Weniger Verwirrung durch neue Arzneinomenklatur

Indikationsbezogene Bezeichnungen wie „Antidepressivum“ verwirren oft die Patienten. Besser wäre eine Nomenklatur basierend auf Wirkmechanismen wie SSRI. Ein neues Handbuch hilft dabei. Erhalten Angst- und Schmerzpatienten ein Antidepressivum, können sie das oft ebenso wenig nachvollziehen wie ein Depressiver, der Antipsychotika nehmen soll. „Für die Patienten ist das oft verwirrend, die fragen sich: Weshalb soll ich ein Antidepressivum nehmen? Ich hab doch keine Depressionen“, erläuterte Professor Hans-Jürgen Möller von der LMU München. Es wäre daher auch und gerade in der Psychiatrie besser, die Wirkstoffe nach den relevanten und dominierenden Wirkmechanismen zu benennen – so, wie das in der Inneren Medizin oder anderen Fachbereichen längst der Fall ist. Dort werde von ACE-Hemmern, Betablockern und Kalziumantagonisten gesprochen und nicht einfach von Blutdrucksenkern, sagte Möller auf dem Psychiatriekongress in Berlin. Empfehlung der Redaktion Berichte aus Berlin DGPPN 2018 – Das Dossier zum Psychiatrie-Kongress Eine neue Arzneinomenklatur soll für weniger Verwirrung sorgen. Smartphone-Apps könnten eine beginnende Depression oder ein hohes Suizidrisiko erkennen. Und Ketamin bietet womöglich schwer Depressiven neue Hoffnung. Berichte zu diesen und anderen Themen vom DGPPN-Kongress 2018 lesen Sie in unserem Kongress-Dossier. Um weg von den indikationsbezogenen WHO-Bezeichnungen zu kommen, haben sich fünf internationale Fachgesellschaften zusammengetan, um eine „Neuroscience-based Nomenclature“ (NbN) zu erstellen. Inzwischen ist die zweite Auflage erschienen, diese ist auch kostenlos unter der Bezeichnung „NbN2“ als App für IOS und Android verfügbar. Mit der App können Ärzte etwa gezielt nach Arzneien suchen, die gegen Depressionen helfen und dabei auch Schmerzen lindern oder eine noradrenerge Wirkkomponente haben. 130 psychotrope Substanzen Den Kern der Nomenklatur bilden eine Beschreibung der bekannten Pharmakologie und des vorherrschenden therapeutischen Wirkmechanismus. Eine Substanz wie Fluoxetin wird entsprechend als „Serotoninwiederaufnahmehemmer“ bezeichnet, Haloperidol als „Dopamin-D2-Rezeptor-Antagonist“. Komplizierter wird es bei Substanzen mit multimodalem Wirkmechanismus. So ließe sich das Trizyklikum Imipramin noch als „Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer“ titulieren, etwas schwieriger dürfte es sein, eine griffige Bezeichnung für Vortioxetin zu finden: Als Wirkmechanismus wird sowohl die Serotoninwiederaufnahmehemmung am 5-HT3- und 5-HT7-Rezeptor angegeben als auch der Antagonismus am 5-HT1D- sowie der partielle Agonismus am 5-HT1B-Rezeptor. Die NbN-Autoren machen jedoch keine konkreten Namensvorschläge, sie beschreiben primär die pharmakologischen Zielstrukturen und die Wirkweise. Ergänzt wird die Darstellung um vier weitere Dimensionen: zugelassene Indikationen, nachgewiesene Wirksamkeit („verbessert Depressions- und Angstsymptome“), relevante Nebenwirkungen sowie neurobiologische Effekte („erhöht die Ausschüttung von Serotonin und Acetylcholin im präfrontalen Kortex“). Hinzu kommen Anmerkungen der Fachgesellschaften wie „seltener sexuelle Dysfunktion in Dosierungen unter 15 mg/d“. Durch die neue Nomenklatur würden fragwürdige Empfehlungen obsolet, etwa „erst mit einem Antidepressivum behandeln und bei Nichtansprechen mit einem Antipsychotikum kombinieren“, so Möller. Präziser sei hier die Bezeichnungen SRI plus Dopaminantagonist. „Die Komedikation wird dadurch verständlicher, das könnte auch die Adhärenz erhöhen“, erläuterte der Psychiater. Zudem lasse sich eine „irrationale Polypharmazie“ mit mehreren ähnlich wirkenden Arzneien besser vermeiden. Schließlich werde auf eine Pseudospezifität verzichtet, Antidepressiva hätten eben keine spezifisch antidepressive Wirkung. Auf der andere Seite sei oft nicht klar, welches die wirklich relevanten Wirkmechanismen sind. Insofern sei die NbN „work in progress“ und müsse regelmäßig überholt werden. Derzeit werden 130 psychotrope Substanzen in der NbN beschrieben. Weitere Informationen: http://www.nbn2.org basierend auf: Kongress der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 28.11.-1.12.2018. Symposium 044: Brennpunkte der Psychopharmakologie.

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