Gegen die allseits ungeliebte Zeitumstellung liefert nun auch die Rechtsmedizin argumentative Munition. Eine retrospektive Analyse zeigt, dass sich die Zeitumstellung auf die Anzahl der durchgeführten Sektionen auswirkt.
Die Zeitumstellung bringt zwar ökonomische Vorteile. Der Preis hierfür ist aber die Störung des individuellen Schlafrhythmus. Die zirkadianen Abläufe in unserem Körper geraten so durcheinander. Konzentrationsprobleme und Stimmungsschwankungen sind die Folge.
Bereits 2001 konnten amerikanische Wissenschaftler zeigen, dass es in der Woche nach der Zeitumstellung vermehrt zu Verkehrsunfällen kommt. Bei Patienten mit Depression kann der Zeitwechsel durchaus zu einer akuten Exazerbation führen. Sekundäreffekte sind denkbar. Der gestörte Schlafrhythmus der Eltern wirkt sich eventuell auch auf den Säugling aus. Eine Zunahme des plötzlichen Kindstodes ist demnach eine mögliche Folge.
Die Woche danach
Wenn die Zeitumstellung uns körperlich und geistig so zusetzt, dann müssten sich die Auswirkungen bis in die allgemeine Mortalitätsstatistik hinein nachvollziehen lassen. Das war der Ansatz, den die Frankfurter Gerichtsmediziner bei ihrer retrospektiven Analyse verfolgten. Sie prüften in ihrem Sektionsgut im Zeitraum 2005-2016, ob es in der Woche nach der Zeitumstellung zur auffälligen Häufung von Sektionen kam.
Ebenfalls im Auge hatten die Forscher die Frage, bei welchen typischen Todesursachen dieser Effekt auftritt. Die Todesfälle bei Kindern wurden gesondert berücksichtigt. Als Vergleichszeitraum wählten die Rechtsmediziner die Woche vor der Umstellung. Differenziert wurde nach Frühjahr (»verlorene Stunde«) und Winter (»gewonnene Stunde«). Die in diesen Zeitabschnitten aufgelaufenen Sektionen summierten die Autoren über den Beobachtungszeitraum.
Vermehrte Sektionen im Frühjahr
Und tatsächlich, die Rechtsmediziner wurden fündig: So fiel auf, dass sich im statistischen Mittel in der ersten Woche nach der Zeitumstellung im Frühjahr die Frequenz der akuten Sektionen von 76 (Woche davor) auf 102 (Woche danach) erhöhte. Besonders ausgeprägt war dieser Effekt bei Frauen (von 28 auf 43 Fälle). Im Herbst dagegen zeigte sich kein Effekt.
Mehr Suizide
Der zweite gravierende Befund betrifft die Suizidraten. Auffälligkeiten zeigen sich auch hier nur im Frühjahr. In der Woche nach der Umstellung verdreifachte sich die Rate der Suizidfälle signifikant auf 23 Sektionen. Die Autoren vermuten, dass besonders der verkürzte Schlaf in der Frühjahrsumstellung ungünstige Auswirkungen auf die psychische Stabilität der Betroffenen hatte. Bei den natürlichen Todesursachen (z. B. Myokardinfarkt) konnten die Rechtsmediziner keine Auffälligkeiten feststellen. Der vermutete Einfluss auf die Häufigkeit von Unfällen oder den plötzlichen Kindstod ließ sich ebenfalls nicht reproduzieren.
Bedenkliches Resultat
Auch wenn es sich hier nur um eine methodisch relativ schwache, retrospektive Analyse handelt, so gibt der Gesamtbefund der Studie durchaus zu denken. Der sprunghafte Anstieg der Suizidraten im Frühjahr ist ein Indiz dafür, dass die psychomentale Beeinträchtigung durch die Zeitumstellung gravierender sein könnte, als bisher vermutet.
basierend auf: 97. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (Halle/Saale, 2018). Posterpräsentation: Die kontroverse Debatte zur Zeitumstellung - Ergebnisse einer forensischen Obduktionsstudie über einen 10-Jahreszeitraum (2006-2015). Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt am Main