Hilft Cannabis gegen Tics?

Cannabispräparate scheinen bei Tourette eine gewisse Wirksamkeit zu haben. Nach Resultaten einer kontrollierten deutschen Studie sprechen vor allem Männer und Menschen mit ADHS als Begleiterkrankung darauf an. In Leitlinien zum Tourette-Syndrom steht eine Verhaltenstherapie zwar an erster Stelle, „aber nicht, weil sie mit einer Tic-Reduktion von etwa 30% besonders wirksam ist, sondern weil die Verhaltenstherapie als nebenwirkungsfrei gilt“, erläuterte Professorin Kirsten Müller-Vahl von der Klinik für Psychiatrie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Ist die Verhaltenstherapie unwirksam oder nicht gewünscht, sind auch Medikamente eine Option, hier vor allem das Antipsychotikum Aripiprazol. Hilft auch das nicht, wird es schwierig, so Müller-Vahl auf dem Deutschen Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen. Die Experten aus Hannover setzen dann mitunter auf Cannabispräparate. Hier gebe es schon lange vielversprechende Einzelfallberichte und kleinere Studien, nach denen Präparate mit dem Wirkstoff THC die Tic-Symptome deutlich reduziert. Eine mögliche Erklärung: Cannabinoide sind wichtige Neuromodulatoren, welche die motorische Aktivität dämpfen und Stress reduzieren. Zudem deuten genetische Daten auf einen Zusammenhang: So werden bei Tic-Patienten vermehrt Veränderungen in zentralen Cannabinoid-Rezeptor-Genen gefunden, sagte Müller-Vahl. Weniger Tics mit Cannabisextrakt Die Evidenz zum Nutzen von Cannabispräparaten beim Tourette-Syndrom ist derzeit aber noch dünn. Müller-Vahl verwies auf Kasuistiken und Fallserien mit zusammen mehr als 220 Patienten, zumeist mit Cannabis-Extrakten, -Blüten oder reinem THC. „Bemerkenswert dabei ist, dass in praktisch allen Fallberichten nicht nur über eine Besserung der Tics berichtet wurde, sondern auch einer Vielzahl psychiatrischer Komorbiditäten. Das ist etwas, das wir so eigentlich bei klassischen Tourette-Therapien nicht kennen. Die richten sich ausschließlich gegen Tics, gegen die Begleiterkrankungen brauchen Sie weitere Therapien“, erläuterte Müller-Vahl. Ein Team um die Psychiaterin hatte bereits vor 20 Jahren mit eigenen Cannabis-Studien begonnen, damals noch mit reinem THC. So konnten die Forscher in einer kleinen sechs Wochen dauernden placebokontrollierten Untersuchung mit 24 Tourette-Patienten einen deutliche Tic-Reduktion unter THC beobachten – ohne negative neuropsychologische Begleiteffekte. Die Resultate ermutigten die Wissenschaftler, Cannabis in einer größeren kontrollierten Untersuchung gegen Tourette zu prüfen. Auf dem Kongress stellte Müller-Vahl nun die ersten Ergebnisse der DFG-finanzierten Studie CANNA-TICS vor. Teilgenommen haben 97 erwachsene Patienten mit chronischen Tic-Störungen. Zwei Drittel bekamen das Cannabis-Extrakt-Präparat Nabiximols, ein Drittel Placebo. Die Medikation wurde vier Wochen aufdosiert bis maximal 12 Sprays pro Tag (32mg THC/30 mg CBD täglich), die Behandlung mit der vollen Dosis dauerte neun Wochen. Primärer Endpunkt war eine Tic-Reduktion um mindestens 25%. Eine solche Reduktion schafften 14 Patienten (22%) mit dem Cannabispräparat, aber nur 3 (9%) mit Placebo, das Signifikanzniveau wurde knapp verfehlt. Eine 30%-Reduktion gelang 8 Patienten (13%) mit Cannabis, und nur einem (3%) mit Placebo. Müller-Vahl sieht immerhin einen „starken Trend“ für einen Nutzen. Kein Effekt durch Blockade des Endocannabinoid-Abbaus In Subgruppenanalysen ergaben sich knapp signifikante Vorteile bei Männern und Patienten mit ADHS. Dies wäre insofern klinisch relevant, als Männer drei- bis viermal häufiger an Tic-Störungen erkranken als Frauen und ADHS eine häufige Begleiterkrankung ist. Ohne Alpha-Fehler-Korrektur kann es sich hier allerdings auch um reine Zufallsbefunde handeln. Weitere Vorteile deuten sich bei Depressionen und der Lebensqualität an. Die Forscher unterzogen die Teilnehmer unter der Therapie auch Fahrsicherheitstests: Hierbei verbesserten sich die Patienten mit Nabiximols sogar, wohingegen die Fahrsicherheit in der Placebogruppe zurückging. Ein anderer Ansatz zielt darauf, die Endocannabinoid-Spiegel zu erhöhen statt Cannabinoide extern zuzuführen. Dies gelingt etwa über eine Blockade des Cannabinoid-abbauenden Enzyms Monoacylglycerol-Lipase (MAGL). Eine zwölf Wochen dauernde kontrollierte Studie mit dem MAGL-Blocker ABX-1431 bei 49 Tourette-Patienten ergab jedoch keine größeren Unterschiede bei den Tic-Scores von Patienten mit dem Wirkstoff und solchen unter Placebo. Quelle: Deutscher Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen, 24.– 26.3.2022. FV-03-003, Kirsten R. Müller-Vahl: Behandlung des Tourette-Syndrom mit Cannabis-basierten Medikamenten.

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