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Erschienen in: Der Nervenarzt 1/2012

01.01.2012 | Historisches

Der deutsch-jüdische Psychiater James Lewin

Ein zweifach vergessenes Opfer

verfasst von: PD Dr. H. Steinberg, O. Somburg, G.R.B. Boocock

Erschienen in: Der Nervenarzt | Ausgabe 1/2012

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Zusammenfassung

Der Aufsatz fokussiert das Leben und das psychiatrisch-publizistische Schaffen von James Lewin (1887–1937). Dieser ist ein klassisches Beispiel für einen in der politischen wie fachhistorischen Geschichte leider Vergessenen. Seine Schriften werden von originären Ideen und philosophischen Grundgedanken getragen. Herausgegriffen werden zwei Hauptaspekte: die Forderung nach einer Psychopathologie, die ohne Rücksicht auf klinische Bewertungen phänomenologisch die psychologische Struktur krankhafter Erlebnisse beschreibt, und seine Dissertation über die Situationspsychosen, in die er als Krankheitstyp die Haftpsychosen sowie auch viele kurz zuvor postulierte reaktive oder psychogene Psychosen eingehen lassen will. Lewin, der nach dem Ersten Weltkrieg am längsten in Berlin als niedergelassener Nervenarzt tätig war, emigrierte aufgrund seiner Verfolgung als Jude 1936 in die Sowjetunion. Archivalien zeigen, dass er dort 1937 im Zuge der Stalinschen Säuberungen unter dem Vorwurf der Spionagetätigkeit für die Gestapo hingerichtet wurde.
Fußnoten
1
Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation.
 
2
Praktisch Innenministerium der UdSSR.
 
3
Oft abweichend als Neuroprophylaktisches Institut angegeben.
 
4
Ein gesammelter archivalischer Bestand, der die Anwerbung und Koordinierung von Gestapo-Agenten umfasst, ist in Deutschland nicht überkommen. In den Beständen des Bundesarchivs Berlin, auch in dessen Bestand R58 Reichssicherheitshauptamt, in das die Ämter Gestapo und Auslandsnachrichtendienst integriert sind, konnten keine Lewin betreffenden Hinweise eruiert werden. Dr. Wladislaw Hedeler (Berlin), Dr. Wilhelm Mensing (Bonn), Dr. Carola Tischler (Berlin), Historiker und Verfasser mehrerer detaillierter Untersuchungen zum Komplex Stalin-Terror bzw. Emigration Deutscher in die UdSSR, denen die Autoren für Hinweise danken, äußerten zum dargestellten Fall, nach heutigem menschlichen Ermessen seien alle Hinweise vollkommen hinreichend um festzustellen, dass die Lewin gemachten Spionagevorwürfe der Grundlage entbehrten. Sie selbst kennen Hunderte archivalisch untersuchter Fälle, die Dutzende von Parallelen bis in einzelne Wortlaute aufwiesen und konnten keinen einzigen gerechtfertigten Fall auffinden, auch kennten sie keinen in der Forschungsliteratur publizierten. Eine Fotografie, die Lewin abbildet, konnte nicht aufgefunden werden.
 
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Metadaten
Titel
Der deutsch-jüdische Psychiater James Lewin
Ein zweifach vergessenes Opfer
verfasst von
PD Dr. H. Steinberg
O. Somburg
G.R.B. Boocock
Publikationsdatum
01.01.2012
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Der Nervenarzt / Ausgabe 1/2012
Print ISSN: 0028-2804
Elektronische ISSN: 1433-0407
DOI
https://doi.org/10.1007/s00115-010-3068-7

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