Psyche und Cannabis: Viele Hinweise, wenig stichhaltige Beweise

Viele Patienten schwören auf die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei diversen psychiatrischen Störungen, wie Depressionen, ADHS oder PTBS. Doch die Datenlage ist noch eher dünn, qualitativ hochwertige, große randomisiert-kontrollierte Studien sind dringend nötig. Mittlerweile ist Cannabis seit mehr als drei Jahren als Medizinprodukt verschreibungsfähig und wird für viele Indikationen beforscht. Einen Überblick über den derzeitigen Kenntnisstand bei psychiatrischen Erkrankungen gab Professor Kirsten Müller-Vahl, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover, auf dem diesjährigen DGPPN-Kongress: „Bei zahlreichen psychiatrischen Erkrankungen gibt es Hinweise auf die Wirkung von Cannabinoiden, aber noch keine Beweise“, betonte sie. So habe ein systematischer Review mit Metaanalyse aus dem Jahr 2019 die entsprechende Evidenzlage untersucht [1]. Darin konnten 83 Studien mit insgesamt 3.067 Patienten mit Depressionen, Angststörungen, dem Tourette-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) oder Psychose ausgewertet werden. Doch nach Analyse der Daten, kamen die Forscher zu dem Schluss, dass es bislang nur wenig Evidenz dafür gibt, dass Cannabinoide hier zur Symptomlinderung beitragen können. Ein Problem war, dass für einige psychiatrische Erkrankungen nur sehr wenige geeignete Studien vorlagen. Ein weiterer Schwachpunkt sei auch, dass bei den immerhin 42 Studien (darunter 23 randomisiert-kontrolliert) zu Cannabinoiden bei Depressionen die Verbesserung der Depression selber kein primärer Endpunkt gewesen sei, sondern nur neben anderen Punkten wie der Schmerzlinderung mit erfasst wurden, wies Müller-Vahl hin. Cannabinoide werden gerne in Eigenregie genommen Zum möglichen Wirkmechanismus von Cannabinoiden bei psychiatrischen Erkrankungen gibt es einige Theorien und Studien. So sei das Endocannabinoidsystem ein wesentlicher Stressregulator und eines der wichtigsten Neuromodulationssysteme im Gehirn, erklärte Müller-Vahl. Denkbar sei daher, dass die Interaktionen von Cannabinoiden mit dem Endocannabinoidsystem auch andere Neurotransmittersysteme beeinflussen könnte. Zudem hätten einige Studien Verbindungen zwischen psychiatrischen Erkrankungen und Veränderungen im Endocannabinoidsystem gezeigt. ADHS beispielsweise sei assoziiert mit Polymorphismen im Gen für die Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH), die unter anderem für den Endocannabinoidabbau zuständig ist [2]. Und in einer anderen Studie wurde nachgewiesen, dass im Gehirn von PTBS-Patienten mehr Cannabinoid-Rezeptor 1 exprimiert wird als in dem gesunder Kontrollpersonen [3]. Empfehlung der Redaktion Posttraumatische Belastungsstörung – Themenseite Was es zur Therapie und Diagnostik der Posttraumatischen Belastungsstörung zu wissen gilt – CME-Arbeiten, Übersichtsbeiträge, Kasuistiken, Nachrichten und mehr – finden Sie auf der Themenseite. Interessant nannte Müller-Vahl die Ergebnisse einiger populationsbasierter Studien, in denen Befragte angaben, Cannabis zur Behandlung ihrer psychiatrischen Erkrankungen zu konsumieren – beispielsweise bei PTBS, Depression oder ADHS. Die Patienten gaben teilweise eine Reduktion ihrer Symptome um 50 % durch Cannabis an. „Das sehen wir auch im Alltag“, erklärte Müller-Vahl, „dass Patienten Cannabis bei psychischen Problemen nehmen.“ Jedoch erhöhten die Studienteilnehmer die Cannabis-Dosen im Laufe der Zeit, was für eine Tolerierungseffekt spricht. Bis daher in großen randomisiert-kontrollierten Studien nachgewiesen werden kann, wo, wie und bei wem Cannabinoide wirksam sein könnten, rät Müller-Vahl zu gründlich abgewogenen Einzelfallentscheidungen und vor allem dazu „die Patienten zu begleiten, wenn sie Cannabis-basierte Therapien nutzen wollen, damit sie die Substanzen nicht illegal beziehen müssen, sondern kontrolliert und unter Beobachtung.“ Empfehlung der Redaktion Berichte vom virtuellen DGPPN-Kongress Das Dossier zum Psychiatrie-Kongress In unserem Dossier zum DGPPN-Kongress erwarten Sie u.a. Beiträge zu der Evidenz von Cannabinoiden bei psychiatrischen Erkrankungen. Und sie lesen von ersten Erfahrungen mit Ketamin bei therapieresistenten Depressionen oder wie Kognitionstraining bei affektiven Störungen helfen kann. basierend auf: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), virtuell, 26.11.– 28.11.2020. Session S-012 "Cannabis als Medizin: klinisch-praktische Anwendung in der Psychiatrie"

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