Ärzte fordern Regeln für das Impfen immunsupprimierter Patienten

Influenza, Pneumokokken, Herpes zoster, Pertussis, COVID: Bei Impfungen von Menschen mit Immuntherapie setzen Mediziner auf klare Zuständigkeiten und eine TI, die funktioniert. Bei beidem sei noch Luft nach oben, so der Tenor einer Diskussionsrunde beim DGIM-Kongress. Impfen zählt zum Standardrepertoire der Vertragsarztpraxen. Rund 88 Millionen Impfungen allein gegen das SARS-CoV2-Virus haben niedergelassene Ärzte seit Beginn der Impfkampagne im April 2021 verabreicht – mehr als Impfzentren und Betriebe zusammen, so das Ergebnis einer Zählung des Zentralinstituts für die vertragsärztliche Versorgung. Eine besondere Herausforderung beim Impfen stellen immunsupprimierte Patienten dar, wie eine Diskussionsrunde beim 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden am Samstag verdeutlichte. Eingeladen hatte das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline (GSK). Die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Standardimpfungen gegen Influenza, Pneumokokken, Herpes zoster, Pertussis oder COVID bildeten für die Patienten einen „Schutzzaun“, sagte Professor Clara Lehmann, Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie und Reisemedizin und Leiterin der infektiologischen Ambulanz an der Kölner Uniklinik. „Spannungsfeld“ auflösen Der Bedarf an solchen Zäunen wachse stetig, stellten Lehmann und ihre Mitdiskutanten fest. Schon heute litten ein Viertel der Frauen und zwei Drittel der Männer ab 65 Jahren unter mindestens einer chronischen Erkrankung – nicht wenige müssten immunsuppressiv oder immunmodulatorisch behandelt werden. Während die Corona-Impfquoten bei den Ü60-Jährigen hoch seien – Statistiken weisen derzeit rund 90 Prozent Zweifachgeimpfter in der Altersklasse aus – sehe es bei den anderen Impfungen eher mager aus. Dr. Markus Frühwein, Facharzt für Allgemeinmedizin in München, sprach gar von „katastrophalen“ Daten. Bei Pneumokokken gingen Erhebungen von fünf Prozent Geimpften aus. Das werde von Hausärzten nicht immer so wahrgenommen. Die Differenz zwischen den Patienten, die tatsächlich geimpft seien, und denen, „von denen wir glauben, dass wir sie geimpft haben“, sei jedenfalls groß. „Gut, aber bei Weitem nicht so gut wie sie sein könnten“, stufte Dr. Mirko Steinmüller, hausärztlicher Internist und Rheumatologe aus Ehringshausen, die Impfquoten bei Influenza oder Herpes zoster ein. Um bessere Raten zu erzielen, sei auch das „Spannungsfeld“ aufzulösen, wer eigentlich impfen solle: Haus- oder Facharzt? Grundsätzlich müsse Impfen „integraler Bestandteil“ in der Betreuung von Patienten mit Immuntherapie sein. Dafür brauche es klare Regeln. „Mit gleicher Stimme sprechen“ „Aus meiner Sicht ist der Arzt, der für die Therapie verantwortlich ist, auch beim Impfschutz in der Pflicht. Das kann natürlich in Abstimmung erfolgen“, beantwortete Hausarzt Frühwein die Frage. Laut Infektionsschutzgesetz habe der Arzt, der für die Indikation verantwortlich ist, die Pflicht zur Aufklärung. „Ich glaube, vielen meiner Kolleginnen und Kollegen ist nicht klar, dass diese Aufklärungspflicht besteht.“ „Grundsätzlich“ sei Impfen Aufgabe der Hausärzte, unterstrich Professor Mathias Mäurer, Chefarzt der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation am Klinikum Würzburg Mitte. „Ich glaube aber, dass dies angesichts der immer komplexer werdenden Therapien nicht mehr haltbar ist.“ Nötig sei ein Mehr an Zusammenarbeit und Aufklärung. Am Ende sei entscheidend, dass sich die Patienten für die Impfungen entschieden. Krankenhaus-, Haus- und Facharzt müssten hier „mit gleicher Stimme“ sprechen, so Mäurer. Professor Gerlinde Egerer, Oberärztin für Hämatologie am Universitätsklinikum Heidelberg, mahnte, Ärzte bei der Aufgabe des Impfens nicht allein zu lassen. „Es muss Leitlinien geben, die die entsprechenden nötigen Impfungen klar empfehlen.“ Digitalausweis als „Game-Changer“ Als Problem stuften alle Experten das Thema Kommunikation ein. Dass Patienten aus dem Krankenhaus mit einem Papier entlassen würden, auf dem die Impfungen in der ambulanten Versorgung anempfohlen würden, sei ziemlich „Old School“, gestand Lehmann ein. Das Problem mangelnder Absprache sei „sehr groß“, stimmte Steinmüller zu. Um es zu beheben, seien Online-Konsile denkbar. In seinem Umfeld befänden sich solche Plattformen derzeit im Aufbau. Frühwein betonte, eine funktionierende Telematik-Infrastruktur (TI) brauche wohl noch „einige Zeit“. Momentan könnten Ärzte „nicht einmal Patientenkarten einlesen, ohne dass diese unsere Lesegeräte lahmlegen“. Dabei ließen sich die für immunsupprimierte Patienten nötigen Informationen „sehr schön standardisiert“ austauschen. Der „Game-Changer“ werde daher der digitale Impfausweis sein, aus dem sich einfach ablesen lasse, was beim Patienten zu tun sei. Auch die Zahl nerviger Rückfragen beim Facharzt lasse sich so deutlich senken. Alle Beiträge vom DGIM-Kongress finden Sie im DGIM-Kongressdossier 2022. Quelle: Ärzte Zeitung

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