Wandel in die Lysetherapie

Tenecteplase wird sich auch in Deutschland in der Schlaganfall-Lyse zunehmend gegen Alteplase durchsetzen. Davon sind Ärzte auf dem DGN-Kongress überzeugt. Für das neuere Lysemittel sprechen die einfache Bolusgabe sowie die tendenziell bessere Wirksamkeit. In der Lysetherapie bei Schlaganfall steht ein Wandel an: Immer mehr Neurologinnen und Neurologen plädieren für einen Wechsel vom altbewährten Lysemittel Alteplase (rtPA) zu Tenecteplase (TNK), das seit rund einem Jahr in der EU auch zur Schlaganfallakuttherapie zugelassen ist. Nachdem eine Metaanalyse von elf kontrollierten Vergleichsstudien dem neueren Lysemittel eine etwas bessere Wirksamkeit im klassischen Lysezeitfenster von 4,5 Stunden attestiert hatte, schrieb die Neurologin Dr. Anna Ranta von der Universität in Wellington in Neuseeland vor kurzem in einem Editorial: „Die Zeit ist reif. I.v.-Alteplase, trittst Du nun bitte ab?“ Es gebe mittlerweile mehr Evidenz zur Nichtunterlegenheit von TNK gegenüber rtPA als zur Überlegenheit von rtPA über Placebo, so Ranta (siehe Bericht). Auf dem aktuellen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Berlin schlug Professor Martin Köhrmann von der Klinik für Neurologie am Uniklinikum Essen eine ähnliche Tonart an. „Die Daten zu TNK sind so solide, dass man umsteigen sollte.“ In einigen Kliniken sei möglicherweise der Preis noch ein Hemmnis – für eine Standarddosis mit 70 mg rtPA zahle seine Klinikapotheke 771 Euro, für eine Standarddosis TNK (25 mg) hingegen 1055 Euro. Köhrmann geht jedoch davon aus, dass sich hier in nächster Zeit noch etwas tun werde. So liege der Preis für die gegen Herzinfarkt verwendete TNK-Formulierung nur rund halb so hoch. Vereinfachte Behandlung Klar für TNK spricht nach Auffassung des Neurologen, dass man sich eine einstündige Infusion wie unter rtPA spart. Aufgrund der längeren Halbwertszeit genügt eine Bolusgabe, und die lässt sich sehr einfach in 10-kg-Schritten ermitteln: Für jemanden mit 60 bis 70 kg Körpergewicht werden beispielsweise 3,5 ml (17,5 mg TNK) benötigt, für eine Person mit einem Gewicht von 70 bis 80 kg sind es 4 ml (20 mg TNK). Eine simple Bolusgabe mit einfachem Dosierschema sei vor allem für Kliniken relevant, die Schlaganfallkranke unter Lyse in ein Thrombektomiezentrum überführen (Drip-and-Ship), so Köhrmann. Ein weiterer Vorteil: Mit derselben Menge TNK seien etwa viermal so viele Behandlungen wie mit rtPA möglich, daher trage TNK auch zur Entspannung der Lieferengpässe von Thrombolytika bei. Der Siegeszug von TNK war und ist jedoch kein Selbstläufer. Die ersten Vergleichsstudien hatten mit etlichen Problemen zu kämpfen. So ließ das Interesse an der Lyse mit der Einführung der Thrombektomie etwas nach, auch hatten einige Studien wie NOR-TEST Probleme bei der Aufnahme geeigneter Patientinnen und Patienten: In dieser Studie hatten rund 20% keinen Schlaganfall und viele nur einen leichten, sodass sich erst gar keine großen Unterschiede zwischen den beiden Lysemitteln offenbaren konnten, erläuterte Köhrmann. In einigen Studien setzte man zudem auf Surrogatparameter statt auf das funktionelle Ergebnis. Auch war die optimale Dosis unbekannt: Sollten es 0,4 mg/kg oder doch nur 0,25 mg/kg sein? Klarheit brachte hier erst die norwegische Studie NOR-TEST2: Part A mit einer Dosis von 0,4 mg/kg wurde vorzeitig abgebrochen, da es mit der hohen TNK-Dosis dreifach häufiger zu intrakraniellen Blutungen kam als unter rtPA, zugleich war der Anteil der Schlaganfallkranken mit einem guten funktionellen Ergebnis unter TNK deutlich geringer. Für den Neurologen ein desaströses Ergebnis. Tendenziell besseres Outcome bei ähnlicher Blutungsrate Die Folgestudien mit der niedrigeren Dosis kamen dann jedoch zu ganz anderen Resultaten. Für wegweisend hält Köhrmann die Ergebnisse der Studie AcT in Kanada, die letztlich auch für die Zulassung von TNK zur Lyse bei Schlaganfall in Europa relevant gewesen seien. Hier konnte die Nichtunterlegenheit von TNK gegenüber rtPA klar gezeigt werden, tendenziell führte TNK beim mRS Wert (modified Rankin-Score) sogar zu besseren Ergebnissen – bei einer ähnlichen Blutungsrate wie unter rtPA. Es folgten Vergleichsstudien wie TASTE, TRACE, TRACE-2, ATTEST und ATTEST-2, die letztlich ganz ähnliche Resultate lieferten: tendenziell besseres Outcome bei ähnlicher Blutungsrate, zumindest im klassischen Lysezeitfenster von 4,5 Stunden. In Metaanalysen ergab sich daraus sogar ein signifikanter Vorteil für TNK beim funktionellen Ergebnis. In anderen Settings, etwa bei längeren Lysezeitfenstern, habe TNK ähnlich abgeschnitten wie rtPA – die neuere Substanz könne hier nicht mehr, aber auch nicht weniger als die alte, so Köhrmann. Der Neurologe verwies zudem auf Real-World-Daten aus Neuseeland: Dort wurde die Lyse bei Schlaganfall ab Februar 2020 komplett auf TNK umgestellt. Ein Jahr später mussten die Kliniken wegen Lieferengpässen wieder auf rtPA wechseln, um dann ein Jahr später erneut TNK zu verwenden. Die Analyse eines verpflichtenden Qualitätsregisters ergab in den TNK-Phasen eher weniger Blutungskomplikationen und ein signifikant besseres funktionelles Ergebnis drei Monate nach dem Schlaganfall – verglichen mit rtPA-Behandlungsphasen. Dies wird zum Teil auch mit beschleunigten Abläufen in den Kliniken erklärt. Das Fazit des Neurologen Köhrmann: TNK sei kein Durchbruch in der Schlaganfalltherapie, rtPA und TNK seien ähnlich wirksam und verträglich, mit leichten Vorteilen für TNK, Letztere sei jedoch wesentlich einfacher anzuwenden. Einen Nachtteil hat TNK jedoch: Ist die Bolusdosis einmal verabreicht, lässt sich die Lyse nicht mehr stoppen, wohingegen man die eine Stunde dauernde rtPA-Infusion jederzeit abbrechen kann, sollten während der Lyse plötzlich stärkere Blutungen auftreten. Ein solcher Abbruch der Lyse, so Köhrmann, sei seiner Erfahrung nach aber extrem selten nötig. Alle Beiträge vom Kongress der deutschen Gesellschaft für Neurologie finden Sie im DGN-Kongressdossier 2024. Quelle: 97. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Berlin, 6. bis 9. November 2024. Symposium Schlaganfall. Martin Köhrmann: Tenecteplase und Alteplase im Vergleich.

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