Erschienen in:
01.01.2015 | Leitthema
Der Beitrag der Neurowissenschaften zum psychiatrischen Krankheitsbegriff
verfasst von:
Prof. Dr. H. Walter, J. Müller
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 1/2015
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Zusammenfassung
Ziel der Arbeit
In dieser Art soll der Beitrag der Neurowissenschaften zum psychiatrischen Krankheitsbegriff vor dem Hintergrund der biologischen Psychiatrie und der Philosophie des Geistes untersucht werden.
Ergebnisse und Diskussion
Eine psychiatrische Krankheitslehre steht vor ähnlichen Problemen wie jede allgemeine Krankheitslehre. Zu diesen zählen unter anderem die Rolle von Dysfunktion und „normaler“ Funktion, Abgrenzungsprobleme von Krankheit und Gesundheit, die Rollen von subjektivem Leiden und die Rolle von kausalen Mechanismen. Im Fall psychischer Krankheiten und Störungen kommt hinzu, dass eine Krankheitslehre Stellung dazu nehmen muss, was mentale (geistige, psychische) Prozesse eigentlich sind. Es werden die Krankheitsdefinitionen des DSM-5 und des RDoC-Ansatz des National Instituts of Mental Health erläutert und diskutiert. Weiterhin wird dafür argumentiert, dass eine fundierte Krankheitslehre nicht rein deskriptiv sein sollte, sondern die kausalen Mechanismen von Störungen berücksichtigen sollte. Ein rezenter Ansatz, die Theorie des mechanistischen Eigenschaftsclusters, wird kurz vorgestellt. Ein Blick auf die Philosophie des Geistes zeigt schließlich, dass die naheliegende Annahme, psychische Erkrankungen seien (nichts weiter als) Erkrankungen des Gehirns, möglicherweise aus grundlegenden Erwägungen her falsch sein könnte. Dies wird anhand der Diskussionen um die sog. situierte Kognition dargestellt. Es wird geschlussfolgert, dass eine fundierte psychiatrische Krankheitslehre nicht unabhängig von einer zeitgemäßen Theorie des Mentalen formuliert werden kann, eine solche Synthese allerdings noch aussteht.