Hintergrund
Die Verordnung von Antidepressiva nimmt in Deutschland ebenso wie weltweit seit Jahrzehnten kontinuierlich zu. Dabei gibt es keine Hinweise dafür, dass dies zu einer Verbesserung der psychischen Volksgesundheit führt.
Fragestellung
Es wird der Frage nachgegangen, ob eine antidepressive Pharmakotherapie, wenn sie langfristig durchgeführt wird, den Verlauf depressiver Erkrankungen ungünstig beeinflussen kann.
Material und Methode
Es wurde eine selektive Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed und ScienceDirect (seit 1969) durchgeführt. Suchwörter umfassten neben dem Schlagwort „antidepressants“ die Begriffe „tolerance“, „withdrawal“, „relapse“, „loss of effectiveness“ und „treatment resistance“.
Ergebnisse
Wird eine antidepressive Pharmakotherapie beendet, so verringert sich das Intervall bis zur nächsten Krankheitsepisode im Vergleich zum Interepisodenintervall vor Beginn der medikamentösen Therapie, und zwar umso deutlicher, je schneller das Antidepressivum abgesetzt wird. Die relativ hohe Rezidivhäufigkeit unter fortlaufender Behandlung spricht für die Entwicklung einer Toleranz gegen die Wirkungen des Arzneimittels. Auch eine Therapieresistenz muss bei einem Teil der Fälle auf die biologische (Gegen‑)Reaktion des Gehirns auf die Intervention betrachtet werden.
Schlussfolgerungen
Die in dieser narrativen Übersicht zusammengefasste Literatur gibt Hinweise darauf, dass eine langfristige antidepressive Pharmakotherapie bei einem Teil der behandelten Patienten den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussen kann. Dem unbestrittenen Nutzen der akuten antidepressiven medikamentösen Therapie stehen bei chronischer Einnahme und dem Absetzen potenzielle Risiken gegenüber, die wahrscheinlich auf adaptive Hirnveränderungen zurückzuführen sind. Dies ist bei der Initiierung jeder antidepressiven Pharmakotherapie zu bedenken.