Erschienen in:
01.11.2010 | Historisches
Der bayerische „Märchenkönig“ Ludwig II.
Seine letzten Jahre aus psychiatrischer Sicht
verfasst von:
Prof. Dr. D. v. Zerssen
Erschienen in:
Der Nervenarzt
|
Ausgabe 11/2010
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Zusammenfassung
Ludwig II. von Bayern betrat 1864 – nach dem frühen Tod seines Vaters Maximilian II. – mit 18 Jahren als strahlend schöner, schlanker, schwärmerischer, kunst- und musikliebender „Märchenkönig“ die politische Bühne. Doch schon in den ersten Jahren seiner Herrschaft fielen an ihm Verhaltenszüge auf, welche die ICD-10-Kriterien einer schizotypen Störung in Verbindung mit einer kombinierten Cluster-B-Persönlichkeitsstörung erfüllten. Sie verstärkten sich noch in der Folgezeit und führten in seinen letzten Lebensjahren zur Ausbildung eines „Cäsarenwahnsinns“. Dieser stellt aus heutiger Sicht ein typisches Muster suchtartiger Verhaltensexzesse dar, welches folgende Elemente umfasst: Herrschsucht, Prunksucht, Bausucht, Verschwendungssucht, Genuss- und Vergnügungssucht, besonders auf kulinarischem und sexuellem Gebiet, Rachsucht mit einem Hang zur Grausamkeit und eine Neigung zu irrationalen, oft theatralischen Handlungen. Diese komplexe Symptomatik tritt bei primär ausgesprochen egomanischen Herrschern im Gefühl (bei Ludwig freilich nur in der Fantasie bestehender) unbegrenzter Machtfülle auf. Ob die Entstehung des Syndroms bei ihm durch ein (orbitales) Stirnhirnsyndrom begünstigt wurde und ob ein solches auf einem schleichenden neurodegenerativen Prozess oder der (z. T. durch chronischen Substanzmissbrauch bedingten) Dekompensation einer anfänglich funktionell noch weitgehend kompensierten Stirnhirnschädigung im Säuglingsalter beruhte, sind offene Fragen. Die Entwicklung endete im 41. Lebensjahr des inzwischen adipös und fast zahnlos gewordenen Monarchen tragisch mit seiner Entmündigung, Absetzung, Internierung und schließlich seinem Tod (Suizid? Fluchtversuch??) im Starnberger See, nachdem er seinen (unvorsichtiger Weise einzigen) Begleiter, seinen psychiatrischen Gutachter und Betreuer Bernhard von Gudden, umgebracht hatte. Im Herzen vieler seiner Landsleute lebt aber das Bild vom schönen Märchenkönig, ihrem „Kini“, bis heute fort und wird so auch den Scharen in- und ausländischer Touristen bei der (von ihm gänzlich unerwünschten) Besichtigung seiner Traumschlösser vermittelt.