Gewalt während der Geburt: Wie Traumatisierung verhindern?

Traumatisiert die Geburt oder die Geburtshilfe? Dieser Frage ging Dr. Wolf Lütje, Hamburg, Vertreter der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde, nach. Und betonte die Bedeutung der Nachbesprechung der Geburt. „Geburt ist ein Akt der Liebe, der zwangsläufig schmerzt. Eine Welt ohne Schmerz wäre lieblos. Lieben macht Sinn, weil es Schmerz gibt.“ Deshalb, so Dr. med. Wolf Lütje, Hamburg, sind sich Geburt, Liebe und Schmerz so nahe. Und deshalb gebe es in diesen Feldern die höchste Sensibilität. Die Tatsache, dass angeblich die Hälfte der Frauen bei der Geburt Gewalt erfahren haben, bestätige das Dilemma, dass eine Differenzierung zwischen der Gewalt der Geburt und der Gewalttätigkeit der Geburtshelfer mitunter schwierig ist. Ist also die Geburt das Traumatisierende oder die Geburtshilfe? Die Folgen sind ähnlich und sie sind gravierend. Die Frauen leiden unter Bindungsstörungen, Depressionen und Angststörungen. Manche wollen erst später oder gar keine Kinder mehr. Der Trend verschiebe sich dann in Richtung von Hausgeburten oder Alleingeburten. Schon die Sprache triggere das Thema Schmerz und Gewalt während der Geburt – durch Begriffe wie Wehe, Milcheinschuss, Schwangerschaftsvergiftung oder auch Vakuumextraktion, erläuterte Lütje. Mehr Personal, mehr Kommunikation Als Gründe für die Erfahrung von Gewalt während der Geburt sieht Lütje strukturelle Probleme wie Personalmangel bei der Geburt, unzureichende Kommunikation und mangelndes Fehlermanagement, aber auch eine Katastrophisierung wie etwa „ihr Kind wird sterben“ oder auch das Aushebeln jeden Widerspruchs zur Selbstregulierung und Angstbewältigung. Auch Übertragungsphänomene sind möglich nach dem Motto „Ich mache Dir Angst, weil ich auch Angst habe.“ 1:1 Betreuung als Ziel Wichtig für betroffene Frauen ist die Kommunikation vor und nach der Geburt, insbesondere bei Ängsten, psychischen Vorbelastungen und Traumatisierungen. Häufig, so Lütje, gehe es um die Nachbesprechung der vorangegangenen Geburt. Der Fokus liege dann meist darauf, was sich nicht wiederholen darf. Gegebenenfalls kann eine Psychotherapie notwendig werden. Um die Situation zu verbessern, wäre eine 1:1-Betreuung der Gebärenden durch eine Hebamme wünschenswert. Aktuell liegt der Schlüssel bei 1:4. Kommt die Schwangere mit einer Hebamme nicht klar, sollte ein Hebammenwechsel möglich sein. Und: vaginale Untersuchungen würden zu häufig durchgeführt. Umgekehrt erleben aber auch Hebammen und medizinisches Personal bei einer Geburt Gewalt, von der Schwangeren selbst, aber auch von ihrem Partner beziehungsweise männlichen Angehörigen. „Das ist ein neues Feld mit dem wir auseinandersetzen müssen“. so Lütje. Basierend auf: Keynote-Lecture: "Gewaltiges und Gewalttätiges in der Geburtshilfe –Versuch einer Abgrenzung", 63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, 9.10. 2020 in München Weitere Inhalte vom Kongress 27.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Ethische Aspekte zur Eizellspende in Deutschland 27.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Persistierendes Serom: Auf Vermeidungsstrategien setzen 27.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Wenn die Nebennierenrinde in der Schwangerschaft Probleme macht 27.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Frauen, Partner und Durchführende im Spannungsfeld der Abruptio 26.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Schmerzen: Worauf Sie vor, während und nach der Geburt achten müssen 26.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten CMV-Therapie in der Schwangerschaft meist off label 26.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Neue Strategien bei Eierstockkrebs – Nachsorge nicht vergessen 26.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Kontrazeption trotz Hormonphobie 26.10.2020 | DGGG 2020 | Kongressbericht | Nachrichten Gewalt während der Geburt: Wie Traumatisierung verhindern?

Springer Medizin

Gewalt während der Geburt: Wie Traumatisierung verhindern?

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet Gynäkologie und Geburtshilfe

ICI-Therapie in der Schwangerschaft wird gut toleriert

Weniger postpartale Depressionen nach Esketamin-Einmalgabe

Bei RSV-Impfung vor 60. Lebensjahr über Off-Label-Gebrauch aufklären!

Harnwegsinfektprophylaxe: Es geht auch ohne Antibiotika

Update Gynäkologie