Erschienen in:
09.04.2019 | Diabetische Nephropathie | Geschichte der Pathologie
Die doppelte Ausgrenzung des Pathologen und NS-Opfers Paul Kimmelstiel (1900–1970)
verfasst von:
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. D. Groß, M. Schmidt, J. Sziranyi
Erschienen in:
Die Pathologie
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Ausgabe 3/2019
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Zusammenfassung
Der Hamburger Pathologe Paul Kimmelstiel (1900–1970) ist als Namensgeber der diabetischen Glomerulosklerose (Kimmelstiel-Wilson-Syndrom) in die Medizingeschichte eingegangen. Weit weniger bekannt ist indessen die Tatsache, dass Kimmelstiel zu den jüdischen Opfern des Dritten Reiches gehörte: Er wurde 1933 entlassen, sah sich 1934 zur Emigration genötigt und kämpfte nach 1945 um Wiedergutmachung.
Der vorliegende Beitrag fokussiert auf ebendiese Rolle Kimmelstiels als politisch verfolgter und entrechteter Jude. Dabei interessieren (1) die Hintergründe seiner Entlassung und Zwangsemigration und (2) die Frage der Rehabilitation im Nachkriegsdeutschland. Zudem gilt es (3) die Wechselwirkungen zwischen der besagten rassisch motivierten Ausgrenzung und biografischen Entwurzelung einerseits und der nachfolgenden, höchst bemerkenswerten internationalen Karrierebildung andererseits zu beleuchten.
Grundlage der Studie sind bisher z. T. unbeachtete archivalische Quellen sowie eine Reanalyse der einschlägigen Forschungsliteratur.
Der Beitrag kommt zu dem Ergebnis, dass Kimmelstiel unter traumatischen Umständen emigrierte. Umso eindrucksvoller ist die Tatsache, dass er im Exilland USA vergleichsweise rasch wissenschaftlichen Anschluss fand und bereits Ende der 1930er-Jahre zu einer weltweit beachteten wissenschaftlichen Größe wurde. Deutlich ungünstiger gestaltete sich dagegen der politische und fachliche Umgang mit Kimmelstiel im Nachkriegsdeutschland: Die von ihm angestrebte „Wiedergutmachung“ erreichte er nur in begrenztem Umfang, unter Aufbietung maximaler Kräfte und zudem mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Erst die Verlegung eines Stolpersteins vor dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im Jahr 2014 markierte einen vorläufigen, versöhnlichen Schlusspunkt im Umgang mit dem Opfer Paul Kimmelstiel.