Wenn ein Gefäßspezialist den Internistenkongress leitet, ist klar, dass angiologische Themen einen Schwerpunkt bilden. In der Hausarztpraxis sind einige dieser Themen tagtägliches Geschäft – von akralen Ischämien bis zum Umgang mit Antikoagulanzien.
Etwa 100.000 km Gefäße durchziehen den menschlichen Körper. Da ist es durchaus erstaunlich, dass es 127 Internistenkongresse gebraucht hat, bevor mit Professor Sebastian Schellong ein Gefäßspezialist einen solchen Kongress ausrichten und prägen durfte. Eine Chance, die sich der Dresdner Internist nicht nehmen ließ: Angiologische Themen tauchten beim erstmals komplett digitalen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) breit gestreut in den Sitzungen auf. Das begann gleich Samstag früh mit „Angiologie für den Generalisten“ und Themen, mit denen Hausärzte häufig konfrontiert sind.
So zum Beispiel akrale Ischämien, hinter denen ein Universum von Differenzialdiagnosen „von Kopf bis Fuß“ stecken kann, wie Dr. Bernd Krabbe vom Marienhospital Steinfurt verdeutlichte. Seit Jahrzehnten wird dann meist zunächst von einem Raynaud-Syndrom gesprochen. Was folgt, ist eine manchmal lange Ursachensuche, die bei blanden, selbstlimitierenden Beschwerden wie einem primärem Raynaud-Syndrom beginnt und bis zu mechanischen Ursachen, systemischen, arteriellen, malignen, endokrinen Erkrankungen oder toxischen Auslösern führen kann. „Das ist mitunter Detektivarbeit, bis man auf die richtige Diagnose gestoßen ist“, sagte Krabbe.
Auch nach dem Nagelwachstum fragen!
Mit sorgfältiger Anamnese und klinischer Untersuchung komme man jedoch bereits einen großen Schritt voran: Wie lange bestehen die Beschwerden und haben sie schnell oder langsam begonnen? Das Alter ist bedeutsam ebenso wie Auslöser, Begleitsymptome oder Vorerkrankungen. Ist nur eine Extremität oder ein Finger betroffen, dann kommt eine lokale Ursache infrage. Sind außer den Langfingern auch die Daumen oder Zehen befallen, spricht dies eher für eine sekundäre Genese. Wunden oder trophische Störungen sind ebenfalls Warnsignale. Weiterhin lohnt es sich, nach dem Nagelwachstum zu fragen sowie nach ähnlichen Erkrankungen in der Familie.
Ein primäres Raynaud-Phänomen ist gekennzeichnet vom Trikolore-Phänomen (anfallsartige Weiß-, dann Blau- und Rotfärbung der Akren) sowie symmetrischem Auftreten bei unter 30-jährigen Patienten. Es betrifft eher die Langfinger und geht allenfalls mit leichten Schmerzen einher. Asymmetrie, starke Schmerzen bei bestehender Grundkrankheit von über 30-Jährigen bei Vorliegen von Autoantikörpern und pathologischer Kapillarmikroskopie lässt eher an ein sekundäres Raynaud-Phänomen denken.
Thrombophlebitis ist nicht immer harmlos
Eine Thrombophlebitis sei keinesfalls immer eine harmlose Erkrankung, erklärte Dr. Katja Mühlberg vom Universitätsklinikum Leipzig. Jeder Verdacht auf eine oberflächliche Venenthrombose in der Vena (V.) saphena magna, der V. parva oder akzessorischen Venen sollte sonografisch abgeklärt werden. „Es geht darum, die Ausdehnung des thrombotischen Prozesses, das proximale Thrombusende und den Abstand zur Mündung in das tiefe Venensystem festzustellen“, so Mühlberg. Denn nach neueren Metaanalysen liegt die Prävalenz tiefer Beinvenenthrombosen (TVT) bei 18 Prozent und die Prävalenz von Lungenembolien (LE) bei knapp 7 Prozent. Nach anderen Untersuchungen ist jede vierte Thrombophlebitis von einer TVT oder asymptomatischen LE begleitet.
Die Therapie bei Thrombophlebitis entscheidet sich entlang des sonografischen Befundes: Ab einer Thrombuslänge von 5 cm wird für vier bis sechs Wochen mit einmal täglich subkutan injiziertem Fondaparinux behandelt. Reichen Thrombophlebitiden sehr nah ans tiefe Venensystem heran, wird therapeutisch antikoaguliert. Zusätzlich erfolgen die Kompressionstherapie und Mobilisation des Patienten. Antibiotika werden nur bei septischem Geschehen eingesetzt. Sind kleine Seitenäste betroffen, wird lokal Heparin-Salbe aufgebracht und es werden nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) verordnet. Eine Stichinzision kann ebenfalls Erleichterung verschaffen.
Lungenembolie wird oft übersehen
Lungenembolien (LE) werden nach wie vor oft übersehen oder verzögert diagnostiziert. Dies liege vor allem an zwei Fehlannahmen, meint Professor Jan Beyer-Westendorf vom Uniklinikum Dresden. „Vielfach wird davon ausgegangen, dass eine Lungenembolie immer mit einer Thrombose zusammenhängen muss. Liegen keine Thrombosezeichen vor, wird nicht an die Möglichkeit eine Lungenembolie gedacht.“ Das zweite Missverständnis bestehe darin, dass die Sterblichkeit einer LE an der Thrombuslast festzumachen sei. Außerdem müsse die klinische Symptomatik nicht zwingend mit dem Schweregrad der Lungenembolie zusammenhängen, erklärte Beyer-Westendorf.
Neben der Größe des Embolus ist die individuell vorhandene kardiopulmonale Reserve des Patienten entscheidend. Der kardial vorerkrankte Patient hat schon bei einer relativ kleinen Verlegung der Lungenstrombahn eine schlechte Prognose, während bei großer kardiopulmonaler Reserve selbst größere LE relativ gut kompensiert werden können.
Therapeutische Lücke lässt sich vermeiden
Wichtig beim Erstkontakt bei Verdacht auf LE ist daher, den Blutdruck und die Herzfrequenz zu messen sowie auch das Vorhandensein von Tachypnoe und Zyanose zu prüfen. Bei Auffälligkeiten sollte der Patient sofort intravenös heparinisiert und per Notarzt eingewiesen werden. Weil unfraktioniertes Heparin nur eine Halbwertszeit von 30 Minuten hat, soll zeitgleich niedermolekulares Heparin (NMH) subkutan gespritzt werden, das zwei Stunden braucht, um anzufluten. So wird eine therapeutische Lücke vermieden.
Bei kardiopulmonal stabilen Patienten soll zunächst mit NMH oder einem direkten oralen Antikoagulanz (DOAK) antikoaguliert und dann die ebenfalls meist stationäre bildgebende Diagnostik eingeleitet werden. Bestätigt sich der LE-Verdacht nicht, kann dies wieder abgesetzt werden. Abschätzen lässt sich die LE-Wahrscheinlichkeit mit dem Geneva-Score. Wird der vereinfachte Score genutzt, ist ab 5 Punkten eine LE wahrscheinlich, beim dreistufigen Score besteht ab zwei bis sechs Punkten eine mittlere und darüber eine hohe LE-Wahrscheinlichkeit. Ist die Vortestwahrscheinlichkeit niedrig, erfolgt die D-Dimer-Bestimmung – ist der D-Dimerwert erhöht, erfolgt ebenfalls die Bildgebung. Bei niedrigem D-Dimer-Wert ist eine Lungenembolie so gut wie ausgeschlossen.
Bei DOAK-Therapie auf Nierenfunktion achten!
Auf vielfältige Fallstricke bei der Dosierung von DOAK machte Professor Edelgard Lindhoff-Last vom CCB CardioAngiologischen Centrum Bethanien in Frankfurt am Main aufmerksam. „Deshalb ist es für Allgemeininternisten und Hausärzte empfehlenswert, sich in der Praxis auf ein bis maximal zwei DOAK zu fokussieren.“ Ansonsten könne es bei den unterschiedlichen Dosierungen und Therapiestrategien unübersichtlich werden.
Vor Beginn und im Verlauf der Therapie mit DOAK sollten die Nieren- und Leberfunktion überprüft werden. Bei älteren und fragilen Patienten zum Beispiel zwei bis vier Mal pro Jahr sowie vor allem dann, wenn es zu einer Verschlechterung der Herz-, Leber- und/oder Nierenfunktion kommt, empfahl Lindhoff-Last. „Gegebenenfalls muss die Dosis je nach Indikation und eingesetztem Wirkstoff angepasst werden.“
Quelle: Ärzte Zeitung