Zu viel und zu wenig: Pharmakotherapie bei Älteren

Ältere Patienten erhalten nicht nur häufig potenziell ungeeignete Medikamente, noch öfter werden ihnen eigentlich indizierte Mittel vorenthalten. Das hat eine Studie mit Senioren aus drei europäischen Ländern ergeben. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. In Deutschland ist es vor allem die PRISCUS-Liste, die hilft, von den hier verfügbaren Arzneimitteln diejenigen zu meiden, die für ältere Menschen potenziell inadäquate Medikamente darstellen. Demselben Ziel dienen die in Irland entwickelten STOPP/START-Kriterien, die darüber hinaus noch positive Therapieempfehlungen für Patienten ab 65 enthalten (Version 2: O'Mahony D et al. Age Ageing 2015;44(2):213-8; doi: 10.1093/ageing/afu145). Mit diesem Werkzeug hat ein Ärzteteam nun Häufigkeit und Art von potenziell unangemessenen Verschreibungen (potentially inappropiate prescriptions, PIP) sowie von potenziellen Verordnungsversäumnissen (potential prescribing omissions, PPO) bei selbstständig lebenden über 65-Jährigen aus Irland, der Schweiz und den Niederlanden analysiert. Die 532 Senioren, im Schnitt 75 Jahre alt, waren Teilnehmer der Studie TRUST, in der der Nutzen einer Levothyroxinsubstitution bei subklinischer Hypothyreose geprüft worden war. Für die Untersuchung waren auch ihre Erkrankungen und Medikationspläne erfasst worden. Zu häufig Schlafmittel Mithilfe der STOPP-Kriterien wurden bei etwa jedem achten Patienten (13%) PIP identifiziert, die Raten schwankten je nach Land zwischen 9% (Irland) und 17% (Schweiz). Von PPO waren gemäß START-Kriterien fast doppelt so viele Patienten betroffen (22%), mit Anteilen zwischen 14% (Irland) und 24% (Schweiz). Auch bei der Art der PIP gab es länderspezifische Besonderheiten: In Irland führten die schlafanstoßenden Z-Medikamente (Zopiclon, Zolpidem, Zaleplon) die Rangliste an, gefolgt von Betablockern trotz Bradykardie (< 50/min) oder AV-Block zweiten oder dritten Grades. Bei den Patienten aus der Schweiz waren die häufigsten PIP die Kombination aus NSAR mit oralen Antikoagulanzien, langwirksame Sulfonylharnstoffe zur Diabetestherapie und Benzodiazepine. Die beiden letztgenannten Substanzklassen nahmen, in umgekehrter Reihenfolge, auch in den Niederlanden die beiden Spitzenplätze ein. Untertherapie bei Osteoporose und Atemwegserkrankungen Die häufigsten PPO betrafen durchgängig die Behandlung einer diagnostizierten Osteoporose: In Irland unterblieb vor allem die Gabe von Vitamin D und Kalzium, in der Schweiz fehlte es an spezifischen Osteoporosemedikamenten und in den Niederlanden an beidem. Auf den Plätzen zwei stand die inhalative Basistherapie bei Asthma und COPD (Irland) bzw. eine thrombozytenhemmende Therapie bei Patienten mit atherosklerotischen Erkrankungen (Schweiz). Als Risikofaktoren für PIP erwiesen sich erwartungsgemäß Multimorbidität und Polypharmazie, jedoch nicht das Alter. Höheres Alter war dagegen ebenso wie Multimorbidität mit einem erhöhten PPO-Risiko assoziiert. Risiko noch unterschätzt Die ermittelten PIP- und PPO-Raten liegen teilweise erheblich niedriger als in früheren Studien. Die Studienautoren um David O. Riordan von der Universität in Cork führen das unter anderem darauf zurück, dass Patienten, die für eine klinische Studie ausgewählt werden, vermutlich nicht die Bevölkerung repräsentieren. Außerdem hätten wegen fehlender Angaben zu Dauer und Dosierung von Therapien nicht alle STOPP/START-Kriterien angewendet werden können. Mit den Studienergebnissen werde die tatsächliche Häufigkeit von PIP und PPO daher vermutlich unterschätzt. Auch die Differenzen zwischen den Ländern sind mit Vorsicht zu interpretieren. Riordan und Kollegen weisen darauf hin, dass sie teilweise durch länderspezifische Behandlungsempfehlungen zustande kommen könnten. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie häufig sind potenziell unangemessene Verschreibungen (PIP) und potenzielle Verordnungsversäumnisse (PPO) bei selbstständig lebenden über 65-Jährigen? Antwort: In einer klinischen Studie mit Teilnehmern aus Irland, der Schweiz und den Niederlanden waren gemäß STOPP/START-Kriterien (Version 2) 13% von PIP und 22% von PPO betroffen. Bedeutung: Die Anwendung von Listen zur Ermittlung geeigneter Medikamente, z. B. PRISCUS, könnte die medikamentöse Versorgung älterer Patienten verbessern. Einschränkung: Die untersuchten Patienten waren Teilnehmer einer klinischen Studie, in der Gesamtbevölkerung dürften PIP- und PPO-Raten höher liegen.

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