Warnung vor unkritischem Umgang mit Antibiotika

Mikrobielle Resistenzentwicklungen sind eine Sackgasse für die Therapie von Infektionskrankheiten. Was können Urologen gegen den unkritischen Einsatz von Antibiotika tun? Der heute vielfach und zu Recht reklamierte unkritische Einsatz von Antibiotika (griechisch: „Gegen das Leben“) beginnt schon bei der Nomenklatur: Definitionsgemäß handelt es sich um Arzneimittel zur Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten, Mittel gegen Infektionskrankheiten durch Protozoen (Antiprotozoika) sowie gegen Pilze (Antimykotika), Viren (Virostatika) und Würmer (Antihelminthika). Damit werden also Antiinfektiva beziehungsweise antimikrobielle Substanzen zur antimikrobiellen Chemotherapie von Krankheitserregern eingesetzt. Synonym wird unter Umgehung dieser sperrigen Begrifflichkeit heute schlicht eine „Antibiose“ durchgeführt. Wesentlicher als diese vernachlässigbare sprachliche Unschärfe ist jedoch der tatsächliche Schaden, der entsteht, wenn Antibiotika unnötig, zu häufig, zu lange, nicht testgerecht und in zu hohen Dosen eingesetzt werden. In der Humanund Tiermedizin sowie in der Massentierhaltung werden Antibiotika in großen Mengen zu therapeutischen, prophylaktischen und auch wachstumsfördernden Zwecken (vor allem in der Geflügelzucht) verwendet. In der Tiermedizin wurden im Jahre 2011 allein in Deutschland noch 1,706 Tonnen Antibiotika pro Jahr verfüttert. Der Verbrauch in der Humanmedizin wird mit derzeit 700 bis 800 Tonnen angegeben. Stabiler Verbrauch in Deutschland Zwischen 2000 und 2010 ist der globale Antibiotikaverbrauch in der Humanmedizin um 40 Prozent gestiegen. In Deutschland zeigt sich dagegen von 2005 bis 2014 ein stabiler Verlauf mit Verordnungsvolumina um 480 Millionen DDD (defined daily doses). 85 Prozent davon entfallen auf den ambulanten Bereich, hier werden 59 Prozent durch Hausärzte und hausärztlich tätige Internisten und vier Prozent durch Urologen verordnet. Dennoch werden nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie etwa 30 Prozent der Verordnungen insgesamt als inadäquat (nicht notwendig, zu lange, nicht wirksam) eingestuft. Der Einsatz von Antibiotika unterliegt ungeklärten regionalen Unterschieden. Er ist im Nordosten und Bayern geringer als in den westlichen Bundesländern. Im europäischen Vergleich belegt Deutschland einen Platz im unteren Verbraucherdrittel, während beispielsweise Griechenland einen mehr als doppelt so hohen Antibiotikaverbrauch aufweist. Erreger entwickeln „Waffen“ Unangemessener Antibiotikaeinsatz induziert nicht nur vergleichsweise harmlose und reversible Kollateralschäden wie die Diarrhoe, sondern erhöht vor allem den Selektionsdruck auf pathogene Erreger. Kompetitive Mutanten sind dann in der Lage, in kürzester Zeit umfangreiche Resistenzen gegen höchste Antibiotika- Konzentrationen und unterschiedliche Substanzklassen zu entwickeln. Die biologischen Resistenzmechanismen beziehungsweise „Waffen“ der Erreger sind vielfältig: Sie umfassen zum Beispiel bei uropathogenen Erregern Siderophore und Autotransporterproteine, welche die bakterielle Adhäsion und/oder Invasion von Urothelzellen sowie die Biofilmbildung fördern. Spezielle Oberflächenmerkmale wie Antigene, Lipopolysaccharide und Kapseln bieten Schutz vor den humoralen und zellulären Komponenten des angeborenen und erworbenen Immunsystems des Wirtsorganismus. Flagellen tragen zur bakteriellen Aszension im Harntrakt sowie zur Invasion in renale Epithelzellen bei, und Toxine können in fortgeschritteneren Entzündungsstadien Wirtszellen zerstören. Schon in 30 000 Jahre alten Proben aus dem Permafrostboden von Alaska konnten Resistenzgene gegen antimikrobielle Substanzen wie Penicillin, Tetracycline und sogar Vancomycin nachgewiesen werden. Die Antibiotikaresistenz ist also ein uraltes phylogenetisches Phänomen. Mit dieser über Jahrmillionen erworbenen evolutionären Kompetenz der Mikroben kann die Neuentwicklung von Antibiotika weder jetzt noch in Zukunft Schritt halten – sie ist insofern nicht als Lösung, sondern eher als Motor der Resistenzentwicklung anzusehen, vor allem wenn Antibiotika inadäquat eingesetzt werden! Nach einem Szenario der britischen Gesundheitsbehörden ist im Jahr 2050 mit weltweit 10 Millionen Todesfällen durch resistente Krankheitserreger (Antibiotic Multidrug Resistance) zu rechnen – im Vergleich dazu werden „nur“ 8,2 Millionen Krebstote oder 1,2 Millionen Unfallopfer im Straßenverkehr erwartet. Ist der Kampf bereits verloren? Resistente Bakterien beziehungsweise Resistenzgene werden zwischen Menschen, zwischen Menschen und Tieren und über deren Ausscheidungen in der Umwelt (Wasser, Abwasser, Boden) verbreitet, sodass diese ein sich stetig vergrößerndes Reservoir für Resistenzdeterminanten darstellt. Das individuelle Mikrobiom wird dadurch negativ beeinflusst, indem seine Vielfalt eingeschränkt wird. Bleiben wir also chancenlos oder haben den Kampf gegen die Mikroben bereits verloren, da unser Organismus ohnehin schon aus viel mehr bakteriellen (.90 Prozent = 1-2 kg beim Erwachsenen, vor allem in der Darmflora) als menschlichen Zellen besteht? Oder zeigt nicht gerade diese Koexistenz und Symbiose einen möglichen Weg aus dem Dilemma? Unstrittig bleibt der oft lebensrettende, gezielte Einsatz von Antibiotika in akuten Infektsituationen. Den unreflektierten Einsatz gilt es jedoch heute mehr denn je zu vermeiden. Dazu bedarf es umfassender fach- und erkrankungsspezifischer Standards und Empfehlungen, wie beispielsweise die jüngst aktualisierte S3-Leitlinie der DGU zu den unkomplizierten Harnwegsinfektionen. Derartige Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Prävention von Infektionskrankheiten und die Basishygiene müssen als integraler Bestandteil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung in Zukunft noch intensiver und gezielter verbreitet werden. Die fachübergreifende Durchdringung und Surveillance müssen vertieft werden, um messbare Einsparungen von Antibiotika zu erreichen und das Risiko der Resistenzentwicklung zu verringern. Diese Notwendigkeiten wurden erfreulicherweise von zahlreichen Institutionen längst erkannt und durch entsprechende Maßnahmen besetzt, wie beispielsweise die Deutsche Antibiotika Resistenz-Strategie (DART 2020), die Antibiotika Resistenz Surveillance des Robert Koch-Instituts (RKI), das einrichtungsbezogene Antibiotic Stewardship sowie zahlreiche Initiativen des „One Health“- Konzeptes (verbindet die Bereiche der Human- und Veterinärmedizin sowie Tierhaltung, Landwirtschaft und Umwelt). Prof. Hansjürgen Piechota, Johannes Wesling-Klinikum, Minden und Universitätsklinikum der Ruhr-Universität, Bochum Veranstaltung „MRE und Hygiene in der Praxis“ Freitag, 22. September, 13:00 bis 14:30 Uhr, Saal 4 Vorsitz: A. Pilatz (Gießen), H. Keller (Hof), R. Rudolph (Kirchheim)

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