Diabetes: So funktioniert die Einteilung in fünf Subtypen

Acht bis zehn Millionen Menschen mit Diabetes gibt es in Deutschland. Und die sind nicht alle gleich: Manche entwickeln rasch Komplikationen, andere gar nicht. Skandinavische Kollegen empfehlen eine Subtypisierung auf Basis von sechs klinischen Parametern. „Im Moment wissen wir nicht genau, welcher Patient mit Diabetes sich wie entwickelt und warum“, bringt es Professor Martin Heni von der Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm auf den Punkt. In Zukunft könnte sich das ändern. Zumindest arbeitet die diabetologische Forschung intensiv daran, über die bisherige Einteilung in Typ-1- und Typ-2-Diabetes hinaus Subtypen des (Typ-2-)Diabetes zu definieren, die dann unterschiedlich behandelt werden könnten. Die Fragen lauten: Was sind das genau für Subtypen? Und wie könnte die Subtypisierung Eingang in die Versorgung finden? Die neue Diabetes-Einteilung aus Skandinavien Ein im 21. Jahrhundert naheliegender Gedanke ist die „Subtypisierung mit roher technischer Gewalt“. Das läuft in der Forschung unter den Stichworten „genomics“ und „metabolomics“. Diese Forschung könne Ideen für neue Pathomechanismen generieren, so Heni bei der DGIM-Tagung in Wiesbaden. Als Tool für die Patientenstratifizierung seien „omics“-Ansätze aber ungeeignet: „Das wird uns nie gelingen bei zehn Millionen Patienten.“ Für deutlich realitätsnäher hält Martin Heni einen Vorschlag aus Schweden und Finnland, der in der Diabetes-Community für Aufsehen sorgt, nämlich eine Clusterung anhand von sechs einfach zu erhebenden klinischen Parametern. Die entsprechende Veröffentlichung (Lancet Diabetes Endocrinol 2018; online 18. April) wurde mittlerweile über 1.200 Mal zitiert. Die sechs Variablen sind der BMI, der HbA1c, das Alter bei Diagnose, die Glutamatdecarboxylase-(GAD)-Antikörper sowie die beiden aus Nüchtern Blutzucker und Nüchtern-C-Peptid berechneten Indizes HOMA2-B für die Betazellfunktion und HOMA2-IR für die Insulinresistenz. Typ-2-Diabetes: Aus eins mach vier Diese Parameter wurden bei knapp 9.000 Patienten mit neudiagnostiziertem Diabetes aus der schwedischen Scania-Kohorte erhoben. Die daraus abgeleitete Clusterung wurde danach in drei davon unabhängigen Kohorten repliziert. Am Ende gab es fünf Cluster unterschiedlicher Größe, denen sich Patienten mit neuem Diabetes relativ sicher zuordnen ließen: Cluster 1: Im Cluster 1 („SAID“-Cluster; sieben Prozent) sind die Patienten mit Autoantikörpern: „Das sind die Patienten mit Typ-1-Diabetes oder mit spätem Autoimmundiabetes (LADA)“, erklärt Heni. Dass die ein eigenes Cluster bilden würden, war nicht überraschend. SAID steht für „severe autoimmune diabetes“. Cluster 2: Der Cluster „SIDD“ („severe insulin-deficient diabetes“) mit einem Anteil von 17 Prozent, umfasst Patienten mit schwerem Insulinmangel: „Diese Patienten haben keine Autoantikörper aber trotzdem eine genauso schlechte Prognose wie beim Typ-1-Diabetes. Das ist ein echter Insulinmangeldiabetes“, sagt Heni. Cluster 3: Der dritte Cluster „SIRD“ („severe insulin-resistant diabetes“) mit rund 15 Prozent bilden Patienten mit starker Insulinresistenz. Das sind die Metaboliker mit Fettleber und Übergewicht. Cluster 4: Im vierten Cluster „MOD“ sind Patienten mit „mild obesity-related diabetes“, also mäßig übergewichtige Menschen ohne ausgeprägte Insulinresistenz. Sie machen 22 Prozent der Patienten aus. Cluster 5: Cluster 5 schließlich, „MARD“ („mild age-related diabetes“) genannt, versammelt 39 Prozent der Patienten. Es sind jene, die erst im fortgeschrittenen Alter diagnostiziert werden. Je nach Cluster sind die Verläufe unterschiedlich Mittlerweile wurden diese Cluster in 22 Kohorten repliziert. Ist das auch klinisch nützlich? Vielfach überprüft wurde seit Erstveröffentlichung der Zusammenhang zwischen Cluster und Komplikationen. Hier zeigte sich, dass die insulinresistenten SIRD-Patienten sehr schnell eine Nephropathie und auch häufig eine KHK entwickeln. „Bei diesen Patienten sollten wir auf die Nieren besonders gut aufpassen, was wir im Moment noch nicht tun“, meint Martin Heni. Bei der Retinopathie waren die Unterschiede dagegen nicht sehr groß. Etwas häufiger betroffen ist Cluster 2, also die Patienten mit Insulinmangel. Im Cluster 2 sind auch die Patienten mit hohem Risiko für eine Polyneuropathie. Das konnte im Rahmen einer Kohorte des Deutschen Diabetes Zentrums (DDZ) in Düsseldorf gezeigt werden (Lancet Diabetes Endocrinol 2019; online 22. Juli). Was die Sterblichkeit angeht, schnitten in der Ludwigshafener Hochrisiko-Kohorte LURIC der Insulinmangel-Cluster 2 und der Insulinresistenz-Cluster 3 am schlechtesten ab, außerdem noch der vielleicht nur scheinbar „milde“, altersassoziierte Cluster 5 (Cardiovasc Diabetol 2023; online 17. August). Ein eher geringes Risiko zeigen dagegen die MOD Patienten im Cluster 4, also die mit milder Adipositas und Diabetes. „Es sind prospektive Studien notwendig“ Lassen sich aus diesen Unterschieden therapeutische bzw. (sekundär)präventive Strategien ableiten, die sich je nach Cluster unterscheiden? Denkbar ist das. „Die MOD-Patienten sind eventuell die, die wir eher in Ruhe lassen können“, sagt Heni. In Gruppe 3, also jenen mit besonders hohem renalen und kardialen Risiko, könnte das Screening intensiviert werden. Und in Gruppe 2 wäre zu diskutieren, inwieweit diese „Typ-1-ähnlichen“ Patienten Kandidaten für eine sehr frühe Insulintherapie sein könnten. Das alles ist bisher hypothetisch. Heni: „Es sind prospektive Studien notwendig, um diese Konzepte in die Praxis zu übersetzen.“ Das „Einclustern“ der eigenen Patienten zumindest ist simpel: Auf diabetescalculator.ddz.de haben die Düsseldorfer ein Tool online gestellt, das nach Eingabe von Alter bei Diagnose, Autoantikörper-Titer, BMI, Plasmaglukose, C-Peptid, HbA1c und Geschlecht das jeweilige Cluster ausspuckt. Empfehlung der Redaktion Fortbildung zu Prävention, Therapie und Folgeerkrankungen DIAD – Die Initiative gegen Diabetes und Adipositas von Springer Medizin Live-Webinare und aktuelle Fortbildungsartikel sind das Herzstück von DIAD – der Initiative gegen Typ-2-Diabetes und Adipositas von Springer Medizin, gemeinsam mit Gesundheitspartnern. Die interprofessionelle Zusammenarbeit steht dabei im Fokus. Wir halten Sie zu Prävention, neuen Therapien und optimierter Patientenversorgung informiert! Auch die Diabetes-Prävention personalisieren? Und wie sieht es eine Stufe früher aus, beim Prädiabetes? Darauf ging Professor Robert Wagner vom DDZ ein. Eine Clusterung auf Basis von Gensequenzierung ist auch hier nicht die Lösung. Der NIH-Direktor Professor Francis Collins hatte 2006 geschätzt, dass es beim Typ-2-Diabetes zwölf Diabetes-relevante Gene geben werde und dass diese bis 2008 alle entdeckt sein würden. Heute sind es über 300 Genvarianten an über 200 Gen-Loci, und die erklären keine 20 Prozent der beobachteten Varianz beim Typ-2-Diabetes. Auch beim Prädiabetes stehen die Zeichen daher eher auf klinische Clusterung – mit dem Ziel, irgendwann individualisierte Präventionsempfehlungen geben zu können. In ähnlicher Weise, wie es die Skandinavier für den Diabetes getan haben, haben die Düsseldorfer kürzlich sechs pathophysiologiebasierte Phänotypen von Individuen mit erhöhtem Diabetes-Risiko beschrieben (Nat Med 2021; online 4. Januar). Sie unterscheiden drei Niedrigrisiko-Cluster – Menschen mit leichtem Übergewicht (Cluster 1), sehr insulinsensitive Menschen (Cluster 2) und metabolisch gesunde Menschen mit Adipositas (Cluster 4) – von drei Hochrisiko-Clustern – Menschen mit Insulinsekretionsstörung und viel viszeralem Fett (Cluster 3), Menschen mit Insulinsekretionsstörung und Insulinresistenz (Cluster 5) und Menschen mit Insulinresistenz und „lang anhaltendem Prädiabetes“ (Cluster 6). Tut es nicht auch die ärztliche Intuition? Bevor auf Basis dieser Strata individualisierte Präventionsempfehlungen gegeben werden können, sind auch hier prospektive Studien nötig, die es bisher nicht gibt. Was die Düsseldorfer gemacht haben, ist eine retrospektive Analyse der sechs Cluster im Rahmen der randomisierten Prediabetes Lifestyle Intervention Study (PLIS) (Diabetes 2022; online 16. Dezember). Daraus, so Wagner, ließen sich zumindest Hypothesen über unterschiedliche Pathomechanismen generieren. So könnte im Cluster 5 das Leberfett eine entscheidende Rolle spielen – entsprechend interessant wäre eine Reduktion der Fettleber als Präventionsansatz. In Cluster 6 hingegen könnte die Hyperinsulinämie das Kernproblem sein – was ganze andere Strategien erfordern würde. Aber ist die ganze Stratifizierung überhaupt nötig? Tut ärztliche Intuition nicht letztlich dasselbe? Wagner hat Zweifel. So zeigt die erwähnte skandinavische Studie, dass Patienten im Insulinmangel-Cluster 2 keineswegs die waren, denen intuitiv besonders früh Insulin gegeben wurde: „Wir erkennen das nicht, wenn wir nicht stringent mit objektivierbaren Methoden die Risikostratifizierung vornehmen“. Quelle: Ärzte Zeitung

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