Der Ekel der Rassisten

Abscheu und Ekel zu erregen, gehört zu den effektivsten Methoden, um andere Menschen auszugrenzen und zu erniedrigen. Für die Soziologin Eva Illouz ist Ekel ein Kernelement des Rassismus. Ekel, so die Professorin Eva Illouz, ist eine besondere Emotion. Sie entsteht reflexartig auf Dreck, Fäkalien, Verwesung oder krankheitsübertragende Tiere und soll uns eigentlich vor Keimen und Krankheiten schützen. Doch Ekel lässt sich auch auf Personen und Gruppen übertragen und liegt damit im Grenzbereich zwischen Natur und Kultur. Ekel hält uns auf Abstand, sorgt für Distanz – nicht nur vor biologischen Gefahren, sondern auch vor als gefährlich erachteten Menschen. Spielen Tyrannen mit der Angst, so ist Ekel die bevorzugt provozierte Emotion von Rassisten, erläuterte die an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrende Soziologin auf dem virtuellen DGPPN-Kongress. Für ihre These führte Illouz einige Beispiele ins Feld, etwa das Zeugnis eines Users auf der US-Social-Media-Plattform „Reddit“, der sich über seine schwarzen Mitbürger ausließ: „Ich möchte kein Rassist sein“, begann er, „aber die meisten Schwarzen riechen so schlecht. Wenn man schon öffentliche Verkehrsmittel benutzt, sollte man doch wenigstens darauf achten, dass der eigene Körpergeruch nicht den Sitznachbarn belästigt. Die sollten zumindest ausreichend Abstand halten. Und sie sprechen so laut, als ob sie hier die einzigen Leute wären.“ Der User nannte noch etliche andere Punkte, die ihn stören, und fasste seine Abneigung schließlich in einem Satz zusammen: „Eigentlich ekelt mich alles an, was die tun.“ Ekel spricht reflexartig die Sinne an Für die Folgen einer Ekel-Propaganda gibt es genügend Beispiele: Vor und während des Genozids in Ruanda wurden die Tutsi in staatlichen Radiosendern als „Kakerlaken“, „Gewürm“ und „Ungeziefer“ bezeichnet, Hitler verglich die Juden mit „Maden in einem verwesenden Körper“ – eine mit Bedacht gewählte Metapher, so Illouz: Die Made ist klein, schleimig und trotz ihrer geringen Größe invasiv. Schleim ist ekelhaft zu berühren, verwesende Körper sind furchtbar anzuschauen und verströmen einen unerträglichen Geruch. „Um Ablehnung und Abscheu vor den Juden zu erzeugen, sprach Hitler damit also drei Sinne an: Riechen, Fühlen, Sehen.“ Auf derselben Klaviatur spielte ein Mann, der während der ersten Corona-Welle in New York ein Transparent trug, das eine Ratte mit Davidstern zeigte, darunter die Aufschrift „Die wahre Pest“. Auch hier, so Illouz, soll die Kombination mit Ratten und Krankheit Ekel erzeugen. Ein Mechanismus, der häufig gut funktioniert. Die Soziologin bezog sich auf ein simples Experiment mit Geruchsproben in zwei Gefäßen: Zur einen wurde den Probanden zuvor gesagt, es handle sich um Käse. Die meisten fanden den Geruch angenehm. Bei der zweiten wurde gesagt, diese stamme von Fäkalien, fast alle waren angewidert. In beiden Gefäßen befand sich jedoch die gleiche Probe. „Ein Wort genügt also, um eine bestimmte sensorische Erfahrung als angenehm oder unangenehm zu empfinden“, so Illouz. Ekel und Abscheu lassen sich reflexartig auch mit Wörtern, Metaphern und damit verbundenen Bildern und Vorstellungen erzeugen – und so auf Menschen übertragen, die man mit diesen Vorstellungen koppelt – wie in dem Experiment etwas schlecht riecht, nachdem man Fäkalien erwartet. Doch weshalb funktioniert der Trick so gut? Illouz führt religiöse und kulturelle Gründe ins Feld: Jede Kultur hat Elemente, welche sie als rein und unrein bezeichnet: Das Schwein, das im Dreck wühlt, darf bei Juden und Moslems nicht gegessen werden. Und auch nichtreligiöse Menschen haben Hemmungen, einen Schuh auf einen Esstisch zu stellen, selbst wenn der Schuh unbenutzt und steril ist: Denn dadurch wird eine etablierte Ordnung gestört, die Trennung zwischen reinen und unreinen Dingen. Dies, so Illouz, ist ein Kernelement von Religionen und Weltanschauungen: Sie liefern nicht nur ein System, das Sakrales von Profanem trennt, sondern auch Reines von Unreinem, und Ekel forciert diese Differenzierung. Ekel stabilisiert Hierarchien Die Klassifizierung in rein und unrein wird wiederum zur Etablierung von gesellschaftlichen Hierarchien verwandt. Das gelingt auch deshalb so gut, weil Unreines ansteckend ist. „Denken sie an einen Teller mit Spinat. In einer Ecke liegen ein paar verfaulte Blätter. Auch wenn der Rest ganz gut aussieht, wird diese kleine Ecke das ganze Gericht verderben. Sie werden nicht nur die verdorbene Ecke wegschmeißen, sondern alles auf dem Teller, und sogar den ganzen restlichen Spinat im Topf. Vielleicht können Sie mehrere Tage keinen Spinat mehr essen, weil sie ihn mit Verdorbenen assoziieren.“ Entsprechend ist auch die symbolische Unreinheit übertragbar. Illouz verwies auf den hebräischen Begriff „Nidda“, was zunächst Abgrenzung bedeutet, sich jedoch hauptsächlich auf die Regelungen und Rituale bei der Menstruation bezieht. Eine Frau gilt in dieser Zeit als Nidda und darf von ihrem Mann nicht berührt werden, doch auch das von ihr benutzte Bett, der Stuhl, das Geschirr ist unrein und zu meiden. Illouz spricht von „Kontaminationsketten“. Reinheit wird erst wieder durch rituelle Waschungen erlangt. Ähnliche Regelungen finden sich auch im Islam und anderen Religionen. Illouz sieht darin eine klare Benachteiligung von Frauen: Die Unreinheit von Männern, etwa nach einer nächtlichen Ejakulation, lässt sich leichter beseitigen. Besonders deutlich wird die auf Reinheit und Unreinheit basierende Hierarchie im hinduistischen Kastensystem: Oben die der Reinheit verpflichteten Brahmanen, unten die Leichenverbrenner, die Fäkalienentsorger, die Unreines berühren und dadurch selbst zu Unberührbaren werden. Aus dem physiologischen Ekel, der vor biologischen Gefahren warnt, wird ein sozialer Ekel, der Hierarchien zementiert. Erst Abscheu, dann moralische Bewertung Oder andere Gruppen ausgrenzt. Rassisten, so Illouz, nutzen Ekel nicht nur, um Distanz und Angst vor einer Vermischung zu erzeugen, sie wandeln ihn auch in eine moralische Bewertung um: Die anderen sind aufgrund ihrer Abscheu erregenden Eigenschaften minderwertig. Ekel macht es also leicht, eine Gruppe außerhalb zu stellen und als unterlegen zu betrachten. „Daher ist Ekel die bevorzugte Emotion der Rassisten“, so die Soziologin. Sie zitierte wieder aus dem Reddit-Post: Der User unterstellte Schwarzen nicht nur schlecht zu riechen und laut zu sein, sondern auch Faulheit, nichts auf die Reihe zu bekommen, im Bus nicht mal für ältere Menschen den Platz zu räumen – erst kommt der Ekel, dann die moralische Bewertung. Diese muss sich jedoch nicht an bestimmten Ethnien festmachen – der in vielen Ländern zunehmende Populismus hat auch ganz andere Gruppen im Visier: Die rechtschaffenen Kleinstädter gegen die korrupten Eliten in den Großstädten – gerade im US-Wahlkampf ein Thema. Oder satanische Eliten, die sich mit Kinderblut verjüngen – ein altes Motiv als Verschwörungstheorie neu aufgelegt. Illouz zitierte die Publizistin Hannah Arendt: „Was die Massen überzeugt sind keine Fakten, noch nicht einmal erfundene Fakten, sondern die Konsistenz der Illusion.“ Die Menschen vertrauen nicht ihren Augen oder Ohren, sondern nur ihrer Vorstellung, der Konsistenz des Systems, an dem sie teilhaben. Diese Erkenntnis, so Illouz, sei auch heute noch aktuell. Empfehlung der Redaktion Berichte vom virtuellen DGPPN-Kongress Das Dossier zum Psychiatrie-Kongress In unserem Dossier zum DGPPN-Kongress erwarten Sie u.a. Beiträge zu der Evidenz von Cannabinoiden bei psychiatrischen Erkrankungen. Und sie lesen von ersten Erfahrungen mit Ketamin bei therapieresistenten Depressionen oder wie Kognitionstraining bei affektiven Störungen helfen kann. Quelle: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), virtuell, 26.11.– 28.11.2020. Lecture L-02: "Eva Illouz: Disgust as the key emotion of racism."

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