Intensivpersonal besonders resistent gegen Pandemiestress

Das intensivmedizinische Personal in Deutschland kam psychisch relativ gut durch die erste Pandemiewelle – offenbar gerade weil Ärzte und Pflegekräfte dort sehr viel mit Coronainfizierten zu tun hatten. Wer sich seinen Ängsten stellt, kann besser damit umgehen – das mag ein Grund dafür sein, weshalb die psychische Belastung von Personen im Intensivmedizinbereich während der ersten Pandemiewelle im vergangenen Jahr deutlich geringer war als in der Allgemeinbevölkerung. Ärzte und Pflegekräfte, die mit Coronakranken zu tun hatten, wiesen deutlich weniger pandemiebezogene Ängste und eine geringere psychische Belastung auf als Kollegen aus anderen medizinischen Bereichen oder Personen aus der Allgemeinbevölkerung. Dafür sprechen mehrere Studien, die auf dem hybriden Psychiatriekongress der DGPPN in Berlin vorgestellt worden sind. Weniger Ängste als die übrige Bevölkerung So präsentierte Professor Oliver Tüscher von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Mainz eine Auswertung der COVID-Intensiv-Studie zu psychischen Belastungen von Intensivpersonal in der Pandemie. Online befragt wurden im April und Mai 2020 über 1200 intensivmedizinisch Beschäftigte zur beruflichen Situation, Kontakt zu COVID-19-Patienten, psychischen Belastungen, Stressoren sowie Risiko- und Schutzfaktoren. Die psychische Belastung beurteilte das Team um Tüscher mit den deutschen Versionen des „General Health Questionnaire-12“ (GHQ-12) sowie des „Patient Health Questionnaire-4“ (PHQ-4). Der GHQ-12 erfasst psychische Belastungen recht niederschwellig mit Fragen wie „Haben Sie das Gefühl gehabt, dauernd unter Druck zu stehen?“, der PHQ-4 zielt spezifischer auf Ängste und Depressionen. Als Grenzwert für eine erhöhte Belastung wurden Werte ab 11 bzw. ab 3 Punkte definiert. Rund ein Viertel der Teilnehmer stammte aus dem Rettungsdienst, ein Drittel bestand aus Ärzten, die übrigen Teilnehmer waren Pflegekräfte, ein Fünftel arbeitete auf einer Intensivstation. Gemeinsam war allen Teilnehmern, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit ein hohes Risiko aufwiesen, mit COVID-19-Kranken in Kontakt zu kommen. Weitere Berichte vom DGPPN 13.12.2021 | DGPPN 2021 | Kongressbericht | Nachrichten Fallbericht: Wahnhafte Störung oder psychotischer Wahn? 11.12.2021 | DGPPN 2021 | Kongressbericht | Nachrichten KVT schlägt Schematherapie bei Depressionen 10.12.2021 | DGPPN 2021 | Kongressbericht | Nachrichten Wege aus der Onlinesucht 10.12.2021 | DGPPN 2021 | Kongressbericht | Nachrichten Negative Emotionen als mentale Werkzeuge nutzen Wie sich zeigte, überschritten 47% den Grenzwert des GHQ-12 und 36% den des PHQ-4. Bei einem Drittel bis der Hälfte war also von einer deutlichen psychischen Belastung auszugehen. Die Ärzte um Tüscher verglichen ihre Ergebnisse nun mit ähnlich strukturierten Befragungen in der Allgemeinbevölkerung. Danach war die psychische Belastung des Intensivpersonals – bezogen auf GHQ-12 und PHQ-4 – in der ersten Pandemiewelle zwar höher als in der deutschen und europäischen Allgemeinbevölkerung vor der Pandemie, aber geringer als in der Allgemeinbevölkerung während der ersten Welle. Das Intensivpersonal schien mit der Bedrohung also besser klar zu kommen als die übrige Bevölkerung. Tüscher vermutet, dass der insgesamt hohe Druck im Intensivbereich die COVID-19-Gefahr relativiert haben könnte. Auf der anderen Seite dürften leere Krankenhäuser und verschobene elektive Eingriffe den Druck im Intensivbereich während der ersten Welle zunächst reduziert haben. Das hat sich bekanntermaßen mit den Folgewellen geändert – welche psychischen Auswirkungen damit verbunden sind, lässt sich noch nicht sagen. In ersten Daten von Folgebefragungen sei jedoch ein Anstieg der psychischen Belastung auch im Intensivbereich erkennbar, wenngleich nicht über das Niveau in der Allgemeinbevölkerung hinaus, so Tüscher. Eine andere Studie – der repräsentative PanMag-Survey mit über 2000 Klinikmitarbeitern aus ganz Deutschland – sieht jedoch beim Klinikpersonal insgesamt ein deutlich höheres Maß an Depressions- und Angstsymptomen als in der übrigen Bevölkerung. Die Daten wurden hier zwischen Januar und Juni 2021 erhoben und umfassen damit die weit gravierendere Winterwelle. Ein weiteres Ergebnis der COVID-Intensiv-Studie: Rund ein Siebtel der Befragten dachte über eine Krankmeldung aufgrund der Belastung nach, ein Zehntel erwog einen Berufswechsel, und solche Neigungen gingen vor allem mit einer geringen Wertschätzung bei der Arbeit, mangelnder Unterstützung durch Vorgesetzte sowie einer hohen psychischen Belastung einher. Tüscher sieht daher auch Ansatzpunkte, durch ein entsprechendes Arbeitsklima die Belastung zu senken und die Abwanderung von Intensivkräften zu bremsen. COVID-Station als Schutzfaktor Eine Arbeit von Psychiatern um Dr. Kristina Adorjan von der LMU München liefert eine zusätzliche Erklärung für die besondere psychische Resilienz des Intensivpersonals. Die Ärzte haben anhand der „Care Corona Immune Study“ und der „All Corona Care Study“ mit über 7500 medizinisch Beschäftigten der LMU ein Prognose-Tool entwickelt, mit dessen Hilfe es Mitarbeitern möglich sein soll, pandemiebezogenen Stress rechtzeitig zu erkennen und die negativen Folgen abzuwenden. In beiden Studien wurde der pandemiebezogene psychische Stress evaluiert, also etwa die Angst, sich zu infizieren. Konkret haben die Ärzte mit einem Ansatz basierend auf Maschinenlernen nach Risiko- und Schutzfaktoren in den beiden Studien geschaut. Als Schutzfaktor erwies sich ausgerechnet der häufige Kontakt mit Coronakranken: Mitarbeiter auf COVID-Stationen zeigten deutlich weniger pandemiebezogenen Stress als etwa Klinikangestellte in der Verwaltung, auch deuteten die Resultate darauf, dass sich Mitarbeiter mit häufigem beruflichem Kontakt zu Coronakranken seltener selbst infizierten als solche in anderen Bereichen. Offenbar, so die Erklärung der Experten, wissen sie, wie man sich schützt, erleben, dass die Schutzmaßnahmen funktionieren, und dieses Vertrauen beugt auch pandemiebezogenen Ängsten vor. Empfehlung der Redaktion Berichte vom hybriden DGPPN-Kongress Das Dossier zum Psychiatrie-Kongress 2021 Warum sind Wut, Neid und Eifersucht zu Unrecht verpönt? Wie ist das Intensivpersonal psychisch durch die Pandemie gekommen? Und was haben Personen, die an einer Paranoia leiden und Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, gemeinsam? In unserem Dossier finden Sie unsere Highlights vom DGPPN-Kongress. basierend auf: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 24.–27.11.2021. Symposium S-001: Psychische Gesundheit von Gesundheitspersonal in der COVID-19-Pandemie – aktuelle Studienergebnisse aus den NUM egePan- und CEOsys-Netzwerken.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Intensivpersonal besonders resistent gegen Pandemiestress

Weiterführende Themen

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Demenzkranke durch Antipsychotika vielfach gefährdet

Parkinson-Therapie im Wandel – aktuelle Leitlinie im Fokus

Weniger postpartale Depressionen nach Esketamin-Einmalgabe

Auf diese Krankheiten bei Geflüchteten sollten Sie vorbereitet sein