss der Bewegung: Treiben ältere Menschen viel Sport, können sie dadurch das Hippocampusvolumen vergrößern und ihre kognitive Leistung verbessern. Ähnliches wurde auch bei jüngeren Schizophrenie-Patienten beobachtet. Sport könnte also den Hippocampus und damit auch das Gedächtnis bei einer beginnenden Demenz länger funktionsfähig halten. Als Hauptmediator für diesen Effekt gilt der Wachstumsfaktor BDNF (Brain-derived neurotrophic factor). Er fördert unter anderem das Überleben von Nervenzellen im Hippocampus und im Kortex. Im Alter sinkt die BDNF-Konzentration stetig, mit Sport lässt sie sich wieder etwas erhöhen. Allerdings steigt dadurch nicht bei jedem das Hirnvolumen, vermuten australische Forscher um Belinda Brown von der Universität in Perth2. Das Team um Brown hat sich etwas genauer für einen Polymorphismus im BDNF-Gen interessiert. Normalerweise kodiert das Gen für Valin an Position 66 im Protein, bei etwa einem Drittel der Bevölkerung findet sich aber zumindest in einem der beiden Allele Methionin. Bei diesen Personen funktioniert die BDNF-Regulation weniger gut, sie bauen bei einer Alzheimer-Erkrankung geistig schneller ab als die Valin-Homozygoten und haben dann auch ein geringeres Hippocampusvolumen, berichten die Neurologen. Kommt es zu einer Demenz, verläuft diese offenbar etwas schneller, das Demenzrisiko an sich scheint aber nicht erhöht zu sein. Viel Sport, wenig Hirn – auch das ist möglich In einer Querschnittstudie haben Brown und Mitarbeiter nun bei 114 Frauen im Alter von über 60 Jahren geschaut, ob der BDNF-Polymorphismus einen Einfluss auf den Effekt von Sport hat. Sie fragten die Beteiligten nach ihrer körperlichen Aktivität, bestimmten den BDNF-Genotyp und maßen per MRT das Hirnvolumen. Wie sich herausstellte, gab es insgesamt keinen Zusammenhang zwischen körperlicher Betätigung und Hirnvolumen, der Hippocampus war bei den körperlich Aktiven aber im Schnitt etwas größer. Schauten sich die Forscher nun den Genotyp an, dann waren bei den Valin-Homozygoten Temporallappen und Hippocampus umso größer, je mehr sich die Probanden bewegten. Bei den Methionin-Trägern sah die Sache anders aus: Das Hippocampusvolumen war bei den Sportlichen ähnlich groß wie bei den wenig Aktiven, der Temporallappen zeigte bei den Probanden mit viel Bewegung sogar ein kleineres Volumen. Sollte Sport also das Volumen in den fürs Gedächtnis kritischen Hirnbereichen steigern, dann offenbar nur bei den Valin-Homozygoten. Ein Drittel der Bevölkerung könnte sich demnach vergeblich abstrampeln – zumindest was den erhofften Schutzeffekt über BDNF betrifft. Möglicherweise wäre zu viel Sport dann sogar schädlich fürs Gehirn. Bei Methionin-Trägern bilden sich vermehrt fehlgefaltete BDNF-Proteine. Diese könnten die Apoptose begünstigen und zum Tod der Hirnzellen führen, spekulieren Brown und Mitarbeiter. Viel Sport, wenig Hirn – BDNF bietet dafür eine Erklärung. Bevor man die geistigen Ausfälle so mancher Profisportler aber auf den BDNF-Polymorphismus zurückführt, sollte die Hypothese sowohl in Kohortenstudien als auch in geeigneten Experimenten etwas besser überprüft werden, zumal die Studienlage über Vor- und Nachteile des Methionin-Allels fürs Gedächtnis nicht so eindeutig ist. Eine alternative Erklärung wäre etwa, dass die Valin-Homozygoten ein höheres Demenzrisiko haben, welches sie mit Sport senken können und damit lediglich auf das gleiche Niveau wie die Methionin-Träger kommen.Quellen:1: Okonkwo OC et al. Physical activity attenuates age-related biomarker alterations in preclinical AD. Neurology 2014; ePub October 8, doi: 10.1212/WNL.0000000000000964 2: Brown BM et al. Influence of BDNF Val66Met on the relationship between physical activity and brain volume. Neurology 2014; 83(15):1345-1352

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