Tabuthema Amputation

Über Amputationen wird nicht gern gesprochen. Welche Gedanken Patientinnen und Patienten mit einem diabetischen Fuß zur Amputation haben, das wollten drei dänische Wissenschaftlerinnen herausfinden. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Bei rund 10% der Patienten mit diabetischem Fußsyndrom wird eine Amputation vorgenommen. Eine Beinamputation ist ein einschneidendes Ereignis, das alle Aspekte des Lebens beeinflusst. Zu diesem Thema befragten Forscherinnen um Marie Kragh Nielsen vom Krankenhaus Herlev, Dänemark, insgesamt fünf Patienten in persönlichen Interviews. Die vier Teilnehmer und eine Teilnehmerin im Alter zwischen 40 und 80 Jahren waren wegen eines diabetischen Fußes in Behandlung. Sie hatten noch keine Amputation erlebt, aktuell stand auch keine zur Debatte. Zunächst ging es in dem Interview um „Worüber man nicht redet“. Die fünf Betroffenen hatten die Wahrnehmung – manche auch die Erfahrung gemacht –, dass man über das Thema Amputation besser nicht spricht. Ähnlich wie der Tod, sei es ein Tabuthema. Bei einem Befragten lachte die Familie nur darüber, um danach das Thema zu wechseln. Der Betroffene hatte daraufhin das Gefühl, dass er das Problem nicht mehr anbringen könne. Bei einem anderen Teilnehmer wollten die Freunde nicht darüber sprechen: „Sie mögen das Thema nicht, es ist für sie ekelerregend.“ Auf die Frage, was sie vor einer Beinamputation wissen möchten, antworteten mehrere Teilnehmer spontan, dass sie gern mit jemandem sprechen würden, der sich in der gleichen Situation befindet. Gleichgesinnte könnten konkrete Fragen besser beantworten, etwa ob die Amputationswunde jucken oder wie Mitmenschen auf die Operation reagieren würden. Auch Selbsthilfegruppen seien eine gute Option. Was denken die anderen über mich? In den Interviews ging es viel um das soziale Umfeld. Die Befragten gingen davon aus, dass von Familie und Freunden positive Reaktionen kommen würden, fürchteten sich jedoch vor denen von fremden Menschen. Begegnungen mit Fremden wurden als eines der Dinge beschrieben, die ihnen nach einer Beinamputation am meisten Sorgen bereiten würden. Alle Teilnehmer wollten eine Prothese verwenden, um ihre Mobilität und Unabhängigkeit wiederzuerlangen, falls eine Amputation Realität werden sollte. Mehrere gaben jedoch auch an, dass sie die Prothese beim Aufeinandertreffen mit Fremden verstecken würden, um die Amputation zu verbergen und so negative Aufmerksamkeit zu vermeiden. In der Befragung ging es auch um die Selbstwirksamkeitserwartung, also das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen nach der Amputation. Bei einem Teil der Befragten reichte sie von Angst bis Vertrauen. Eine Beinamputation stelle eine Extremsituation dar, bei der man sowohl sehr tapfer sein, aber auch den Mut verlieren könne. Einer der Befragten sah die Operation eher als Chance zum Überleben an. Ein anderer meinte, dass die Amputation auch eine positive Sache sein kann, da er endlich wieder rausgehen könne, woran ihn der diabetische Fuß momentan hindere. Für alle Betroffenen zählten vor allem Ermutigungen von außen, Humor und der Austausch mit anderen Betroffenen. Von den medizinischen Betreuern erwarteten sie sich vor allem viele Informationen vor und nach dem Eingriff: „Sie sollten die Kontrolle über den Dialog übernehmen, weil man selbst vielleicht nicht auf dem Laufenden ist,“ beschrieb es einer der Teilnehmer. Einschränkungen, aber auch neue Möglichkeiten? Die befragten Diabetespatienten befürchten, dass eine Beinamputation ihre Mobilität einschränkt und dazu führt, dass sie auf andere angewiesen sind. Sie waren besorgt, dass sie ihrer Familie lästig werden könnten oder zu sehr abhängig wären. Andererseits waren sie sich auch nicht sicher, ob ihr Fußulkus sie momentan nicht auch stark behindert. Alle Teilnehmer betrachteten das Tragen einer Prothese als eine Möglichkeit, ihre Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Die Studienautorinnen betonen, wie wichtig der Austausch mit Gleichgesinnten sei. „Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass der kosmetische Aspekt einer Amputation genauso wichtig sein kann wie der körperliche.“ Dies spiegele der Wunsch von allen Befragten nach einer Beinprothese wider. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Patienten mit diabetischem Fußsyndrom viele unausgesprochene Gedanken in Bezug auf eine Beinamputation haben. Die Wissenschaftlerinnen schreiben: Angehörigen der Gesundheitsberufe sollten sich ihrer Aufgabe bewusst sein, für eine angemessene Kommunikation zu sorgen und gleichzeitig sowohl den Patienten als auch seine Angehörigen zu unterstützen und anzuleiten, damit sie die besten Voraussetzungen für die Bewältigung einer Amputation schaffen. So könnten Ärztinnen und Ärzte zu einer Enttabuisierung des Themas beitragen – auch wenn der Patient noch gar nicht von einer Amputation bedroht ist. Kragh Nielsen und Kolleginnen empfehlen vor einer Amputation dazu ein Gespräch über die körperlichen Fähigkeiten, die Erwartungen und den möglichen Rollenwechsel in der Familie zu führen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche Wünsche und Sorgen haben Menschen mit diabetischem Fußsyndrom, bei denen es irgendwann einmal zu einer Amputation kommen könnte? Antwort: Die Befragten hatten viele Gedanken zu dieser Thematik. Sie gaben jedoch an, dass sie kaum mit jemandem über Beinamputationen sprechen könnten. Für alle Betroffenen zählten vor allem Ermutigungen von außen, Humor und der Austausch mit anderen Betroffenen und medizinischem Personal. Bedeutung: Ärztinnen und Ärzte sollten das Gespräch suchen, auch wenn eine Amputation noch gar nicht ansteht. Einschränkung: Lediglich fünf Teilnehmer wurden befragt, vier davon Männer.

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