Niereninsuffizienz und Polypharmazie - Ein heikles Thema

Die Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz ist bei einigen Medikamentengruppen problematisch. Es fehlen valide Studiendaten. Zusätzlich zeigt sich bei einem etablierten Pharmakon ein weitgehend unbeachtetes, nephrotoxisches Potenzial. Gefährliche Polypharmazie Ein besonderes Problem ist für Dr. Insa Schmidt (Boston University) die trotz Niereninsuffizienz oft betriebene Polypharmazie. Daten des GCKD-Registers zeigen, dass selbst bei schwerer Niereninsuffizienz (CKD 4-5) in 92 % der Fälle mehr als fünf Medikamente rezeptiert werden (1). Damit ist das entsprechende WHO-Kriterium “Polypharmazie” erfüllt. Ein problematischer Befund: Die unübersichtliche Medikation gefährdet die Patienten durch nephrotoxische Nebenwirkungen oder unkontrollierte Kumulation. Andererseits zeigt sich aber auch, dass 88 % der überprüften Nierenpatienten, trotz Indikation, nicht mit einem Statin eingestellt waren. Den Patienten blieb so eine wichtige therapeutische Option vorenthalten. Kaum Daten zu Statinen Gründe hierfür sind nicht nur die Angst vor schweren Nebenwirkungen der Statine (Rhabdomyolyse), sondern auch unklare Dosierungsvorgaben bei Niereninsuffizienz, vermutet. Prof. Dr. med. David Czock (Uniklinik Heidelberg). Bei älteren Präparaten (z.B. Atorvastatin) wird zwar in der Zulassung “zur Vorsicht” bei Niereninsuffizienz geraten. Dezidierte GFR-Vorgaben fehlen trotzdem in der Fachinformation (2). Neuere Präparate (z. B. Rosuvastatin) sind bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz zwar kontraindiziert. Für gering- bis mittelgradige Niereninsuffizienz gilt der diffuse Rat zur pauschalen Dosisreduktion. Eine Situation, die sich nur durch therapeutischen Pragmatismus lösen lässt: Statin-Therapien bei Niereninsuffizienten sollten immer einschleichend erfolgen und sich am gewünschten LDL-Zielwert orientieren. Ein CK-Monitoring bringt zusätzlich Sicherheit. Wichtig ist der CK-Ausgangswert. Nur so lässt sich die Risiko-Nutzen-Relation individuell optimieren. DOAK-Dosierung Deutlich übersichtlicher ist die Lage bei den direkten oralen Antikoagulantien (DOAK). Hier bieten die Fachinformationen differenzierte Dosierungsvorgaben, an die sich der verschreibende Arzt unbedingt halten muss, rät Czock. Diese Daten reflektieren eine breite empirische Studienlage. Entscheidend ist dabei, dass bei der GFR-Anpassung der DOAK-Dosis auf die adäquate GFR-Berechnung zurückgegriffen wird. Neuere Rechenmodelle (z.B. CKD-EPI) sind wahrscheinlich in Bezug auf die GFR genauer. Als Dosierungsgrundlage für DOAKs sind sie trotzdem ungeeignet, da deren Zulassungsstudien ausschließlich auf der Cockcroft-Gault-Formel basieren. Doch wer hat immer die pharmakologischen Daten aller gängigen DOAKs zur Hand? Als praktische Hilfe für den klinischen Alltag hat das Team von Professor Czock deshalb eine entsprechende App konzipiert, nach der sich die optimale DOAK-Dosierung unkompliziert errechnen lässt. Die kostenlose App (easyDOAC) steht im Netz bereit (3). Nephrotoxische NSAID Die Nierenschädigung durch Antiphlogistika ist zwar ein Allgemeinplatz. Ihre Relevanz wird aber immer noch zu wenig beachtet, meint Oberärztin Dr. med. Anja Gäckler (Uniklinik Essen). Die Langzeitgabe (> 30 Tage) eines Antiphlogistikums steigert, entsprechend aktueller Daten, das Risiko für ein akutes Nierenversagen um ca. 41 % (OR 1,41). Der Grad der Schädigung hängt überraschenderweise kaum von der renalen Ausgangslage ab (4). Keine Relevanz hat in diesem Zusammenhang die Komedikation eines NSAIDs mit einem ACE-Hemmer bzw. AT1-Blocker, wie eine britische Registerstudie zeigt (n= 487372 Hypertoniker, 6 Jahre Follow-up). Die Nephrotoxizität der NSAIDs wird hierdurch nicht signifikant gesteigert. Kritisch dagegen ist die Kombination: NSAID/Diuretikum/ACE- bzw. AT1-Hemmer. Das AKI-Risiko wird unter der Dreierkombination um 31% (1,31 adj. Rate Ratio) potenziert (5). Gefährliche PPI Zu wenig bekannt ist das nephrotoxische Potenzial von Protonenpumpeninhibitoren (PPI), gibt Gäckler zu bedenken. Im Rahmen einer kanadischen Bevölkerungsstudie (n= 290.592, Alter > 66Jahre) beobachteten die Autoren 120 Tage nach Therapiebeginn bei 1269 Patienten (0,4 %) eine akute Nierenschädigung (AKI) (6). Demnach hatte sich in der mit PPI behandelten Gruppe das renale Risiko um den Faktor 2,52 (HR) potenziert. Für die interstitielle Nephritis fanden die Forscher sogar eine dreifache Risikoerhöhung (HR 3,0). Als Ursache wird eine primäre oder sekundäre Wirkung der PPI-typischen Hypomagnesiämie diskutiert. Literatur (1) Schmidt, Insa M., et al. "Patterns of medication use and the burden of polypharmacy in patients with chronic kidney disease: the German Chronic Kidney Disease study." Clinical kidney journal 12.5 (2019): 663-672. (2) Sortis®: “ … Beeinträchtigung der Nierenfunktion … ist eine sorgfältige Nutzen-Schaden-Abwägung erforderlich und es sollte eine engmaschige klinische Überwachung erfolgen.” (3) https://www.easydoac.de/ (4) Nash, Danielle M., et al. "Nonsteroidal anti-inflammatory drug use and risk of acute kidney injury and hyperkalemia in older adults: a population-based study." Nephrology Dialysis Transplantation 34.7 (2019): 1145-1154. (5) Lapi, Francesco, et al. "Concurrent use of diuretics, angiotensin converting enzyme inhibitors, and angiotensin receptor blockers with non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of acute kidney injury: nested case-control study." Bmj 346 (2013). (6) Antoniou, Tony, et al. "Proton pump inhibitors and the risk of acute kidney injury in older patients: a population-based cohort study." CMAJ open 3.2 (2015): E166. Mehr vom Nephrologie 2021-Kongress finden Sie in unserem Kongressdossier. Quelle: 13. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie 2021, 23.–26. September 2021, Rostock, Veranstaltung: Gefährlichste Medikamente bei CKD.

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