Bei Harninkontinenz der Frau mehr Diagnostik!

Urogynäkologie ist mehr als TVT-Bänder zu implantieren. Urologen fordern bei Harninkontinenz eine differenzierte Diagnostik vor der Primär- und Sekundärtherapie. Denn viele Frauen sind unzufrieden. Seit Einführung der suburethral zu implantierenden spannungsfreien Bänder (TVT – tension-free vaginal tape) in den 1990er- und 2000er-Jahren haben Inkontinenzoperationen bei Frauen drastisch zugenommen. Ausgeführt werden sie primär in gynäkologischen Abteilungen. „Andere nicht mit artifiziellen Materialien arbeitende Operationsmethoden sind weitgehend verschwunden“, konstatierte Professor Christian Hampel vom Marien-Hospital in Erwitte beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) in Stuttgart. Die Langzeitergebnisse sind mit Kontinenzraten um 80 Prozent gut. Hampel machte jedoch auf hohe Drop-out-Raten in solchen Studien aufmerksam und zeichnete damit ein Fragezeichen hinter diese Daten. Mit der drastischen Zunahme von TVT-Implantationen habe die absolute Zahl unzufriedener Frauen mit Rezidiv-Inkontinenz deutlich zugenommen – ein Problem mit dem dann offenbar bevorzugt Urologen beschäftigt sind. Vorzug der effektivsten Methode Hampels Plädoyer: Wenn eine chirurgische Behandlung bei Harninkontinenz angezeigt sei, so sollte primär die effektivste Methode zuerst angewendet werden und nicht die am wenigsten minimal-invasive Methode. Denn mit jedem weiteren Eingriff wird die Chance keineswegs besser, wieder kontinent zu werden. Empfehlung der Redaktion Inkontinenz – Themenseite Belastungsinkontinenz, Dranginkontinenz, Überlauf-Inkontinenz oder Mischinkontinenz: Auf unserer Themenseite finden Sie aktuelle Nachrichten, Übersichtsbeiträge oder CME-Kurse zu Diagnostik & Therapie. Welches die voraussichtlich effektivste und am wenigsten komplikationsträchtigste Methode ist, könne jedoch nur mit einer präoperativ differenzierten Diagnostik ermittelt werden. Auf diese Weise ließen sich Rezidiv-Inkontinenzen verhindern. Was verbirgt sich hinter einer Rezidiv-Inkontinenz? Bei manchen Frauen tritt postoperativ nach einem beschwerdefreien Intervall wieder Inkontinenz auf, bei anderen persistieren die Beschwerden nach der Op. Manchmal tritt neu eine Dranginkontinenz auf, bei chirurgischer Überkorrektur kann es zur Überlaufinkontinenz kommen. Fistelbildungen sind schwere Komplikationen. Die Unterscheidung dieser Phänomene kann mitunter schwierig sein. Erfolgsfaktoren für die Op Es gibt vielfältige Einflüsse, die von vornherein das Rezidivrisiko erhöhen. Dabei spielen das Alter und Allgemeinzustand der Patientin eine Rolle, Komorbiditäten, Voroperationen, die Art und Weise, wie das TVT implantiert worden ist, das Material (autolog, homolog, alloplastisch) sowie die Erfahrung des Operateurs. Vor allem Adipositas, hohes Alter, das Vorliegen einer intrinsischen Sphinkterinsuffizienz und multiple Voroperationen lassen den Erfolg einer TVT-Implantation fraglich erscheinen. So profitierten Patientinnen mit einem Body Mass Index von >35 kg/m2 mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht von einem TVT, erklärte Hampel. Am besten sind die Ergebnisse, wenn keine Voroperationen, keine neurologischen Symptome, kein Prolaps und kein Kinderwunsch vorliegen. Auch wenn das sichergestellt sei, würden nicht alle Frauen von einer suburethralen Schlinge profitieren, so Hampel. Sein Fazit: Ohne präoperative Diagnostik ist eine Risikostratifizierung bezüglich einer möglichen Rezidivinkontinenz schwierig. Spätestens, wenn ein Rezidiv vorliege, müsse eine ausführliche urologische Diagnostik erfolgen, die unter anderem auch urodynamische Messungen beinhaltet. Ausführliches Aufklärungsgespräch Privatdozent Dr. Bastian Amend vom Universitätsklinikum Tübingen nannte als Aspekte der präoperativen Diagnostik und Entscheidungsfindung bei komplizierter Harnbelastungsinkontinenz der Frau außer der Urodynamik die klinisch-urologische wie gynäkologische Untersuchung mit Stresstest und Deszensus-Diagnostik und die Perinealsonografie. Wichtig sei zudem das ausführliche Aufklärungsgespräch mit der Patientin mit dem Hinweis, dass eine Zweitlinientherapie nie die in der Literatur publizierten Ergebnisse der Erstlinientherapie mit der entsprechenden Methode erreichen kann. Aus der Diagnostik ergibt sich ein Spektrum von individuellen Therapieoptionen, die von Kolposuspension und Lasertherapie, über urethrales Bulking (periurethrale Injektion eines Gels) und Schlingenimplantation bis zu artifiziellem Sphinkter und künftig der Stammzelltherapie reicht. Dies lasse sich nur in Zentren und in enger Kooperation mit Gynäkologen umsetzen. Bei manchen Patientinnen komme man um die supravesikale Harnableitung nicht herum. Quelle: Bericht der Ärzte Zeitung zum 73. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), 15.–18.9.2021, Stuttgart Empfehlung der Redaktion Der DGU-Kongress 2021 – alle Highlights Die 73. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie macht mit dem Motto "Eurologie" darauf aufmerksam, wie wichtig die Vernetzung in der medizinischen Versorgung, Ausbildung und Wissenschaft mit den europäischen Nachbarn ist. Highlights zum Kongress finden Sie hier im Dossier.

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