Zellulitis: Was kosten uns die Fehldiagnosen?

Entzündliche Dermatosen werden zu oft für Zellulitis gehalten und dann fälschlicherweise mit Antibiotika behandelt. Darunter leiden die Gesundheit des Patienten sowie das Gesundheitssystem. Wie stark, kalkulierten nun Wissenschaftler aus Boston. Sie appellieren, frühzeitig Dermatologen hinzuzuziehen. Lymphödem, tiefe Venenthrombose oder Kontaktdermatitis: Die Zellulitis der unteren Extremitäten wird von vielen Hautkrankheiten imitiert. Fehldiagnosen sind da programmiert. Studien zufolge liegt die Rate bei ca. 30% [1,2]. Zahlen, die Qing Yu Weng aus der Abteilung für Dermatologie am Massachusetts General Hospital, Boston, und Kollegen in ihrer Querschnittsstudie mit 295 Patienten noch einmal untermauern. Von Interesse ist die Studie aber vor allem, da die dünne Datenlage zu Kosten und Komplikationen durch Fehldiagnosen bei Zellulitis der unteren Extremitäten (endlich) aufgestockt wird. Unnötige Komplikationen bei einem Drittel der Patienten Weng und sein Team betrachteten dafür Patienten (über 18 Jahre), die von Juni 2010 bis Dezember 2012 mit der Diagnose Zellulitis der unteren Extremität in der Notaufnahme (eines großen Krankenhauses) aufgenommen und behandelt wurden. In einem Beobachtungszeitraum von 30 Tagen dokumentierten sie alle Maßnahmen, die in Verbindung mit der Zellulitisdiagnose anfielen. Dazu zählten u.a. Antibiotikagabe, Länge des Krankenhausaufenthaltes sowie Komplikationen durch die Behandlung. Patienten mit Abszess, Trauma, chirurgischem Eingriff oder vorheriger intravenöser Antibiotikabehandlung wurden ausgeschlossen. Von den 295 eingeschlossenen Patienten wurden 180 (69,5%) mit der Diagnose Zellulitis der unteren Extremität entlassen. Bei 79 der 295 (30,5%) Patienten stellte sich im Beobachtungszeitraum heraus, dass sie fälschlicherweise die Diagnose Zellulitis erhalten hatten. 52 (65,8%) davon wurden nach der Erstdiagnose Zellulitis behandelt. Die Angaben zu Kosten und Komplikationen der Fehldiagnose stützen sich auf diese Subgruppe. Dabei ergab sich, dass bei 85% der Krankenhausaufenthalt nicht erforderlich gewesen wäre. Sie waren 4,3 Tage unnötig stationiert. 92% erhielten unnötig Antibiotika. Besonders gravierend war aber, dass bei 32% der Subgruppe (unter Abzug von acht Patienten, die nicht weiter dokumentiert wurden) Komplikationen wie Arzneimittelexantheme, Diarrhö und Magen-Darm-Beschwerden im Zusammenhang mit der Behandlung auftraten. Für die Kostenkalkulation zogen Weng et al. Daten aus 15 Studien hinzu, die durch eine Literaturrecherche anhand der Begriffe „cellulitis“, „skin and soft tissue infection“, „abcess“, „emergency departement“ und „United States“ ausgewählt worden. Darauf basierend schätzten sie, dass es 15.000 bis 40.000 unnötige Krankenhausaufenthalte im Jahr in den USA durch Fehldiagnosen gibt. Dabei fallen jährlich Kosten von 195 Millionen bis 515 Millionen Dollar an. Doch die wahre Zahl könnte durchaus höher liegen, so die Autoren. Nicht einberechnet sind die Kosten für Antibiotika und Folgekonsultationen durch eine Fehldiagnose. Auch wenn Weng und seine Kollegen nur eine einzelne medizinische Einrichtung betrachteten und eine wenig spezifische Kohorte, konnten sie doch zeigen, dass Fehldiagnosen zu unnötigen Kosten und Komplikationen führen. Sie rufen daher dazu auf, bei Patienten mit V.a. Zellulitis sorgfältig vorzugehen und frühzeitig Dermatologen hinzuzuziehen. Zellulitis? Der Goldstandard heißt Dermatologe Diesen Apell erweitern die Autoren des Editorials: Dermatologen sollten sich stärker ins Gespräch einbringen und verfügbar machen, wenn über die Diagnose einer Zellulitis und ihrer Behandlung gesprochen wird. Denn ein großes Problem liege vor allem darin, wie Dermatologen von ärztlichen Kollegen und der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. „Wenn andere Ärzte an Zellulitis denken, dann denken sie oft nicht an die Dermatologen“, so Misha Rosenbach und Sotonye Imadojemu. Dermatologen würden nicht selten als Kosmetiker abgeschrieben. Dabei verfügen gerade sie über die notwenige fachliche Expertise, um zwischen Zellulitis und den imitierenden Krankheitsbildern zu unterscheiden. Da diagnostische Maßnahmen wie Blutkultur und Biopsien nur wenig hilfreich sind, ist die Einschätzung des Dermatologen der Goldstandard bei der Diagnose von Zellulitis. Doch wie überzeugen? Rosenbach und Imadijemu sind überzeugt, wenn Dermatologen sich aktiv in Forschung und Entwicklung von diagnostischen Tools einbringen und die Möglichkeiten der Teledermatologie nutzen, können sie sich wieder mehr in den Fokus rücken. Auch eine simple Kostenrechnung, wie sie Weng et al. vorführten, könne bei der Argumentation helfen. [1] Levell NJ, Wingfield CG, Garioch JJ. Severe lower limb cellulitis is best diagnosed by dermatologists and managed with shared care between primary and secondary care. Br J Dermatol. 2011;164(6):1326-1328. [2] Arakaki RY, Strazzula L,Woo E, Kroshinsky D. The impact of dermatology consultation on diagnostic accuracy and antibiotic use among patients with suspected cellulitis seen at outpatient internal medicine offices: a randomized clinical trial. JAMA Dermatol. 2014;150(10):1056-1061.

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