Wieviel Kooperation mit der Polizei darf sein?

Gewalt- und Amoktaten von psychisch Kranken sorgen immer wieder für ein erhebliches Aufsehen. Kooperationsprojekte zwischen Psychiatrie und Polizei sollen Risikopersonen rechtzeitig erkennen, sind jedoch umstritten. Beim Messerangriff im Juni 2021 in Würzburg starben durch die Hand eines Schizophreniekranken drei Menschen, fünf wurden schwer verletzt, die Amokfahrt am 7. April in Münster mit fünf Toten gilt als erweiterter Suizid, ebenso wie der Absturz des Germanwings-Flugs im März 2015. Die Liste ließe sich noch deutlich verlängern – bei vielen Amoktaten waren die Täter psychisch krank oder psychisch labil. Könnte die Psychiatrie also einen größeren Beitrag leisten, solche Taten zu verhindern, und zwar nicht nur durch eine bessere Behandlung, sondern auch durch eine Kooperation mit der Polizei? Auch über solche Fragen wurde auf dem DGPPN-Kongress in Berlin diskutiert, und die Meinungen gingen deutlich auseinander: Auf der einen Seite stehen ärztliche Fürsorge, Vertrauen und Datenschutz, auf der anderen Seite ein Sicherheitsinteresse der Gesellschaft. Schließlich gibt es Zweifel, ob sich psychisch kranke Amoktäter im Vorfeld überhaupt aufspüren lassen – generell begehen psychisch Kranke nicht häufiger Gewalttaten als die übrige Bevölkerung, und Amokläufe sind so selten, dass sehr viele potenzielle Gefährder ins Visier genommen werden müssten, um eine einzige Tat zu verhindern. Risikoanalyse beim LKA Nichtsdestotrotz gibt es Risikokonstellationen, bei denen auch Psychiater von einer Fremdgefährdung ausgehen müssen. Ob und wie sie dann die Polizei in Kenntnis setzen können oder müssen, ist landesweit sehr unterschiedlich und oft nur bei akuter Gefahr geregelt. In Nordrhein-Westfalen versucht das Projekt Periskop des Landeskriminalamts Informationen auch unterhalb der Akutschwelle zu gewinnen. Die Abkürzung steht für „Personen mit Risikopotenzial“. Risikoträchtige Personen sollen früh erkannt werden, und zwar losgelöst von politischen oder religiösen Motiven, denn für solche Gruppen gibt es bereits Projekte, erläuterte Kriminaloberrat Boris Vieten vom LKA NRW. Das Projekt adressiert damit auch, aber nicht nur psychisch kranke Risikopersonen. Nach einer Pilotphase wird es nun im Laufe von drei Jahren an sämtlichen Kreispolizeibehörden des Landes implementiert. Vor Ort sollen Beamte Netzwerkarbeit betreiben, mit psychiatrischen Kliniken, Gesundheitsämtern, Gerichten, Jugend- und Ordnungsämtern kooperieren. Besonders auffällige Personen werden dann als Prüffälle an Experten des LKA weitergegeben, dort sitzen geschulte Psychologen, die mit validierten Tools eine genauere Risikoanalyse vornehmen. Dass diese jedoch gelingt, bezweifelt Jutta Muysers, Ärztliche Direktorin und Chefärztin der Forensischen Psychiatrie 1 an der LVR-Klinik Langenfeld. „Ich habe zwei große Probleme mit diesem Projekt: Zum einen sollen Allgemeinpsychiatrien dem Gesundheitsamt psychisch Kranke mit Risikopotenzial melden. Zum anderen sehe ich die Expertise nicht beim Gesundheitsamt und auch nicht bei der Polizei“, so Muysers. Die Bedrohungsanalyse sei schwierig und aufwändig und auch von der Allgemeinpsychiatrie nicht zu leisten. Die meisten Straftaten würden zudem nicht von psychisch Kranken begangen, ein erhöhtes Risiko für Gewalttaten bestehe primär bei einer kleinen Gruppe von Betroffenen mit Schizophrenie in Kombination mit Drogenmissbrauch und antisozialer Persönlichkeitsstörung sowie bei bestimmten Personen mit affektiven Störungen, die zu einem erweiterten Suizid neigten. Sinnvoller seien bessere Therapiekonzepte und eine bessere Personalausstattung in der Allgemeinpsychiatrie. Kooperationsprojekt in München Professor Meinolf Noeker, Krankenhausdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, kann dem Projekt Periskop hingegen einiges abgewinnen. Für ihn geht es um eine Güterabwägung: Auf der einen Seite stünden Schweigepflicht und Vertrauensverhältnis, auf der anderen Seite eine Gefährdung relevanter Rechtsgüter wie Freiheit und Leben, und Letztere seien in den vergangenen Jahren immer wieder drastisch verletzt worden, was ebenfalls dem Image der Psychiatrie schade. Seine Klinik habe sich schließlich entschlossen, an dem Projekt teilzunehmen. Professor Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums in Haar bei München, verwies auf eine Kooperation mit dem Polizeipräsidium München. Im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten würden über eine geschützte Datenleitung Informationen ausgetauscht. Die Anfragen gingen alle über seinen Tisch, vermieden werden soll auf jeden Fall, dass Beamte auf den Stationen anrufen. Umgekehrt bekomme er auch von der Polizei wertvolle Informationen: Wird jemand aufgrund von akuter Fremdgefährdung in die Klinik gebracht, erhält die Klinik auch ein Dossier mit der polizeilichen Vorgeschichte: „Es beeinflusst die Beurteilung natürlich enorm, wenn ich erfahre, dass der Betroffene schon sieben Mal wegen Körperverletzung auffällig war.“ Brieger verwies zudem auf eine Besonderheit des PsychKG in Bayern: So müssen Kliniken dem Ordnungsamt und der Polizei melden, wenn fremdgefährdende Personen wieder aus der psychiatrischen Klinik entlassen werden. „Das entlastet uns in gewisser Weise, anschließend ist es wieder Aufgabe der Polizei, solche Personen im Blick zu haben.“ Empfehlung der Redaktion Berichte vom hybriden DGPPN-Kongress Das Dossier zum DGPPN-Kongress 2022 Vom Psychoterror der Diktaturen, Biomarkern für Depression und LSD gegen Ängste – auf dem diesjährigen Kongress der DGPPN referierten Fachleute zu neuen Therapien und auch dunklen Kapiteln der psychiatrischen Medizingeschichte. Und in der Diskussion um die aktuelle Reform der Suizidassistenz ist vor allem eins gefordert: Klarheit. Diese und weitere Highlights haben wir für Sie zusammengefasst. Quelle: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin 23.–26.11.2022. Diskussionsforum 23: Möglichkeiten und Grenzen der Früherkennung und Prävention von Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Störungen.

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